Tim Sohr: Für immer und Amy

Flemming Hansen mag Frauen nur, solange sie keinen Wert darauf legen, sich zu binden. Dann aber kann er sie echt gut leiden. Vor allem auf körperlicher Ebene – denn alle anderen Ebenen verschließt er vor dem weiblichen Geschlecht. Grund für seine Beziehungsunfähigkeit ist Amy, seine erste große Liebe, die er bei einem Austausch in die USA getroffen und seitdem nie wieder vergessen hat. Je älter Hansen wird, desto öfter macht er sich Gedanken darüber, was mit ihm nicht stimmt und als er glaubt, Amy gesehen zu haben, dreht er halb durch. Er will sie wiederfinden und mit ihr das Glück der Beständigkeit. Aber, wie nennt es Amy? Timing ist eine bitch. Und letztendlich ist sie es, die diese Wahrheit zu spüren bekommt.

Das Cover wirkt leicht, die Story interessant – schließlich haben doch die meisten von uns irgendwo eine Liebesleiche im Keller, die sie nicht loslässt – aber irgendwie erfüllt das Buch die Erwartungen nicht. Ein Liebesroman ist es nicht, was anderes aber auch nicht. Es liegt irgendwo dazwischen und genauso fühlt man sich auch, wenn man die Lektüre (endlich) beendet hat: irgendwo dazwischen. Zwischen der Sympathie für Amy, bei der Antipathie mitschwingt und dem Mitlied mit Hansen, der keines verdient. Und auch gar keines braucht.

Das erste Buch des Autors „Woanders is‘ auch scheiße“ war deutlich besser.

Laura Lackmann: Die Punkte nach dem Schlussstrich

Momentan sind sie groß im Rennen, die scheiternden Großstadtmenschen, die einsamen Wölfe, die psychisch Angeschlagenen, die Zerrissenen – und sie haben es auch Laura Lackmann angetan. Ihre Protagonistin Luzy ist die typische Großstadtpflanze, die den Großteil ihrer Kraft in die Liebe investiert – beziehungsweise in das, was sie dafür hält. Regelrecht besessen ist sie davon, zu lieben und geliebt zu werden, die perfekte Frau zu sein: „Ich wollte Apollo unbedingt lieben. ‚Ich liebe dich.‘ Apollo sagte nichts. Nur ein leises, zartes Männerseufzen, das mich wie ein Soundtrack durch mein ganzes Leben begleiten würde.“ Sie sieht sich als Rumpf, der einmal neben einen Mann gepflanzt, dort erst wieder weg kann, wenn dieser sie zerstört. Würde alles für ihn tun. Die familiären Hintergründe sind für ein solches Verhalten wie geschaffen: der Vater ein depressiver Maler, die Mutter Pornodarstellerin – eine Hassliebe vom Feinsten. Luzy ein unerwünschtes Kind, das sich keine Gefühle erlaubte und lange Zeit als autistisch galt. Dass mit ihr etwas nicht stimmt, weiß sie selbst und das spürt auch der Leser nonstop – sie macht immer wieder die gleichen Fehler, rennt offenen Auges ins Verderben, manchmal bemüht, fast schon angestrengt in der Sprache. Oft zynisch. Ordinär. Vulgär wie auch die Zeichnungen von Laura Tonke, die dem Buch nicht wirklich Mehrwert verleihen. Sie sollen wohl einen authentischen, kritzelzettelartigen Charakter schaffen, degradieren es aber eher ein wenig.

Laura Lackmann, die ihr Regiedebüt mit „Mängelexemplar“ hatte, hat an der New Yorker Filmakademie und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin studiert und ist heute Drehbuchautorin. „Die Punkte nach dem Schlussstrich“ ist ihr erster Roman.
3.1 Stars (3,1 / 5)

Riikka Pulkkinen: Die Ruhelose

“Die Ruhelose“ ist Riikka Pulkkinens Debütroman. Die Finnin beschreibt das ganz ähnliche und sich doch enorm unterscheidende Schicksal zweier miteinander verwandter Frauen: Anja, deren Mann schwer an Alzheimer erkrankt ist und die mit sich hadert, ob und wie sie ein gegebenes Versprechen einhalten kann und ihre Nichte Marie, die eine äußerst heikle Beziehung zu einem jungen Lehrer eingegangen ist und sich dabei leidenschaftlich in eine Liebe stürzt, die aussichtslos ist. Zwei Frauen, die vor der entscheidenden Frage ihres Lebens stehen: Wie weit darf und will und soll und muss man gehen für die Liebe?

