Firas Alshater: Ich komm auf Deutschland zu

Er sieht aus wie der typische Hipster – coole Klamotten, Vollbart, Brille. Und er ist witzig. Macht als Comedian Karriere, und wie es sich gehört für einen, der Anfang der 90er geboren und up to date ist, auch als Youtuber. Soweit nichts wirklich etwas Besonderes. Die Tatsache, dass Firas Alshater noch vor ein paar Jahren in Syrien für seine politischen Videos verfolgt und gefoltert wurde, wirft auf das Ganze aber ein anderes Licht. Letztendlich haben ihn seine Filmaufnahmen gerettet und das Ticket in den Westen bedeutet. Seitdem ist der Syrer verblüfft. Über unsere Behörden, das Pfandsystem oder Fahrkartenautomaten. Wobei er dabei ja in guter, auch deutscher Gesellschaft ist. Darüber kann man sich echt manchmal nur wundern.

Wer jetzt aber denkt, dass „Ich komm auf Deutschland zu“ ein satirisches, witziges Buch ist, der wird enttäuscht sein. Das gibt das Thema nicht wirklich her. Stattdessen scheint Firas in diesem Buch einen Teil seiner Erlebnisse zu verarbeiten. Und zwar nicht nur das, was er in der Heimat erlebt hat, sondern auch das, was seine Ankunft hier beeinflusste. Man muss schon einen ganz schön positiven Grundcharakter haben, um zum Beispiel ein solches Verhalten eigener Verwandten wegzustecken. Aber der Syrer glaubt nach wie vor fest daran, dass Integration möglich ist. Denn für Firas gilt: Alle Menschen lachen in derselben Sprache. Wenn ihnen dieses Lachen nicht vergangen ist.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Nikolai Popov: Warum?

Dieses Kinderbuch ist nicht neu, nur neu aufgelegt – aber leider trotzdem tagesaktuell. Der als jähzornig geltende Kim Jong Un spielt ein bisschen mit Atomwaffen, Boko Haram wütet nicht nur in Nigeria, die Ukraine wird gebeutelt, der Terror des IS steht bei uns vor der Tür… es gibt kaum ein Kind mehr in den deutschen Großstädten, das nicht eines kennt, das flüchten musste. Unsere Besorgnis überträgt sich auf die Kinder, die Nachrichten sind manchmal kaum zu ertragen und erschrecken immer wieder zwischen fröhlichem Geplapper aus Radio und Fernsehen. Das Thema Krieg kann nicht totgeschwiegen werden, die Kinder bekommen es mit, ob man will oder nicht.

Es gibt zahlreiche Kinderbücher für jedes Alter, die sich auf ihre Weise mit dem Thema beschäftigen. Und dabei helfen wollen, Gehörtes und Gesehenes zu verarbeiten. Von Claude Dubois „Akim rennt“, das man bereits mit Sechsjährigen lesen kann bis zu „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, das man frühestens ab zwölf lesen sollte. Auch bei Minedition hat man sich mit dem Thema auseinandergesetzt und ein Buch mit dem Titel „Warum?“ herausgebracht, das vor allem durch seine Bilder lebt. Es erklärt auf ganz einfache Weise, wie ein klassischer Krieg entsteht und dass man schon im Kleinen viel verhindern könnte. Frei nach Ottfried Preußlers Motto: „Mit Mut und Entschlossenheit lässt sich manches gegen Gewalt und Willkür bewirken auf dieser Welt – übrigens auch im Frieden.“

Nikolai Popov arbeitet mit den Farben, lässt ihnen den Vortritt. Leicht und beschwingt beginnen die Zeichnungen, zunehmend wird es düsterer und dunkler. Gewalt und die erzeugte Gegengewalt, der Hass und die Wut – die Farben, die man damit in Verbindung bringt, nehmen immer mehr überhand. Ein Buch mit einem eigentlich traurigen Ende, aber auch hier ist „eigentlich“ wieder eine Einschränkung, denn Popov lässt es seinen kleinen tierischen Hauptfiguren offen, es in Zukunft besser zu machen. Die Gewaltspirale zu unterbrechen. Und so langfristig für Frieden zu sorgen. Schwer einzuschätzen, ab welchem Alter ein solches Buch verwendet werden sollte – hier hängt es stark vom Entwicklungsstand des Kindes und vor allem von seinen Fragen ab. Denn gerade ein Buch wie „Warum?“ eignet sich, um Unverständliches ein wenig besser zu „begreifen“. Antworten kann es auch nicht liefern.

„Warum?“ ist eines der Bilderbücher, die man auch Älteren nahelegen kann. Als Anregung für Diskussionen zum Beispiel im Schulunterricht, aber auch als Symbol der ausgestreckten Hand nach einem Streit.

