Nicole Zepter: Der Tag, an dem ich meine Mutter wurde

Mütter und Töchter haben ein sehr spezielles Verhältnis zueinander. Zum einen ist es meist eine sehr innige Beziehung, zum anderen, zumindest in bestimmten Entwicklungsphasen, auch eine Konkurrenz. Diese Abgrenzung führt dazu, dass kaum eine junge Frau später mal so sein möchte wie ihre Mutter und fest davon überzeugt ist, auch nie so zu werden. Um irgendwann eines Tages in den (inneren) Spiegel zu sehen und festzustellen: Ich bin meine Mutter geworden.

In diesem Buch, das den Untertitel „Tochtersein zwischen Liebe und Befreiung“ trägt, setzt sich die Autorin Nicole Zepter ausführlich mit ihrer Tochterrolle auseinander und damit, was ihre Mutter zu der Person gemacht hat, die sie war. Und was dazu geführt hat, dass sie selbst ein ähnliches Muttermodell gewählt hat. Scheinbar unbewusst und anscheinend doch von irgendetwas gesteuert. On top versucht sie, das Gewirr aus Familiengeheimnissen zu verstehen, das sie viele Jahre umgeben hat und das heute noch Nachwirkungen zeigt.

Die Autorin begibt sich auf die Suche nach Erklärungen, setzt sich mit ihrer Mutter selbst, mit ihrer Familie aber auch mit Therapeuten auseinander und findest schließlich zu dem inneren Frieden, der es einem erlaubt, viel zu verstehen, einiges zu verzeihen und manches anders zu machen.

Nicole Zepter ist eine Frau, die sich aufs Schreiben versteht. Chefredakteurin von Neon und Nido und Autorin des Spiegelbestsellers „Kunst hassen“. Und das führt dazu, dass sich dieser „Selbstbericht“ im Gegensatz zu sehr vielen anderen tatsächlich gut liest. Mit dem Thema an sich beschäftigt sie sich schon seit einer Weile. Bereits 2014 gab es eine Reportage im Zeit-Magazin, die sich mit der Frage beschäftigte: „Bin ich wie meine Mutter?“

Firas Alshater: Ich komm auf Deutschland zu

Er sieht aus wie der typische Hipster – coole Klamotten, Vollbart, Brille. Und er ist witzig. Macht als Comedian Karriere, und wie es sich gehört für einen, der Anfang der 90er geboren und up to date ist, auch als Youtuber. Soweit nichts wirklich etwas Besonderes. Die Tatsache, dass Firas Alshater noch vor ein paar Jahren in Syrien für seine politischen Videos verfolgt und gefoltert wurde, wirft auf das Ganze aber ein anderes Licht. Letztendlich haben ihn seine Filmaufnahmen gerettet und das Ticket in den Westen bedeutet. Seitdem ist der Syrer verblüfft. Über unsere Behörden, das Pfandsystem oder Fahrkartenautomaten. Wobei er dabei ja in guter, auch deutscher Gesellschaft ist. Darüber kann man sich echt manchmal nur wundern.

Wer jetzt aber denkt, dass „Ich komm auf Deutschland zu“ ein satirisches, witziges Buch ist, der wird enttäuscht sein. Das gibt das Thema nicht wirklich her. Stattdessen scheint Firas in diesem Buch einen Teil seiner Erlebnisse zu verarbeiten. Und zwar nicht nur das, was er in der Heimat erlebt hat, sondern auch das, was seine Ankunft hier beeinflusste. Man muss schon einen ganz schön positiven Grundcharakter haben, um zum Beispiel ein solches Verhalten eigener Verwandten wegzustecken. Aber der Syrer glaubt nach wie vor fest daran, dass Integration möglich ist. Denn für Firas gilt: Alle Menschen lachen in derselben Sprache. Wenn ihnen dieses Lachen nicht vergangen ist.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Echte Freunde: Haatchi und Owen – ein unschlagbares Team

Haatchi und Owen haben sich gesucht und gefunden. Der kleine behinderte Junge, der niemanden wirklich an sich ran ließ, verändert sich plötzlich total, als er auf Haatchi trifft. Auch ihm hat das Leben übel mitgespielt. Man hat ihn auf Bahngleisen ausgesetzt, er wurde von einem Zug erwischt und verlor dabei zwar ein Bein, aber erstaunlicherweise nicht das Vertrauen in die Menschen. Ein Schicksal, das zu Herzen geht und beeindruckt.

