Hans Rath: Im nächsten Leben wird alles besser

Arnold Kahl ist etwas über 50 und so angenervt wie die meisten in diesem Alter. Irgendwie läuft es nicht so, wie man es gerne hätte, zum Verändern fühlt man sich aber entweder zu alt oder einfach nicht in der Lage und was bleibt da: meckern, stänkern, mosern. Und diese chronische Unzufriedenheit ruft Streit hervor. So auch bei Arnold, der eines Abends einen ziemlichen Krach mit seiner Frau hat und am nächsten Morgen im Jahr 2045 aufwacht. Als Greis mit zwei geschiedenen Ehen und einem persönlichen Roboterassistenten. Alles ist anders, alles ist hochtechnisiert und wer es sich nicht mehr leisten kann, ein gutes Leben zu führen, der geht einfach nach Times Beach – indem das Gehirn digitalisiert und eingespeist wird. Keine Schmerzen mehr, keine offenen Wünsche, Sex sooft und mit wem man will, tolle Autos, schöne Häuser … Nachdem man ihn regelrecht zwingt, schaut sich Arnold dort mal um und findet nichts, was es wert wäre, hier einzuziehen. Stattdessen wird ihm klar, was wirklich wichtig in seinem Leben war und was alles schief gelaufen ist …

Eingeordnet als Dystopie ist es aber eigentlich gar keine. Eher eine Dys-Utopie. Denn nicht nur Arnold Kahl lernt im Laufe dieser Geschichte etwas, sondern der Leser ebenfalls. Die Lektüre eines Buches wie dieses eines ist, wird wohl an niemandem spurlos vorübergehen.

Laura Jane Williams: Dein Lächeln um halb acht

Eines mal gleich vorweg: Wer auf der Suche ist nach Lektüre, die ablenkt, die Hoffnung macht, die einen nachdenklich macht und mit so einem seltsamen, zufriedenen Grinsen hinterlässt – der ist hier genau richtig. Dieses Buch möchte man überhaupt nicht mehr aus der Hand legen. Endlich mal wieder ein Roman, der diesen Titel verdient: denn romantischer könnte ein Plot wirklich gar nicht sein. Da ist zum einen die zwar erfolgreiche, aber doch reichlich chaotische Nadia und zum anderen der charmante Daniel – beide fahren morgens ziemlich häufig mit der gleichen U-Bahn. Doch eine Frau dort ansprechen – das geht gar nicht, da ist sich Daniel sicher, schließlich will er nicht rüberkommen wie ein Serienkiller oder Lustmolch. Also schweigt er und leidet. Bis sein Kumpel ihn auf die Idee bringt, eine Anzeige in der Zeitung aufzugeben. Rubrik: missed connections – extra ins Leben gerufen für Begegnungen wie diese. Doch Nadia ist sich nicht sicher, ob sie sich wirklich angesprochen fühlen soll – ihr Selbstbewusstsein ist extrem angeknackst durch ihre letzte Beziehung. Aber dann schreibt sie doch zurück und es entwickelt sich nicht nur eine nette Anzeigen-Romanze, sondern parallel noch viel mehr.

Tobias Goldfarb: Niemandsstadt

In der heutigen Zeit eine Dystopie zur Hand zu nehmen, grenzt ja schon fast an Selbstaufgabe. Zumindest dann, wenn es um Viren geht, um das Leben in Schutzräumen unter der Erde, um Infizierte, die auf der verzweifelten Suche nach Nahrung zu allem fähig sind. Aber es gibt ja auch dystopische Geschichten, die nicht ganz so heftig sind. So wie diese. Josefine, die Protagonistin des Buches, ist in der Lage, Welten zu wechseln. Wie sie das genau macht, ist ihr eigentlich gar nicht klar, zunächst auch nicht, dass sie es macht, aber dann merkt sie doch schnell, dass sich die Niemandsstadt in entscheidenden Punkten von ihrer Realität unterscheidet. War es vor langer Zeit noch ganz normal, dass es Weltenwandler gab, so sind diese immer weniger geworden und eine Leere breitet sich in Niemandsstadt aus. Eine gefährliche Leere – fast wie die der unendlichen Geschichte. Und auch sie muss bekämpft werden. Gemeinsam. Womit der Bogen zu den heutigen Problemen wieder gespannt ist.