Die Universitätsprofessorin Anja scheint zunächst an dieser Frage zu verzweifeln und findet doch, genau wie Marie ihren ganz eigenen Weg, damit umzugehen.

Riikka Pulkkinen, Jahrgang 1980, ist eine der erfolgreichsten jungen Autorinnen Finnlands. Doch auch, wenn ihr Debüt dort bereits etliche Preise einheimsen konnte, so ganz überzeugend ist es doch nicht. Ob das an der deutschen Übersetzung liegt? Denn das Buch hat etwas, keinen Zweifel, die Thematik ist interessant und entspricht komplett dem Zeitgeist unserer Gesellschaft und doch fehlt etwas. Das entscheidende Etwas, das den Leser so richtig in seinen Bann zieht.
3.4 Stars (3,4 / 5)

Karina Lorenz/Andrea Micus: Rubinroter Sommer

‚Rubinroter Sommer‘ ist eine wahre Geschichte. Die Geschichte einer verheirateten Frau und Mutter, die sich erst spät im Laufe ihrer Ehe bewusst wird, dass sie Frauen liebt. Eine Frau, um genau zu sein: Kathleen. Diese Erkenntnis ist für sie schon nicht einfach. Für ihre Familie, explizit ihren Mann aber noch viel weniger. Zunächst hält der dominante Franz, dessen Leben nur aus Arbeit und Ausbau des familieneigenen Unternehmens besteht, das Ganze für einen Scherz. Als ihm klar wird, dass es der volle Ernst seiner Frau ist, hofft er auf einen netten Dreier. Doch als Karina sich entschließt, ihn zu verlassen, da tobt er. Versucht mit allen Mitteln, die beiden zu trennen. Aber es gelingt ihm nicht, die Liebe der zwei Frauen wird immer stärker und irgendwann lässt Franz sie nicht nur zu, sondern sorgt auch dafür, dass sie die absolute Erfüllung findet.

Wer jetzt einen erotisch angehauchten Lesbenroman erwartet hat, der liegt komplett daneben. Aus dem Nähkästchen plaudert Karina Lorenz nicht. Ihr geht es, und das merkt man in fast jeder Zeile, darum, ihre Geschichte zu erzählen, möglicherweise auch ein bisschen darum, Verständnis zu ernten für den nicht gerade typischen Weg, den sie eingeschlagen hat. Unterstützt wird sie beim Erzählen von Andrea Micus, einer Journalistin, die Karina und Kathleen im Rahmen einer Reportage kennengelernt hat. Das Buch ist trotzdem nicht wirklich flüssig zu lesen. Es hat seine Längen, die manchmal nicht nur lang, sondern auch langweilig werden. Trotzdem: Wer gerne in andere, fremde Leben eintaucht, wird hier fündig.
2.5 Stars (2,5 / 5)

A. J. Jacobs: Britannica & ich – Von einem, der auszog, der klügste Mensch der Welt zu werden

Wer weiß schon genau, welche Form ein Zwergenhintern hat, aus wie vielen Billionen Zellen der menschliche Körper besteht und dass eine Abalone weit entfernt ist von einer Melone, vor allem, was ihr Stuhlgangsverhalten angeht? Zweifelsohne: Der ein oder andere weiß das ein oder andere bestimmt, aber alles?? Doch alles zu wissen, was man wissen kann, ist das Ziel von A.J. Jacobs, leitendem Redakteur beim Esquire. Er hat sich vorgenommen, der klügste Mensch der Welt zu werden. Von A bis Z kämpft er sich durch die Encyclopaedia Britannica. Das bedeutet 65.000 Einträge, 44 Millionen Wörter und zehn Milliarden Jahre Geschichte komprimiert auf rund 400 goldenen Seiten, deren Anblick bereits Vorfreude auslöst.