Westbam: Die Macht der Nacht

“Die Nächte beginnen oft im Morgengrauen, mitten in der Pampa, am anderen Ende der Welt oder in einem Club einer der angesagten Metropolen. Gefeiert und getanzt wird tagelang, das ganze Leben eine endlose Party“, so heißt es vonseiten des Verlages auf dem Buchdeckel der „Macht der Nacht“. Diese Worte beschreiben gut die Hochzeit des Ravens, die Jahre, in denen im Osten der deutschen Hauptstadt die verrücktesten Winkel zur Feieroase gekürt wurden, in denen es Kirschgarten- und Cave-Raves gab, in denen der Musikstil Frankfurts sich von dem in Berlin gewaltig abhob und in denen man quer durch Deutschland getuckert ist, um eine Party irgendwo am gefühlten Ende der Welt zu feiern. Sven Väth, Cosmic Baby, Marusha, Paul van Dyk, Tanith und Westbam waren einige der großen Namen am Mischpult. Und letzterer hat jetzt seine Erfahrungen niedergeschrieben.

Der DJ schildert seine eigene Entwicklung in einem Umfeld, das spannender kaum sein könnte. Aber auch eine gehörige Portion Destruktivität aufweist. Und in den höheren Etagen Arroganz, Selbstverliebtheit und drogenbedingten Wahnsinn. Sehr ausführlich schildert Westbam Einflüsse von außen, seine eigene musikalische Entwicklung und die der großen Events, auf denen Lieder gespielt wurden, die Massen in Bewegung versetzen konnten. Als normaler Konsument ist man hin- und hergerissen zwischen Langeweile anhand all der Titel und dem Bedürfnis, genau diese zu googlen und damit vielleicht wiederzuerkennen. Macht man das und liest dabei weiter, dann kann man fast spüren, wie einem der Schweiß von der Decke beim Tanzen ins Gesicht tropft und man das vor lauter Ekstase kaum wahrnimmt. Wie er selbst sich allerdings wirklich gefühlt hat, gibt er nie preis. Beziehungsweise tut er nur so und schrammt dann ein bisschen pseudocool an der Empfindung vorbei. Musik liegt Maximilian Lenz deutlich mehr als das Schreiben.

Dieses Buch, so eine Mischung zwischen Nachschlagewerk für Technogeschichte und typischem After-Hour-Laberflash, erfüllt nämlich nicht wirklich die Erwartung. Letztendlich muss man dabeigewesen sein in dieser Bewegung, um an manchen Stellen auch nur ansatzweise zu verstehen, um was es geht. Oft langatmig, nicht selten zu detailliert – und dann wieder sehr wortkarg über Lebenssituationen, von denen man gehofft hat, mehr zu erfahren. Zum Beispiel seine Familie. Gerade im Hinblick auf seine eigene Entwicklung – ausgehend vom ersten antiautoritäten Kinderladen in Münster – wäre es interessant, wie ein so bekannter Macher der Nacht mit seinem Nachwuchs umgeht. Was er für diesen will und was aufgrund seiner Erfahrungen auf keinen Fall oder gerade deswegen für ihn in Frage kommt. Und wie er einen Beruf, der fast nur aus Privatlebenn zu bestehen scheint, mit dem eigentlichen Privatleben kombiniert.
2.6 Stars (2,6 / 5)
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Peter Teuschel: Der Mann, der sich in die Zebrafrau verliebte

Kennt man den Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte, dann weiß man auch, wie der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie auf den Titel kommt. Und auf die Idee, ein paar spektakuläre Fälle der Öffentlichkeit zu präsentieren. Da ist einmal der Mann, der seit Jahren in ein Heim abgeschoben brav immer die Tabletten gegen den Wahn nahm und eines Tages plötzlich damit aufhörte – um die Zebrafrau aus Bowies Musikvideo zu küssen oder die Frau, die immer wieder von einer Stadt aus Marmor träumt und erst mit Hilfe des Arztes das Rätsel lösen, aber dann nur wenige Tage genießen kann.