Mitch Albom: Die fünf Menschen, die Dir im Himmel begegnen

[aartikel]3548061486:left[/aartikel]Dieses Buch ist alles auf einmal. Traurig, bestürzend, anrührend, komisch und irgendwie auch tröstend. Der alte Eddi stirbt an seinem 83. Geburtstag auf tragische Weise. Und rettet damit einem kleinen Mädchen das Leben. Als Eddie im „Himmel“ ankommt, erwartet ihn eine Flut an Erinnerungen. Und zwar nicht nur seine eigenen, sondern auch die von fünf Menschen, in deren Leben er – ob wissend oder unwissend – eine entscheidende Rolle gespielt hat. Und die ihn versöhnen mit seinem harten Schicksal.

Eigentlich ist er ja Radiomoderator, kümmert sich um Sportthemen und daher überrascht es umso mehr, dass Mitch Albom in seinen Büchern ganz andere Töne anschlägt. Sein Protagonist ist die Sorte Mensch, der viele etwas skeptisch gegenübertreten, bärbeißig, grummelig, auch oft unzufrieden. Und doch herzensgut. Man leidet mit Eddie mit, man freut sich mit ihm und staunt mit ihm … und hofft ein bisschen, das man selbst am Ende seines Lebens auch Versöhnung mit sich selbst finden wird.

Dani Atkins: Sag ich, ich war bei den Sternen

[aartikel]3426524287:left[/aartikel]Dani Atkins ist ein Garant für gute Geschichten, ihr Buch „Sieben Tage voller Wunder“ ist eines der lesenswertesten Bücher überhaupt, und auch dieses Buch lässt sich gut an. Die ersten hundert, zweihundert, dreihundert Seiten … aber dann merkt man, dass das Buch langsam zu Ende geht und wartet auf die Kehrtwendung der Kehrtwendung, die die Bücher der Frau Atkins so gut sein lassen und dann passiert … nichts. Das mag gespoilert sein, muss aber der Fairness halber gesagt werden. Für alle, die einfach nur mal wieder einen rührenden Roman lesen wollen, über eine Frau, die jahrelang im Koma lag und beim Aufwachen ihre Welt nicht mehr so vorfindet, wie sie sie verlassen hat, über die Kraft von Frauen unter sich und über ein Kind, das zwischen zwei Mummys steht, etwas Rührendes halt … der wird auf seine Kosten kommen. Wer aber Spektakuläres erwartet, wird enttäuscht sein.
Dabei hätte diese Geschichte so viel Potenzial gehabt. Wer lag wirklich im Koma, wessen Welt ist nicht mehr die, die sie einmal war? Wer hat sich die Welt nur so gemacht, wie sie sein sollte? Und welche Rolle spielt Ryan? Es ist direkt ärgerlich, all diese Möglichkeiten vor Augen zu haben und dann mit so einem Ende abgespeist zu werden. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Autorin beim nächsten Buch vielleicht ein bisschen mehr Zeit lässt, ihre Story vorher zu durchdenken. Und wieder kleine schriftstellerische „Wunder“ schafft.

Anstey Harris: Find mich da wo Liebe ist

[aartikel]3548291414:left[/aartikel]Grace ist eine komplett traumatisierte junge Frau, die sich selbst nur im Weg steht. Und die nicht in der Lage ist, anständige Bindungen einzugehen. Weder mit einem Mann (ihr Lover ist nicht nur verheiratet, er kommt sogar aus einem anderen Land), auch Freunde hat sie eigentlich nicht und wenn sich jemand ihr seelisch nähert, macht sie dicht.
Sie lebt zurückgezogen in einem kleinen Dorf, repariert dort mit Leidenschaft Musikinstrumente und drückt sich gelungen darum, sich sich selbst und den Geistern ihrer Vergangenheit zu stellen. Doch durch die Verkettung ungünstiger Umstände kommt die Affäre von Graces Liebhaber heraus und plötzlich ist nichts mehr wie es war. Grace muss sich nicht nur einem absoluten Neuanfang stellen, sondern auch den Geistern ihrer Vergangenheit. Doch zum Glück hat sie Menschen um sich herum, die ihr helfen, ihren Weg zu finden.

