Kiran Nagarkar: Ravan & Eddie

Indien ist in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal Ehrengast der Frankfurter Buchmesse, Bollywood und alles, was an bunt und tränenreich dazugehört, ist schon lange in. Doch einen wirklichen Einblick in die komplexe Kultur des Landes, in seine Vielfältigkeit an Sprachen und Religionen, an Einstellungen und Lebensweisen bekommt man bei uns meist nur marginal. Kiran Nagarkar weckt spätestens mit „Ravan & Eddie“ eine gesunde Neugier auf ein Land, das eben nicht nur Yoga, Bauchtanz und Hammelfleisch mit Rosinen zu bieten hat.

Victor Coutinho, seines Zeichens Katholik aus Goa, Vater eines dreizehn Monate alten Babys und Ehemann einer hochschwangeren Frau, verliebt sich in die Hinduistin Parvati. Beim Flirten mit ihm fällt ihr ihr baby vom Balkon. Victor fängt es auf und stirbt dabei. Diesen „Mord“ verzeiht Victors Ehefrau dem kleinen Ram nie und ihr Hass überträgt sich auch auf Eddie, ihren Sohn. Auch Parvati kann damit nicht umgehen. Sie tauft ihre Leibesfrucht um in „Ravan“, das personifizierte Böse. Er selbst kann sich diesem Bann nicht entziehen und auch, wenn der Junge nicht weiß, wie er gemordet haben soll, so sieht er sich doch selbst als Mörder und verlorene Seele. Die beiden Kinder leben, durch ihre verschiedenen Glaubensrichtungen geprägt, in einem Wohnblock in unterschiedlichen Parallelwelten, die sich an lebensentscheidenden Punkten immer wieder wie durch Zufall berühren und in vielen Aspekten ähnlich verlaufen. Sie sind gleichzeitig fasziniert und abgestoßen voneinander….

In blumiger Sprache, gespickt mit den schönsten Metaphern verfolgt der Autor die Kindheit der beiden Protagonisten. Die Gerüche und Farben des Landes steigen so intensiv aus den Buchseiten auf, dass man glaubt, eintauchen zu können in diese fremde, faszinierende Welt. Doch schnell wird einem klar, wie gut man es hat. Allein daheim auf dem gemütlichen Sofa, ein Glas Wein neben sich und ein gutes Buch in der Hand – ein Buch wie „Ravan & Eddie“ von Kiran Nagarkar.

Der 1942 in Bombay geborene Autor ist ein bedeutender Vertreter der indischen Literatur und schreibt sowohl auf Marathi, der Sprache des Bundesstaates Maharashtra, als auch auf Englisch. Neben zahlreichen Romanen, Theaterstücken und Drehbüchern ist „Krishnas Schatten“ besonders erwähnenswert. Für diese Auslegung einer Dreiecksgeschichte erhielt Nagarkar die höchste indische literarische Auszeichnung, den Sahitya Academy Award.
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