Die Charité: Hoffnung und Schicksal

Diese ungekürzte Lesung auf mehreren mp3-CDs ist keinen Moment langweilig. Die Geschichte spielt in Berlin in den 1830ern. Hauptspielort ist die Charité – das Krankenhaus, das auch heute noch Geschichte schreibt. Der Kampf der Ärzte gegen die Cholera, Kindbettfieber, Pflegerinnen, die ihren Job mit dem in einer Strafanstalt verwechseln und gesellschaftliche Zwänge, die Frauen dazu zwingen, an Heim und Herd zu bleiben – wenn sie es sich leisten können – all diese Themen kommen nicht zu kurz.

Die eigentlichen Hauptpersonen aber sind die Frauen: Gräfin Ludovica, gebunden in unglücklicher Ehe und eigentlich schwer verliebt in den Arzt ihres Mannes, Martha, die Hebamme, die ihren kleinen behinderten Sohn durchbringen muss und Schwester Elisabeth, die in die Gemeinschaft eines Pfarrers flüchtet, um als Diakonisse ein Zuhause zu haben und besser pflegen zu können. Und in der doch eigentlich ein ganz anderes Potenzial steckt.

Die Leben dieser Frauen sind durch ein oder besser mehrere unsichtbare Bänder verbunden. Und es gelingt der Autorin und vor allem auch der Sprecherin Beate Rysopp, einen in die Schicksale regelrecht hineinzuziehen. Mitzuleiden. Mitzuhoffen.
Besonders interessant sind auch die Einblicke in die Tiefen der Medizin im 19. Jahrhundert. Über Behandlung ohne Schmerzmittel, das Austreiben von Geschlechtskrankheiten mithilfe von Quecksilber oder die ersten Erfolge bei Augenoperationen.

Nicole Jäger – Nicht direkt perfekt

Warum ziehen wir Frauen beim Sex den Bauch ein? Vor allem, wenn wir über 100 kg wiegen, wo es doch eh nichts mehr bringt? Warum mögen nicht alle Männer dicke Frauen und manche aber lieber als die dünnen? Welche Rolle spielt in unserem Leben eigentlich die Zahl auf der Waage und wie beeinflusst sie unser Sexualleben?

Diese wenig spannenden Fragen stehen sieben Stunden lang mehr oder weniger im Mittelpunkt eines fast schon selbstgefälligen Dauergejammers. Anders kann man es leider kaum sagen. Nicole Jäger möchte wirken, wie eine Frau, die über den Dingen und über ihren Pfunden steht, vermittelt aber zehnmal mehr den Eindruck, darunter ziemlich zu leiden und das überspielen zu wollen – mit einer Portion Selbstbewusstsein, die einem bisweilen das Gefühl gibt, man müsste sich ein bisschen fremdschämen.

Dabei ist die Frau, die mal 340 Kilo gewogen hat und bereits 200 runter hat, eigentlich ganz witzig, zumindest in ihren Shows. Aber das ist vielleicht das hübsche Gesamtpaket, das auf einer CD einfach nicht wirken kann. Daumen runter für „Die nackte Wahrheit übers Frausein“ – selbst wenn ihr Buchdebüt „Die Fettlöserin“ mit 100.000 verkauften Exemplaren ein Spiegel-Bestseller war.

Kurt Tucholsky: Schloss Gripsholm

1931 wurde diese Geschichte zum ersten Mal veröffentlicht und hat bis heute nicht im Geringsten an Charme verloren: Schloss Gripsholm ist eines von Tucholskys bekanntesten und besten Werken.

Beginnend mit einem Schriftwechsel zwischen Tucholsky und seinem Verleger, Ernst Rowohlt, in dem dieser seinen Autor bittet, einmal etwas Leichtes, Heiteres zu schreiben. Etwas mit Liebe und so. Das verspricht dieser, sich durch den Kopf gehen zu lassen und fährt erst einmal für drei Wochen mit seiner äußerst originellen „Prinzessin“ in die Sommerfrische auf Schloss Gripsholm. Um dort, gemeinsam mit Freunden, ein kleines Mädchen vor einer sadistisch veranlagten Heimleiterin zu retten. Eingebettet ist das Ganze in eine für die Zeit äußerst gewagte Liaison à trois und zahlreiche hintergründige Gespräche.

Kurt Tucholsky gehört zu den wichtigsten Autoren der Weimarer Republik. Aber nicht nur das, er war auch ein Herzblutjournalist und Gesellschaftskritiker. Und dass Uwe Friedrichsen ihm seine Stimme für diese Aufnahmen lieh, hätte ihn sicher mit Stolz erfüllt. Denn einen besseren Sprecher für seine süffisanten Worte und Wortspielchen hätte Tucholsky nicht finden können. Es gelingt ihm scheinbar problemlos, von einem Dialekt in den anderen zu wechseln, Emotionen zu verkörpern und im nächsten Moment wieder in den ruhigen Erzähl-Rhythmus zu wechseln. (Ungekürzte Lesung auf 4 CDs)
4.8 Stars (4,8 / 5)