Wenn man ein Buch sucht, bei dem man nicht mitdenken muss, das einfach vor sich hinplätschert und das man zu jeder Zeit weglegen kann, dann ist dieses Buch genau das Richtige. Denn viel Tiefgang hat es nicht, obwohl es an Dramatik und Situationen, die teilweise schon sehr überzogen sind, nicht mangelt. Das Cover ist toll, die Grundmessage auch, aber die Umsetzung hätte etwas mehr Tempo durchaus vertragen können.

Guillaume Musso: Die junge Frau und die Nacht

[aartikel]3869524200:left[/aartikel]Thomas ist ein erfolgreicher Schriftsteller, lebt in den USA und verarbeitet alles in seinem Leben per Stift und Papier. Nur eines lässt ihn nicht los: eine alte Schuld. Und genau deswegen ist er alles andere als begeistert, als die Einladung zu einer Jubiläumsfeier seiner ehemaligen Schule ins Haus flattert und sein Freund Maxime ihn drängt, mitzukommen nach Frankreich. Kaum ist er da, bereut er es. Die Erinnerungen an Vinca, seine große Liebe, die damals spurlos verschwand, werden übermächtig und mit ihnen viele andere, die Thomas bisher erfolgreich verdrängt hatte. Denn die beiden Männer tragen ein bitteres Geheimnis mit sich herum und es scheint, als käme die Welt jetzt um die Wahrheit nicht mehr herum …

Doch wie so oft und gerade das ist es ja, was seine Leser (und Hörer) an Guillaume Musso so lieben, ist alles anders als man denkt. Obwohl es schon überraschendere und auch spannendere Bücher von ihm gegeben hat. Trotzdem ist auch dieses Hörbuch – gerade durch den Sprecher Richard Barenberg – wieder einmal ein wunderbarer Zeitvertreib. Gerade auf langen Autofahrten gelingt es dem Autor, dass man hellwach bleibt – schon allein deswegen, weil man auf gar keinen Fall das Indiz verpassen will, das auf die vorhersehbare Wende in der Geschichte hinweist.

Robin Sloan: Der zauberhafte Sauerteig der Lois Clary

[aartikel]3896676156:left[/aartikel]Lois Clary ist eine junge Frau, die als Computerspezialistin der Arbeit wegen in eine fremde Stadt gezogen ist und dort nun so fertig ist, dass ihr ein bisschen Nährstoffgel am Abend eigentlich reicht. An Kochen oder gar Sozialkontakte ist gar nicht zu denken, dazu ist sie viel zu überarbeitet. Bestellen allerdings geht doch und auf diesem Weg lernt sie die Besitzer eines „Restaurants“ kennen, das sich „Clement Street Suppe und Sauerteig“ nennt und das sie ab dato täglich mit unglaublich leckerem Essen beliefert. Als die beiden ihr Take-away aufgeben, hinterlassen sie Lois das Rezept für ihren köstlichen Sauerteig und mit diesem auch den Ansatz, ein Klumpen aus Mikroorganismen, die von da ab viel Pflege benötigen. Soviel Pflege, dass Lois ihren Job aufgibt und sich dem Verkauf von selbstgebackenem Brot widmet – mit interessantem Verlauf.

Ein bisschen mehr Spannung hätte dem Buch gut getan, denn der Ansatz dazu wäre auf jeden Fall vorhanden. Die Autorin schreibt schön, ein bisschen anders als andere, mit eigenem Stil, aber leider wartet man vergebens auf ein wirkliches Highlight. Wem Spannung nicht so wichtig ist wie eine gute Story, wer – zum Beispiel vor dem Einschlafen – gar nicht auf der Suche nach Thrill ist, für den oder die ist dieses Buch sicher geeignet. Denn eines ist es auf jeden Fall: Mal was anderes.