Wer sich für die Untiefen der Seele interessiert, für all das, was nicht der Norm entspricht, nach außen hin aber so aussieht, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Mit Oliver Sacks kann Teuschel allerdings nicht mithalten. Was nicht unbedingt am Spektakulären der Fälle liegt, sondern eher am Stil.
Trotzalledem ein lesenswertes Buch – nicht nur für angehende oder versteckte Seelenklempner, sondern auch für die Menschen, die gerne hinter die Kulissen sehen. Denn da erfährt man viel über den Menschen Peter Teuschel. Und das ist etwas Besonderes in der Welt der Therapie.

Wer mehr von diesem Autor lesen möchte, der sollte seinem Blog folgen. Auch der ist durchaus lesenswert.
3.6 Stars (3,6 / 5)

Jack El-Hai: Der Nazi und der Psychiater

Jack El-Hai ist Wissenschaftsjournalist und die Grundlage seines Buches sind bisher nie veröffentlichte Dokumente aus dem Nachlass des amerikanischen Militärpsychiaters Douglas M. Kelley über seine Erfahrungen mit der Nazi-Elite, die er von dessen Sohn überreicht bekam.
Um die Nürnberger Prozesse, bei denen die NS-Hauptkriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen werden sollten, gründlich vorzubereiten, wurden die inhaftierten Nazigrößen untersucht – auch und vor allem auf ihre psychische Gesundheit. Aufgabe war es, die Zurechnungsfähigkeit der 22 Angeklagten zu beurteilen. Der leitende Armeepsychiater Kelley, Mitbegründer des berühmten Rorschachtests, sah darin die Chance, hinter die Kulissen zu blicken, das Böse im Menschen zu erforschen, und es so zukünftig im Keim ersticken zu können. Hermann Göring faszinierte ihn besonders, zwischen den beiden Entstand eine Art Bindung, psychische Verwicklungen, die weiter gehen als sie gehen sollten. Und die letztendlich vielleicht sogar etwas mit dem Tod des Psychiaters zu tun haben, denn auch er brachte sich mit Zyankali ums Leben.
Die Protokolle, die Film- und Tondokumente des Nürnberger Tribunals sind schockierend. Und die Art und Weise, wie in diesem Buch aus der etwas anderen Bibliothek darüber berichtet wird, ist besonders bestürzend und abschreckend. Zeigt sich doch, dass der Wahnsinn mitten unter uns ist.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Jessica Gregson: Die Engelsfrauen

Noch keine dreißig und Jessica Gregson war bereits Beraterin für das Britische Innenministerium, engagierte sich in Aserbaidschan und ist heute im Auftrag der UN auf humanitären Pfaden im Südsudan unterwegs. Und so ganz nebenbei hat sie einen Roman geschrieben, der das Zeug zum Bestseller hat.

Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein kleines, abgeschiedenes und ärmliches Dorf namens Falucska irgendwo in Ungarn. Außenrum nichts als Steppe. Puszta. Mittendrin oder doch besser am Rand der kleinen Gesellschaft lebt Sari Arany. Ihre Mutter starb bei ihrer Geburt, ihr Vater, als sie vierzehn war. Er war ein Heiler, ein angesehener Mann. Sari hat seine Fähigkeiten geerbt, viel von ihm gelernt und wird doch verachtet, weil sie anders ist, anders als die anderen. Das zweite Gesicht prägt ihr Leben. Solange sie denken kann, wurde sie von Getuschel begleitet. Das Mädchen kommt nach dem Tod des schützenden Vaters bei Judit unter, der gefürchteten aber in Ermangelung einer anderen Person mit medizinischen Kenntnissen, auch geachteten Hebamme.

Saris Mutter war eine beliebte Frau im Dorf gewesen und ihre Familie fühlt sich Sari irgendwie verpflichtet. Ihr angesehener Cousin Ferenc soll ihr Mann werden. Nicht gerade eine rosige Zukunft, aber immerhin überhaupt eine.

