“Gut gegen Nordwind“ – was für ein langweiliger Titel. Das ist wohl der erste Gedanke, der einem durch den Kopf fliegt. Doch das Buch bzw. Hörbuch von Daniel Glattauer ist alles andere als langweilig….
Sehnsüchtig auf ein Mail desjenigen Menschen zu warten, der gerade im Begriff ist, sich von einem zu trennen und dem man bis gerade jetzt Zeit gegeben hat, es sich anders zu überlegen ist schon schlimm genug. Das Bauchgrimmen, das einen überfällt, wenn die Mailbox piepsend frisch eingetroffene Post ankündigt, ist fast noch schlimmer. Aber dann eine Sammelmail vorzufinden von jemandem, den man nicht mal im Entferntesten kennt, das ist das Allerschlimmste. Doch der banale Weihnachtsglückwunsch von Emmi Rothner verändert Leos Leben….
Im Laufe von Monaten entwickelt sich ein E-Mail-Kontakt zwischen der quirligen Emma und dem zurückhaltenden Sprachpsychologen Leo Leike. Ein Dialog gespickt mit Wortwitz, mit Ein- und Zweideutigkeiten, voller Hoffnung, voller Träume – beide machen sich ein Bild vom anderen, keiner ist wirklich bereit, die Realität an sich herankommen zu lassen.
Es gibt sogar Rezensenten, die das Werk des österreichischen Schriftstellers und Kolumnisten Glattauer mit Goethe und Dumas vergleichen. Das, finde ich, geht vielleicht ein bisschen weit, aber es ist – definitiv – ein außergewöhnliches Werk. Ein Briefroman der heutigen Zeit. Ein E-Mail-Roman.
Dieser E-Mail-Kontakt zwischen Emmi und Leo geht unter die Haut. Man könnte sie beneiden, die beiden. Emmi, die im „normalen“ Leben verheiratet ist und zwei Kinder hat. Emmi, die eine so genannte „harmonische“ Ehe führt und die ganz tief in ihrem Inneren nach Aufregendem, Anregendem und aufregend anregendem Erotischen sucht. Dinge also, die es in einer „harmonischen“ Ehe entweder schon lange nicht mehr gibt oder vielleicht sogar nie gegeben hat. Diese Frau möchte nicht mehr nur Emma, sie will wieder Emmi sein. Begehrenswert, geheimnisvoll, jung und ohne Anhang. Frei das zu tun, was sie in dem Moment tun will. Und auf der anderen Seite Leo. Cool nach außen, manchmal sogar abweisend, verletzt tief drinnen. Der typische „raue Schale, weicher Kern“ – Mann. Die Art, wie die beiden sich schreiben, wie es immer intimer wird, wie Gefühle teilweise mit nur ein, zwei Wörtern zur Sprache gebracht werden und wie man genau diese ein, zwei Wörter auch komplett falsch interpretieren kann… die Faszination und die Problematik der heutigen Kontaktformen wird von Glattauer wunderbar dargestellt und von Andrea Sawatzki und Christian Berkel optimal umgesetzt. Eine E-Mail ist schnell geschrieben, manchmal zu schnell. Es kann wie ein Gespräch sein – ohne Mimik, ohne Gestik und immer mit der Gefahr aufgrund dieses Mangels falsch verstanden zu werden. Aber gerade dieses Falsch-Verstehen, dieses zu schnelle Abschicken, diese Ehrlichkeit und Verwundbarkeit, die da dahinter steckt, fasziniert.
(5,0 / 5)