Lewis Perdue: Die Tochter Gottes

Welche Rolle spielt die Frau in der Religion? Gibt es einen Gott oder gibt es vielleicht sogar eine Göttin? Wer ist Maria wirklich und warum wurden in katholischen Gottesdiensten immer schon und immer wieder die alttestamentarischen Texte der Sophia gelesen? Die Anhänger des Gnostizismus sehen in Sophia gar die Urschöpferin des gesamten Universums. Sie ist die göttliche Weisheit, der weibliche Aspekt eines androgynen Gottes, vielleicht sogar ein Teil der christlichen Trinität. Sophia ist das Rätsel, um das sich Perdues neuestes Werk dreht.

Als für ihr Wissen und können bekannte Kunsthändlerin und Gutachterin ist Zoe es gewohnt, mit den teuersten Werken der Welt wie selbstverständlich umzugehen. Als sie aber in das Haus des Kunstsammlers Willi Max gerufen wird, verschlägt es ihr den Atem. Max möchte, dass sie, da er bald sterben wird, sein Vermächtnis betreut und zwar gemeinsam mit ihrem Mann Seth, einem Experten für religiöse Handschriften und Reliquienschreine. Bei der Sammlung handelt es sich um einen Teil der von Hitler gestohlenen Kunstwerke, die der SS-Mann Max bei der Flucht vor den Alliierten an sich nahm. Max will nun, geplagt von seinem Gewissen und so kurz vor seinem Tod, dass Zoe die Werke ihren rechtmäßigen Eigentümern wieder zukommen lässt. Aber das ist nicht alles, was er von ihr will. Der Kunstsammler hat noch ein weiteres uraltes Geheimnis, eine religiöse Wahrheit – die in Hunderten von Jahren unzählige Menschen das Leben gekostet hat: Das Geheimnis um Sophia. Das Mädchen lebte im vierten Jahrhundert nach Christus in einer Region, die als Brutstätte der frühchristlichen Kirche gilt, in der Nähe der anatolischen Stadt Smyrna. In der Siedlung, in der es weder Kirche noch Synagoge gab, stieg Sophia eines Tages auf einen Ochsenkarren und begann zu predigen. Sie vollführte Heilungen, trieb Dämonen aus und wurde von den Menschen als Lehrerin der Gerechtigkeit, als zweiter Messias bezeichnet. Kaiser Konstantin behagte diese Entwicklung gar nicht. Sophia wurde ermordet. Ihr Grabtuch wird im Laufe der folgenden blutrünstigen Geschichte die Hauptrolle spielen. Denn könnte man beweisen, dass das Weibliche göttlich oder das Göttliche weiblich ist, würden die Mauern der Kirche einstürzen. Die Institution wäre ruiniert. Die Gläubigen würden in Jesus Christus nicht mehr den Erlöser schlechthin sehen und Millionen Menschen würden der Kirche den Rücken zudrehen. Um das Geheimnis zu bewahren, wurde und wird gemordet ohne Ende, selbst das Schweigen der Kirche zum Holocaust hat nur einen Grund: Sophia. Seth und Zoe geraten quer durch das ganze Werk von einer blutigen Schlacht in die nächste – ein bisschen viel vielleicht für ein Taschenbuch mit nur etwas mehr als 400 Seiten. Der Lebenssaft spritzt in allen Varianten, teilweise ist es eklig, teilweise einfach nur langweilig. Aber für die, die es rear medium mögen, ist es genau richtig!

Nazis spielen mit, der Vatikan hat seine Rolle, Amerika darf da nicht außen vor stehen und auch der KGB hat was zu melden. Und keinem ist zu trauen. Der eine jagt den anderen, die Hauptdarsteller entkommen mehr oder weniger problemlos jedem Geschütz, waghalsigste Unternehmen sind von Erfolg gekürt. Aber es handelt sich ja hier schließlich auch um Fiktion – und die Geschichte, um die sich dieser Thriller dreht, ist durchaus mitreißend. Allerdings ist es schade, dass Perdue einzelne Fäden aufnimmt, dann aber nicht zu Ende spinnt. Die Schauplätze wechseln zu schnell, Leichen häufen sich in Hotels, Lagerhallen und Stollen – man kann den Überblick verlieren. Wirklich sympathisch als Figur ist eigentlich nur Zoe. Sie zeigt Gefühle, behält aber auch ihren Verstand und sagt deutlich ihre Meinung – und sie findet ihren Glauben wieder. Allerdings in einer sehr modernen Form, die ihren Ursprung rund 300 Jahre nach Christi Geburt hat.

Teilweise beruht „Die Tochter Gottes“ auf der Wahrheit, teilweise auf Vermutungen, die bereits sehr, sehr alt sind und nie bewiesen werden konnten und teilweise beruht sie rein auf der Fantasie des Autors. Die Tatsache, dass die Kirche nicht mehr wirklich einen hohen Stellenwert in unserer heutigen Gesellschaft einnimmt, führt auf der anderen Seite wieder zu einer gewissen Faszination hinsichtlich religiöser Themen und vor allem religiöser Geheimnisse. Damit lässt sich ganz gut Geld verdienen, man bedenke nur, dass „Die Tochter Gottes“ bereits in zwölf Sprachen übersetzt wurde.

Der Amerikaner Lewis Perdue hat sich auf Verschwörungstheorien und Korruptionsthemen spezialisiert. Aber nicht nur das hat ihn bekannt gemacht, auch der Plagiat-Prozess gegen Dan Brown brachte ihm Schlagzeilen ein. Brown soll bei ihm abgeschrieben haben. Denn Perdue veröffentlichte bereits Anfang der 80er Jahre ein Buch namens „The Da Vinci Legacy“.
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