Robert B. Parker: Der stille Schüler

Privatdetektiv Spenser bekommt einen neuen Auftrag: Eine alte Dame will nicht wahrhaben, dass ihr über alles geliebter Enkel ein Amokläufer sein soll, der in seiner eigenen Schule wahllos Lehrer und Schüler erschossen hat. Spenser ermittelt trotzdem dessen Schuld – und die vieler anderer.

17 Jahre ist Jared Clark alt. Oder jung – je nachdem. Er ist ein stiller Schüler, unauffällig, kein Außenseiter sondern ein Einzelgänger. Keine Geschichten mit Mädchen, obwohl er nicht schlecht aussieht, kein Sport, nichts Auffälliges. Und doch geht er eines Tages hin und erschießt gemeinsam mit jemandem, mit dem er sonst nichts zu tun hat, Menschen. Zumindest sieht es danach aus und alle wollen es glauben. Seine Lehrer, seine Eltern, die Polizei. Und dann kommt Spenser, angeheuert von der selbstbewussten Oma des Schülers, die an ihren Enkel glaubt. Und deckt in der vermeintlichen Vorstadt-Idylle die Abgründe auf.

Spenser ist cool, er sieht gut aus und weiß das, er versteht sein Handwerk und ist körperlich noch jedem Wichtigtuer überlegen. Und das verwunderlicherweise (oder besser: beneidenswerterweise?) bereits seit 1973. Der Detektiv, ehemaliger Profiboxer mit kurzer Polizeikarriere, altert nicht. Nettes i-Tüpfelchen: Sein bester Freund ist Auftragskiller mit optimalen Beziehungen in die Unterwelt. Die ihm auch hier mal wieder richtig gut was nützen.

Spenser gibt auch nicht auf, als seine Auftraggeberin kapituliert. „Ich finde mehr und mehr über immer weniger heraus. Am Ende werde ich alles über nichts wissen.“ Er riecht, dass hier was faul ist und er will jetzt wissen, was es ist. Seine ultracoole Art, seine rotzigen Dialoge mit Menschen, die glauben, er müsste sich vor ihnen fürchten, seine verletzliche Sehnsucht nach Susan, die mal wieder weit weg weilt und sein witziger Umgang mit Pearl, dem Hund, machen auch diesen Krimi aus Parkers Feder wieder aus. Dennoch: Irgendwie ist es trotzdem immer das Gleiche.

Der Autor wurde 1932 geboren und promovierte knapp 40 Jahre später über die „Schwarze Serie“ in der amerikanischen Kriminalliteratur. Bereits drei Jahre nach Erscheinen seines ersten Buches erhielt er den Edgar Award für den besten Kriminalroman des Jahres.
3.2 Stars (3,2 / 5)

Julia Volmert/Susanne Szesny: Der Zauberrabe oder Richtig sprechen lernen macht Spaß

Albert, der Rabe, lebt im Zauberland. Und er will zur Hexe Knoppenstedt. Durch seinen kleinen Sprachfehler landet er aber stattdessen in Lauras Puppenbett. „Tsuldigung. (…) Alle Schauberraben tönnen prechen. Nur ich tann es leider nicht so gut (…).“ So rechtfertigt sich Albert dafür, Laura ziemlich erschreckt zu haben. Doch das Mädchen versteht ihn erst mal gar nicht und bittet ihn langsamer zu reden.

Und da ist er schon, der erste Tipp der Autorin für den Umgang mit den kleinen Ungereimtheiten, die viele Kinder noch in ihrem Sprachfluss haben.

Langsam und deutlich spricht Laura, die früher selbst ‚Tindedaten‘ statt ‚Kindergarten‘ gesagt hat und daher weiß, wovon sie spricht, mit dem Raben den Zauberspruch und reist mit ihm in sein Reich. Dort begegnen sie kitzeligen Steintrollen, Einhörnern, die Reime mögen, lustigen Hexen, die beim Silbenklatschspiel nicht weiter kommen, Trollen, die den Mund nicht aufkriegen und die Hälfte der Sätze weglassen und endlich auch dem Zauberer, zu dem Albert gehört. Er ist überglücklich, seinen Raben wieder bei sich zu haben und schenkt Laura einen magischen Reisestein, mit dem sie jederzeit wiederkommen kann. Denn Albert muss erstmal noch kräftig sprechen üben, bevor er sich wieder ans Zaubern macht….