Doch dann kommt der Krieg und mit ihm gehen die Männer. Das Dorf bleibt in weiblicher Hand zurück. Die Karten werden neu gemischt, die Frauen arrangieren sich miteinander, verändern ihre Verhaltensweisen. Sie sind nicht nur zufrieden, sie sind glücklich. Und sie sind noch glücklicher, als eine Gruppe charismatischer italienischer Kriegsgefangener in der Nähe untergebracht wird. Die Jahre, in denen ihre eigenen Männer weit weg von zuhause leiden, lassen die früher oft geschundenen und missbrauchten Frauen von Falucska aufleben. Doch irgendwann ist der Krieg vorbei, die Männer kehren zurück, psychisch und physisch geschädigt und die alten Rechte einfordernd. Doch die Frauen sind nicht mehr bereit, zurückzustecken. Und mit Saris und Judits Hilfe lässt ein Mann nach dem anderen sein Leben…

„Die Engelsfrauen“ ist ein Roman, der von der ersten bis zur letzten Seite packend ist. Den Leser hineinzieht in die ungarische Steppe. Man spürt den Staub auf der Haut, die Einsamkeit, die Trostlosigkeit. Und man spürt die Verzweiflung der Frauen, die irgendwann in Leichtsinn und Übermut umschlägt und damit zur Unvorsichtigkeit führt.

Das Buch soll auf wahren Begebenheiten basieren, die allerdings laut Autorin stark abgewandelt und fiktionalisiert wurden. Die von Jessica Gregson gewählte Sprache ist einfach, die Geschichte in sich schlüssig und rund. Eingefasst in Prolog und Epilog, wobei das Ende der Fantasie freien Lauf lässt. Viel Roman, ein bisschen Krimi und ein guter, aber nicht übertriebener Spannungsbogen.

Das Buch ist im Original 2006 in England erschienen. Die direkte Übersetzung des Titels „The Angel Makers“ hätte im Deutschen zur Verwirrung geführt. Anzunehmenderweise der Grund für die Übersetzerin Annette Wetzel, sich für Engelsfrau statt Engelmacherin zu entscheiden. Die deutsche Ausgabe ist seit September 2007 bei Kindler zu haben.

Und auch ihr nächstes Buch, an dem die Autorin gerade arbeitet, wird sich wieder mit Außenseitern beschäftigen, wieder auf wahren Begebenheiten beruhen und wieder während des Ersten Weltkriegs spielen. Diesmal allerdings inmitten von türkischen Einwanderern in Australien. Man darf gespannt sein, ob Jessica Gregson ihren Level halten kann.
3.7 Stars (3,7 / 5)

A. J. Jacobs: Blauäugig in Tokio

Der wunderbar zweideutige Titel dieses Buches fasst in drei Worten zusammen, worum es geht: ein Blauäugiger kommt blauäugig in eine völlig andere Kultur. Lernt, sich dort zurecht zu finden, versucht, sich anzupassen ohne sich komplett einzufügen, eckt immer wieder an…. Ein Erfahrungsbericht über das Leben als japanischer Salaryman.

Niall Murtagh ist Ire. Nach seinem Universitätsabschluss reist er jahrelang durch die Welt und landet schließlich dank eines Promotionsstipendiums in Tokio. Dort bleibt er, wird Angestellter bei Mitsubishi und heiratet eine Japanerin. In „Blauäugig in Tokio“ beschreibt er ausführlich – manchmal zu ausführlich – wie es sich lebt als Salaryman einer so großen und damit leicht unbeweglichen Firma im Land der Kirschblüte. Fragen danach, ob er Mundgeruch habe oder Regenbogenfarben sehe, wenn er in eine Lichtquelle schaue, zeigen Muruta-San, wie er genannt wird, bereits bei seinem Einstellungsgespräch, was auf ihn zukommen wird. Wenn er noch dazu als erster Ausländer ein echter „Lebenslänglicher“ bei dem Technologieriesen werden möchte, muss er zum Japaner mutieren – oder zumindest so tun. Doch das fällt Murtagh immer schwerer und er zieht seine Konsequenzen.

Dieser Erfahrungsbericht ist authentisch geschrieben und interessant zu lesen, lässt aber einen Spannungsbogen komplett vermissen. Es plätschert mehr so vor sich hin. Etwas mehr Details über das Leben außerhalb des Arbeitsbereiches, über die interkulturelle Ehe und Familie sowie auch über die Reaktionen daheim in Europa wären wünschenswert gewesen. „Blauäugig in Tokio“ ist ein netter Einblick in die japanische Kultur und Denkensweise. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
2.5 Stars (2,5 / 5)