Bridget Collins: Die verborgenen Stimmen der Bücher – gelesen von Frank Stieren

[aartikel]3958625037:left[/aartikel]Emmet, ein einfacher Bauernsohn, erleidet das Buchbinderfieber und wird von seiner Familie weggeschickt. Schließlich leben sie in einer Zeit, in der Bücher verpönt sind und die Kreuzzüge gegen das geschriebene Wort noch fest in den Erinnerungen verankert sind. Ein „Irrsinniger“ wie Emmet ist da nicht gern gesehen. Auch dann nicht, wenn die Eltern sehr gut wissen, dass das Erlebte mit Wahnsinn eigentlich gar nichts zu tun hat. Emmet kommt zur alten Buchbinderin Seredith, die fast ein bisschen wie eine Hexe aus einem Bilderbuch wirkt. Tief im Inneren ihres kleinen Häuschens sind zahlreiche Bücher versteckt, die sie selbst gebunden hat – bzw. bei denen sie die Erinnerungen der Personen, um die es geht, gebunden hat. Denn das ist die Handwerkskunst, die Emmet lernen soll. Doch soweit kommt es nicht, Seredith stirbt und ihr Sohn nimmt sich Emmet an, nicht ganz uneigennützig …

Und von da an beginnt die Geschichte sich ein bisschen zu ziehen, jetzt ist der Moment, wo man mehr wissen möchte. Über die Buchbinder an sich, ihr Handwerk, die Hintergründe, die Kreuzzüge, aber die Autorin hält sich eher bedeckt, auch die Liebesgeschichte, die sie spannt, wirkt irgendwie oberflächlich, und es wird zeitweise schwierig, die Motivation aufzubringen, weiterzuhören. Was auch am Sprecher liegen mag, denn auch, wenn seine Stimme sehr schön ist und er die einzelnen Charaktere gut rüber bringt: auf Dauer wirkt es ein bisschen monoton. Aber letztendlich lohnt es sich, dranzubleiben.

Jeder von uns birgt wohl ein tiefes Geheimnis, eine ferne Erinnerung, die man nicht unbedingt bräuchte. Auf die man gut verzichten könnte. Und die sich doch immer wieder und äußerst ungewollt in die Gegenwart schleicht. Ein absolutes Vergessen wäre da doch wünschenswert. Oder? Und genau bei diesem Oder bleibt man nach der Lektüre dieses Buches hängen. Ein tröstlicher Gedanke, den Bridget Collins da pflanzt.

Nicolas Barreau: Die Liebesbriefe von Montmartre – gelesen von Steffen Groth

[aartikel] 3869524065:left[/aartikel]33 ist Hélène erst, als sie stirbt. Und sie hinterlässt nicht nur einen kleinen Sohn, sondern auch einen todtraurigen Mann. Julien Azoulay ist Schriftsteller, leidet seit dem Tod seiner Frau unter einer Schreibblockade und versteht nicht, was sie von ihm wollte, als sie ihm das Versprechen abnahm, nach ihrem Tod 33 Briefe zu schreiben – für jedes ihrer Lebensjahre einen. Trotzdem tut er, was sie sich gewünscht hat. Er lässt ein Geheimfach in ihren Grabstein einbauen und hinterlässt dort die versprochenen Briefe, in denen er frei und offen von seinem Leben ohne sie berichtet, oder besser klagt.
Doch plötzlich verändert sich etwas. Er erhält Antwort, kleine Gesten und fast schon glaubt er, Hélène antworte ihm aus dem Jenseits …

Die Geschichte spielt zu großen Teilen auf dem Friedhof am Montmartre. Und wer schon einmal einen der alten Pariser Friedhöfe besucht hat, weiß, welches Flair dort herrscht. Nicolas Barreau ist ein Meister darin, diese Stimmung einzufangen und Steffen Groth ist ein Meister darin, Sie dem geneigten Hörpublikum näherzubringen. 450 Minuten, die von der ersten bis zu letzten Minute spannend, schön, romantisch und einfach rührend sind.