Geschickt verbindet Jacobs ausgewählte Stichworte der Enzyklopädie mit seiner eigenen Geschichte und führt so humorvoll durch teilweise durchaus schwer verdauliche Lesekost. Auch in diesem Werk tauchen Worte auf, die nicht unbedingt zum Allerweltssprachschatz gehören. Der Autor allerdings weiß um diese Tatsache und spielt damit. Denn auch ihm geht es nicht anders als dem Leser selbst. Und das, obwohl Jacobs ein Nachfahre des Jüdischen Gelehrten Elijah ben Salomon ist, den man als allwissend bezeichnete. Als leichte Lektüre getarnt, entpuppt sich „Britannica & ich“ schnell als ein Werk, das man nicht einfach so am Stück schmökern kann. Es eignet sich vielmehr dazu, es mehrmals am Tag zur Hand zu nehmen und seinem Wissen ein paar amüsant verarbeitete Stichworte hinzuzufügen. Besonders empfehlenswert ist der Absatz über das Denken, in dem Jacobs sich nicht nur mit dem Thema Intelligenz an sich beschäftigt, sondern sich auch außerordentlich kritisch mit dem von ihm als „Gesäßvioline“ bezeichneten Yale-Professor Dr. Sternberg auseinandersetzt – der US-amerikanischen Kapazität auf diesem Gebiet. Und auch wenn man nach der Lektüre von „Britannica & ich“ durchaus ein paar Fragen mehr bei Günther Jauch beantworten könnte, so weiß man doch am Schluss, dass man eigentlich nichts weiß.
2.9 Stars (2,9 / 5)

Ronlyn Domingue: Alle Tage, alle Nächte

Es ist der erste Roman der Autorin und es ist eine der schönsten Liebesgeschichten, die es auf dem Markt gibt. Die Geschichte von Raziela, die nach ihrem frühen Tod in der Zwischenwelt verweilt und um ihre verlorene Liebe Andrew trauert, geht nahe. Verdammt nahe.

Amerika, New Orleans, die wilden Zwanziger: Raziela verkörpert genau den Typ Frau, der uns aus dieser Epoche in „Erinnerung“ geblieben ist. Lebenslustig, klug und ganz ihrer Weiblichkeit bewusst kämpft sie für ihre Ziele. Sie will Ärztin werden, will Frauen den Weg zur Empfängnisverhütung weisen, will die ach-so-männliche Welt verändern. Obwohl sie dem maskulinen Teil der Menschheit durchaus nicht abgeneigt ist, vor allem nicht Andrew…. Die beiden sind wie füreinander geschaffen, doch Raziela zögert mit der Antwort, als Andrew sie um ihre Hand bittet. Sie bekommt nie mehr die Gelegenheit ihm zu antworten, denn es kommt zu einem tödlichen Unfall, über den Andrew nie hinwegkommt. Aber auch sie nicht. Ihre Seele verweilt in der Zwischenwelt, körper-, schwere- und rastlos. Bis sie ihn bzw. seine Blutspur wieder findet.

Die Autorin, 1969 geboren, ist bereits für einige ihrer Kurzgeschichten ausgezeichnet worden, „Alle Tage, alle Nächte“ sollte zunächst ebenfalls eine solche werden, wurde dann aber doch zum Roman ausgebaut. Glücklicherweise. Ein Besuch ihrer Website lohnt sich vor allem nach der Lektüre des Buches, denn es sind dort Textpassagen zu finden, die ihren Weg nicht zwischen die Buchdeckel gefunden haben und damit noch mal eine ganz besondere Ergänzung darstellen.

„Alle Tage, alle Nächte“ wurde aus dem Englischen von Miriam Mandelkow und Susanne Höbel übersetzt. Nicht besonders gelungen ist dabei die Übersetzung des Titels, denn der Originaltitel „The mercy of thin air“ trifft es deutlich besser.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Kiran Nagarkar: Ravan & Eddie

Indien ist in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal Ehrengast der Frankfurter Buchmesse, Bollywood und alles, was an bunt und tränenreich dazugehört, ist schon lange in. Doch einen wirklichen Einblick in die komplexe Kultur des Landes, in seine Vielfältigkeit an Sprachen und Religionen, an Einstellungen und Lebensweisen bekommt man bei uns meist nur marginal. Kiran Nagarkar weckt spätestens mit „Ravan & Eddie“ eine gesunde Neugier auf ein Land, das eben nicht nur Yoga, Bauchtanz und Hammelfleisch mit Rosinen zu bieten hat.