Ein typisches Buch aus der Feder von Susanne Szesny. Diese Illustratorin gehört definitiv zu meinen persönlichen Favoriten. Genau wie die Buchreihe aus dem Albarello-Verlag, die sich in regelmäßigen Abständen immer wieder mit Kinderalltagsproblemen beschäftigt und auf sanfte, spielerische Weise die Kleinen an ein bestimmtes Verhalten heranführt. Ob das nun Bert, der Gemüsekobold ist oder der berühmte Zauberer Windelfutsch. Oder aber auch heiklere Themen. Die Autorinnen Bärbel Spathelf und Julia Volmert sind sich in ihrer Art ziemlich ähnlich. In diesem Fall zeichnet Julia Volmert für den Text verantwortlich und ihr ist es gelungen, ein Bilderbuch herauszubringen, das im Rahmen der frühkindlichen Spracherziehung wichtige Tipps geben kann. Und das beim Vorlesen immer wieder so richtig Spaß macht. Meine Mädels können sich über die sprachlichen Besonderheiten des kleinen Raben kaputt lachen, der aufgeregt vor dem „titzeligen Teintroll“ warnt. Aber auch die Kobolde mit ihrer „Ey-Alder“-Sprache sind zum Piepen. Hier hätte ich mir fast noch ein bisschen mehr „Wiedererkennungseffekt“ mit manchem U-Bahn-Insassen gewünscht.

Die Autorin weist am Ende des Buches in einem kurzen Artikel auf ein paar Dinge hin, die beim Sprechenlernen wirklich wichtig sind. Sie gibt noch weitere Anregungen für Sprachspiele und regt dazu an, die detailreichen Bilder Susanne Szesnys zu nutzen um mit dem Kind ausführlich zu sprechen. Und definitiv: Zum Weiterlesen kommt man beim ersten Mal nicht wirklich, denn es gibt eine Menge in den Illustrationen zu entdecken.

Dieses Buch ist endlich mal wieder ein absolutes Highlight unter den Kinderbüchern!

Ach übrigens, nettes Extra ist auch diesmal wieder eine kleine Plüschfigur.
4.9 Stars (4,9 / 5)

Jessica Gregson: Die Engelsfrauen

Noch keine dreißig und Jessica Gregson war bereits Beraterin für das Britische Innenministerium, engagierte sich in Aserbaidschan und ist heute im Auftrag der UN auf humanitären Pfaden im Südsudan unterwegs. Und so ganz nebenbei hat sie einen Roman geschrieben, der das Zeug zum Bestseller hat.

Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein kleines, abgeschiedenes und ärmliches Dorf namens Falucska irgendwo in Ungarn. Außenrum nichts als Steppe. Puszta. Mittendrin oder doch besser am Rand der kleinen Gesellschaft lebt Sari Arany. Ihre Mutter starb bei ihrer Geburt, ihr Vater, als sie vierzehn war. Er war ein Heiler, ein angesehener Mann. Sari hat seine Fähigkeiten geerbt, viel von ihm gelernt und wird doch verachtet, weil sie anders ist, anders als die anderen. Das zweite Gesicht prägt ihr Leben. Solange sie denken kann, wurde sie von Getuschel begleitet. Das Mädchen kommt nach dem Tod des schützenden Vaters bei Judit unter, der gefürchteten aber in Ermangelung einer anderen Person mit medizinischen Kenntnissen, auch geachteten Hebamme.

Saris Mutter war eine beliebte Frau im Dorf gewesen und ihre Familie fühlt sich Sari irgendwie verpflichtet. Ihr angesehener Cousin Ferenc soll ihr Mann werden. Nicht gerade eine rosige Zukunft, aber immerhin überhaupt eine.