3.2 Stars (3,2 / 5)

David McKee: Sechs Männer

Diese eindrucksvolle Geschichte, der es gelingt, schon kleinen Kindern den Ursprung von Kriegen zu erklären, zeigt, wie aus sechs friedlichen Männern in Nullkommnix sechs feindlich eingestellte Kriegsherren werden. Und immer geht es um Macht, Geld und Missverständnisse. Die Zeichnungen wirken in ihrer Art fast unschuldig, wie von Kinderhand gezeichnet stolzieren die kleinen Männchen durch das Buch und landen am Schluss genau da, wo sie hergekommen sind: auf der Suche nach einem Ort, wo sie in Frieden leben und arbeiten können.

Aktueller könnte das Buch kaum sein. Es reiht sich ein in eine ganze Anzahl von Büchern, die versuchen, den Krieg zu erklären. Keines der Lieblingsthemen von Kinderbuchautoren, aber teilweise extrem gut gelungen. Wie zum Beispiel auch „Rosa Weiß“, „Der rote Schuh“ oder „Akim rennt“.
3.4 Stars (3,4 / 5)

Jessica Gregson: Die Engelsfrauen

Noch keine dreißig und Jessica Gregson war bereits Beraterin für das Britische Innenministerium, engagierte sich in Aserbaidschan und ist heute im Auftrag der UN auf humanitären Pfaden im Südsudan unterwegs. Und so ganz nebenbei hat sie einen Roman geschrieben, der das Zeug zum Bestseller hat.

Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein kleines, abgeschiedenes und ärmliches Dorf namens Falucska irgendwo in Ungarn. Außenrum nichts als Steppe. Puszta. Mittendrin oder doch besser am Rand der kleinen Gesellschaft lebt Sari Arany. Ihre Mutter starb bei ihrer Geburt, ihr Vater, als sie vierzehn war. Er war ein Heiler, ein angesehener Mann. Sari hat seine Fähigkeiten geerbt, viel von ihm gelernt und wird doch verachtet, weil sie anders ist, anders als die anderen. Das zweite Gesicht prägt ihr Leben. Solange sie denken kann, wurde sie von Getuschel begleitet. Das Mädchen kommt nach dem Tod des schützenden Vaters bei Judit unter, der gefürchteten aber in Ermangelung einer anderen Person mit medizinischen Kenntnissen, auch geachteten Hebamme.

Saris Mutter war eine beliebte Frau im Dorf gewesen und ihre Familie fühlt sich Sari irgendwie verpflichtet. Ihr angesehener Cousin Ferenc soll ihr Mann werden. Nicht gerade eine rosige Zukunft, aber immerhin überhaupt eine.

Doch dann kommt der Krieg und mit ihm gehen die Männer. Das Dorf bleibt in weiblicher Hand zurück. Die Karten werden neu gemischt, die Frauen arrangieren sich miteinander, verändern ihre Verhaltensweisen. Sie sind nicht nur zufrieden, sie sind glücklich. Und sie sind noch glücklicher, als eine Gruppe charismatischer italienischer Kriegsgefangener in der Nähe untergebracht wird. Die Jahre, in denen ihre eigenen Männer weit weg von zuhause leiden, lassen die früher oft geschundenen und missbrauchten Frauen von Falucska aufleben. Doch irgendwann ist der Krieg vorbei, die Männer kehren zurück, psychisch und physisch geschädigt und die alten Rechte einfordernd. Doch die Frauen sind nicht mehr bereit, zurückzustecken. Und mit Saris und Judits Hilfe lässt ein Mann nach dem anderen sein Leben…

„Die Engelsfrauen“ ist ein Roman, der von der ersten bis zur letzten Seite packend ist. Den Leser hineinzieht in die ungarische Steppe. Man spürt den Staub auf der Haut, die Einsamkeit, die Trostlosigkeit. Und man spürt die Verzweiflung der Frauen, die irgendwann in Leichtsinn und Übermut umschlägt und damit zur Unvorsichtigkeit führt.

Das Buch soll auf wahren Begebenheiten basieren, die allerdings laut Autorin stark abgewandelt und fiktionalisiert wurden. Die von Jessica Gregson gewählte Sprache ist einfach, die Geschichte in sich schlüssig und rund. Eingefasst in Prolog und Epilog, wobei das Ende der Fantasie freien Lauf lässt. Viel Roman, ein bisschen Krimi und ein guter, aber nicht übertriebener Spannungsbogen.

Das Buch ist im Original 2006 in England erschienen. Die direkte Übersetzung des Titels „The Angel Makers“ hätte im Deutschen zur Verwirrung geführt. Anzunehmenderweise der Grund für die Übersetzerin Annette Wetzel, sich für Engelsfrau statt Engelmacherin zu entscheiden. Die deutsche Ausgabe ist seit September 2007 bei Kindler zu haben.

Und auch ihr nächstes Buch, an dem die Autorin gerade arbeitet, wird sich wieder mit Außenseitern beschäftigen, wieder auf wahren Begebenheiten beruhen und wieder während des Ersten Weltkriegs spielen. Diesmal allerdings inmitten von türkischen Einwanderern in Australien. Man darf gespannt sein, ob Jessica Gregson ihren Level halten kann.
3.7 Stars (3,7 / 5)