Victor Coutinho, seines Zeichens Katholik aus Goa, Vater eines dreizehn Monate alten Babys und Ehemann einer hochschwangeren Frau, verliebt sich in die Hinduistin Parvati. Beim Flirten mit ihm fällt ihr ihr baby vom Balkon. Victor fängt es auf und stirbt dabei. Diesen „Mord“ verzeiht Victors Ehefrau dem kleinen Ram nie und ihr Hass überträgt sich auch auf Eddie, ihren Sohn. Auch Parvati kann damit nicht umgehen. Sie tauft ihre Leibesfrucht um in „Ravan“, das personifizierte Böse. Er selbst kann sich diesem Bann nicht entziehen und auch, wenn der Junge nicht weiß, wie er gemordet haben soll, so sieht er sich doch selbst als Mörder und verlorene Seele. Die beiden Kinder leben, durch ihre verschiedenen Glaubensrichtungen geprägt, in einem Wohnblock in unterschiedlichen Parallelwelten, die sich an lebensentscheidenden Punkten immer wieder wie durch Zufall berühren und in vielen Aspekten ähnlich verlaufen. Sie sind gleichzeitig fasziniert und abgestoßen voneinander….

In blumiger Sprache, gespickt mit den schönsten Metaphern verfolgt der Autor die Kindheit der beiden Protagonisten. Die Gerüche und Farben des Landes steigen so intensiv aus den Buchseiten auf, dass man glaubt, eintauchen zu können in diese fremde, faszinierende Welt. Doch schnell wird einem klar, wie gut man es hat. Allein daheim auf dem gemütlichen Sofa, ein Glas Wein neben sich und ein gutes Buch in der Hand – ein Buch wie „Ravan & Eddie“ von Kiran Nagarkar.

Der 1942 in Bombay geborene Autor ist ein bedeutender Vertreter der indischen Literatur und schreibt sowohl auf Marathi, der Sprache des Bundesstaates Maharashtra, als auch auf Englisch. Neben zahlreichen Romanen, Theaterstücken und Drehbüchern ist „Krishnas Schatten“ besonders erwähnenswert. Für diese Auslegung einer Dreiecksgeschichte erhielt Nagarkar die höchste indische literarische Auszeichnung, den Sahitya Academy Award.
4.7 Stars (4,7 / 5)

Ronlyn Domingue: Alle Tage, alle Nächte

Es ist der erste Roman der Autorin und es ist eine der schönsten Liebesgeschichten, die es auf dem Markt gibt. Die Geschichte von Raziela, die nach ihrem frühen Tod in der Zwischenwelt verweilt und um ihre verlorene Liebe Andrew trauert, geht nahe. Verdammt nahe.

Amerika, New Orleans, die wilden Zwanziger: Raziela verkörpert genau den Typ Frau, der uns aus dieser Epoche in „Erinnerung“ geblieben ist. Lebenslustig, klug und ganz ihrer Weiblichkeit bewusst kämpft sie für ihre Ziele. Sie will Ärztin werden, will Frauen den Weg zur Empfängnisverhütung weisen, will die ach-so-männliche Welt verändern. Obwohl sie dem maskulinen Teil der Menschheit durchaus nicht abgeneigt ist, vor allem nicht Andrew…. Die beiden sind wie füreinander geschaffen, doch Raziela zögert mit der Antwort, als Andrew sie um ihre Hand bittet. Sie bekommt nie mehr die Gelegenheit ihm zu antworten, denn es kommt zu einem tödlichen Unfall, über den Andrew nie hinwegkommt. Aber auch sie nicht. Ihre Seele verweilt in der Zwischenwelt, körper-, schwere- und rastlos. Bis sie ihn bzw. seine Blutspur wieder findet.

Die Autorin, 1969 geboren, ist bereits für einige ihrer Kurzgeschichten ausgezeichnet worden, „Alle Tage, alle Nächte“ sollte zunächst ebenfalls eine solche werden, wurde dann aber doch zum Roman ausgebaut. Glücklicherweise. Ein Besuch ihrer Website lohnt sich vor allem nach der Lektüre des Buches, denn es sind dort Textpassagen zu finden, die ihren Weg nicht zwischen die Buchdeckel gefunden haben und damit noch mal eine ganz besondere Ergänzung darstellen.

„Alle Tage, alle Nächte“ wurde aus dem Englischen von Miriam Mandelkow und Susanne Höbel übersetzt. Nicht besonders gelungen ist dabei die Übersetzung des Titels, denn der Originaltitel „The mercy of thin air“ trifft es deutlich besser.
5.0 Stars (5,0 / 5)