Doch dann kommt der Krieg und mit ihm gehen die Männer. Das Dorf bleibt in weiblicher Hand zurück. Die Karten werden neu gemischt, die Frauen arrangieren sich miteinander, verändern ihre Verhaltensweisen. Sie sind nicht nur zufrieden, sie sind glücklich. Und sie sind noch glücklicher, als eine Gruppe charismatischer italienischer Kriegsgefangener in der Nähe untergebracht wird. Die Jahre, in denen ihre eigenen Männer weit weg von zuhause leiden, lassen die früher oft geschundenen und missbrauchten Frauen von Falucska aufleben. Doch irgendwann ist der Krieg vorbei, die Männer kehren zurück, psychisch und physisch geschädigt und die alten Rechte einfordernd. Doch die Frauen sind nicht mehr bereit, zurückzustecken. Und mit Saris und Judits Hilfe lässt ein Mann nach dem anderen sein Leben…

„Die Engelsfrauen“ ist ein Roman, der von der ersten bis zur letzten Seite packend ist. Den Leser hineinzieht in die ungarische Steppe. Man spürt den Staub auf der Haut, die Einsamkeit, die Trostlosigkeit. Und man spürt die Verzweiflung der Frauen, die irgendwann in Leichtsinn und Übermut umschlägt und damit zur Unvorsichtigkeit führt.

Das Buch soll auf wahren Begebenheiten basieren, die allerdings laut Autorin stark abgewandelt und fiktionalisiert wurden. Die von Jessica Gregson gewählte Sprache ist einfach, die Geschichte in sich schlüssig und rund. Eingefasst in Prolog und Epilog, wobei das Ende der Fantasie freien Lauf lässt. Viel Roman, ein bisschen Krimi und ein guter, aber nicht übertriebener Spannungsbogen.

Das Buch ist im Original 2006 in England erschienen. Die direkte Übersetzung des Titels „The Angel Makers“ hätte im Deutschen zur Verwirrung geführt. Anzunehmenderweise der Grund für die Übersetzerin Annette Wetzel, sich für Engelsfrau statt Engelmacherin zu entscheiden. Die deutsche Ausgabe ist seit September 2007 bei Kindler zu haben.

Und auch ihr nächstes Buch, an dem die Autorin gerade arbeitet, wird sich wieder mit Außenseitern beschäftigen, wieder auf wahren Begebenheiten beruhen und wieder während des Ersten Weltkriegs spielen. Diesmal allerdings inmitten von türkischen Einwanderern in Australien. Man darf gespannt sein, ob Jessica Gregson ihren Level halten kann.
3.7 Stars (3,7 / 5)

Rainer Gross: Grafeneck

Nazis hat es nicht gegeben in dem kleinen Ort auf der Schwäbischen Alb. Natürlich nicht. Keiner hat was gewusst, damals, vor über fünfzig Jahren. Und es hat auch keiner was wissen wollen. Damals. Doch jetzt müssen sie sich erinnern, die Alten. Denn einer ihrer Söhne zwingt sie ungewollt dazu.

Der Lehrer Hermann Mauser ist etwas verschroben, wie viele im Dorf. Man hat so seine Eigenheiten und eine seiner Eigenheiten ist das Durchforschen der letzten Höhlenwinkel in der Gegend. Bisweilen findet er auch was, Reliquien anderer Epochen, eine Mumie allerdings war vorher noch nicht dabei. Der mumifizierte Körper trägt einen Anzug aus einer Kleiderfabrik ganz in der Nähe, die allerdings seit rund fünfzig Jahren nicht mehr existiert. Und er trägt ein Kreidekreuz auf dem Rücken. Das Zeichen, das Behinderten aufgemalt wurde, bevor sie nach Grafeneck abtransportiert und dort misshandelt und vergast wurden. Mauser weiß das, seine Schwester war eine von ihnen und wie sich herausstellt, kam die Kugel, mit der der Mann ermordet wurde, aus seines Vaters Waffe. Das Bild seines Erzeugers fällt in sich zusammen, Fragen werfen sich auf. Hat der Selbstmord der Mutter nach dem Abtransport der Tochter den Vater Recht nicht mehr von Unrecht unterscheiden lassen?

Mauser macht sich auf die Suche nach der Geschichte hinter der Geschichte und arbeitet teilweise mit, teilweise gegen und teilsweise parallel zum herbeorderten Kommissar. Und dabei entwickelt sich zwischen den beiden sogar so etwas wie Freundschaft.

