Jessica Gregson: Die Engelsfrauen

Noch keine dreißig und Jessica Gregson war bereits Beraterin für das Britische Innenministerium, engagierte sich in Aserbaidschan und ist heute im Auftrag der UN auf humanitären Pfaden im Südsudan unterwegs. Und so ganz nebenbei hat sie einen Roman geschrieben, der das Zeug zum Bestseller hat.

Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein kleines, abgeschiedenes und ärmliches Dorf namens Falucska irgendwo in Ungarn. Außenrum nichts als Steppe. Puszta. Mittendrin oder doch besser am Rand der kleinen Gesellschaft lebt Sari Arany. Ihre Mutter starb bei ihrer Geburt, ihr Vater, als sie vierzehn war. Er war ein Heiler, ein angesehener Mann. Sari hat seine Fähigkeiten geerbt, viel von ihm gelernt und wird doch verachtet, weil sie anders ist, anders als die anderen. Das zweite Gesicht prägt ihr Leben. Solange sie denken kann, wurde sie von Getuschel begleitet. Das Mädchen kommt nach dem Tod des schützenden Vaters bei Judit unter, der gefürchteten aber in Ermangelung einer anderen Person mit medizinischen Kenntnissen, auch geachteten Hebamme.

Saris Mutter war eine beliebte Frau im Dorf gewesen und ihre Familie fühlt sich Sari irgendwie verpflichtet. Ihr angesehener Cousin Ferenc soll ihr Mann werden. Nicht gerade eine rosige Zukunft, aber immerhin überhaupt eine.

Doch dann kommt der Krieg und mit ihm gehen die Männer. Das Dorf bleibt in weiblicher Hand zurück. Die Karten werden neu gemischt, die Frauen arrangieren sich miteinander, verändern ihre Verhaltensweisen. Sie sind nicht nur zufrieden, sie sind glücklich. Und sie sind noch glücklicher, als eine Gruppe charismatischer italienischer Kriegsgefangener in der Nähe untergebracht wird. Die Jahre, in denen ihre eigenen Männer weit weg von zuhause leiden, lassen die früher oft geschundenen und missbrauchten Frauen von Falucska aufleben. Doch irgendwann ist der Krieg vorbei, die Männer kehren zurück, psychisch und physisch geschädigt und die alten Rechte einfordernd. Doch die Frauen sind nicht mehr bereit, zurückzustecken. Und mit Saris und Judits Hilfe lässt ein Mann nach dem anderen sein Leben…

„Die Engelsfrauen“ ist ein Roman, der von der ersten bis zur letzten Seite packend ist. Den Leser hineinzieht in die ungarische Steppe. Man spürt den Staub auf der Haut, die Einsamkeit, die Trostlosigkeit. Und man spürt die Verzweiflung der Frauen, die irgendwann in Leichtsinn und Übermut umschlägt und damit zur Unvorsichtigkeit führt.

Das Buch soll auf wahren Begebenheiten basieren, die allerdings laut Autorin stark abgewandelt und fiktionalisiert wurden. Die von Jessica Gregson gewählte Sprache ist einfach, die Geschichte in sich schlüssig und rund. Eingefasst in Prolog und Epilog, wobei das Ende der Fantasie freien Lauf lässt. Viel Roman, ein bisschen Krimi und ein guter, aber nicht übertriebener Spannungsbogen.

Das Buch ist im Original 2006 in England erschienen. Die direkte Übersetzung des Titels „The Angel Makers“ hätte im Deutschen zur Verwirrung geführt. Anzunehmenderweise der Grund für die Übersetzerin Annette Wetzel, sich für Engelsfrau statt Engelmacherin zu entscheiden. Die deutsche Ausgabe ist seit September 2007 bei Kindler zu haben.

Und auch ihr nächstes Buch, an dem die Autorin gerade arbeitet, wird sich wieder mit Außenseitern beschäftigen, wieder auf wahren Begebenheiten beruhen und wieder während des Ersten Weltkriegs spielen. Diesmal allerdings inmitten von türkischen Einwanderern in Australien. Man darf gespannt sein, ob Jessica Gregson ihren Level halten kann.
3.7 Stars (3,7 / 5)