Es ist ein Debüt und es ist gelungen. Gross verwendet eine Sprache, die einfach ist, unblumig, nüchtern beschreibend – kurze, prägnante Sätze:

„Die grau gestrichenen Busse. Weiß vermalte Fenster. Dahinter sind sie gesessen, im Sonntagsstaat, Kreidekreuze auf dem Rücken, wussten nicht, was mit ihnen vorging, wussten nicht, wohin sie gebracht wurden. (…) In Buttenhausen wusste man nichts. Bis die Öfen gequalmt haben und der Rauch in Marbach sichtbar war. Bis Gerüchte durchsickerten. Bis die Busfahrer in die Enge getrieben wurden und von dem berichteten, was sie gesehen hatten.“

Das Buch ist in der Tat, wie auf dem Klappentext beschrieben, ein Krimi – mit allen Facetten der menschlichen Traurigkeit. Unter einem „dunklen Heimatroman“ allerdings stelle ich mir etwas anderes vor, ich würde das Buch als dunklen melancholischen Kriminalroman bezeichnen und dann kommt es ungefähr hin.

Der Autor wurde 1962 in Reutlingen in Baden Württemberg geboren. Er studierte Philosophie und Literaturwissenschaft in Tübingen und hängte danach noch ein Studium an einem theologischen Seminar dran. „Grafeneck“ ist seine erste Buchveröffentlichung.
3.6 Stars (3,6 / 5)

Claudia Schreiber: Ihr ständiger Begleiter

Religiöser Eifer und Gottesfürchtigkeit im wahrsten Wortsinne umgeben Johanna schon ihr ganzes Leben lang. Sie ist Mitglied einer strengen Gemeinde, ihr Vater deren Oberhaupt. Lange dunkelblaue Röcke, hochgeschlossene Blusen, zusammengebundene Haare und weder Schmuck noch Schminke, ganz züchtig und unterwürfig – das ist die eine Johanna. Rebellisch, lüstern und mit weltlichen Wünschen ausgestattet, die andere. Zwei Seelen wohnen in ihrer Brust und zwar genau seit dem Moment, in dem Rob, der Holländer auftaucht. Doch das passt Gott, ihrem ständigen Begleiter, überhaupt nicht!

Am besten an dem ganzen Hörbuch sind die von Ulrike Grote und Dietmar Mues verkörperten Zwiegespräche zwischen Johanna und Gott höchstpersönlich. Davon hätte es ruhig etwas mehr sein dürfen. Die Unterhaltung entbehrt nicht einer gewissen Bissigkeit. Und es bleibt auch nicht bei der Kommunikation auf der verbalen Ebene, was das Ganze noch brisanter macht.

Besonders gelungen ist der Part, in dem sich Gott darüber beschwert, dass zwar am Anfang das Wort war, am Ende aber die Sprachlosigkeit steht – Sprachlosigkeit deswegen, weil ihm alle das Wort im Mund rumdrehen. Sein Vorschlag für ein elftes Gebot wäre daher: Ruhe im Stall! Gott hat die Nase gestrichen voll von den Menschen. Manche, die seinen Namen im Munde führen, würde er nicht mal mit der Kneifzange anfassen und er sagt von sich selbst, er habe eine Meise – eingestellt als Pressesprecherin.

An diesen Stellen ist das Hörbuch wirklich witzig, und so, wie Dietmar Mues Gott vertont, genau so könnte man ihn sich vorstellen, alt, knurrig, egoistisch und doch liebenswert – irgendwie. Johannas Zwiespalt, ihre Zweifel und ihre Verzweiflung fügen sich in die Schicksale der Menschen um sie herum, alle geprägt von ihrem Vater und seinem strengen Gemeindelebenregiment. Hinter dem wiederum die eigenen seelische Abgründe vertuscht werden.

Die Autorin, übrigens selbst lange Jahre Mitglied einer Baptistengemeinde und vor allem durch „Emmas Glück“ bekannt geworden, liest ihr Hörbuch zum großen Teil selbst und es ist sehr angenehm, ihr zuzuhören. Kein Wunder, Claudia Schreiber kommt unter anderem aus dem Hörfunkbereich.
3.8 Stars (3,8 / 5)