Daniel Bielenstein: Das richtige Leben

Karl Ho Bob Krämer wurde 1967 mitten in einer Demo auf einem Ho-Chi-Minh-Plakat geboren. Ebenso seine Zwillingsschwester Janis. Dieses Ereignis, von der Umgebung zunächst als Happening verstanden, ist der perfekte Anfang für das Leben eines Menschen, der von liebenswerten Chaoten umgeben in WGs aufwächst, dessen Mutter regelmäßig nach Poona zieht und dessen Vater mit allen seinen Studentinnen schläft. Ho versucht anders zu sein, spießig, aber es gelingt ihm nicht. Und spätestens als seine Freundin Celia schwanger wird, lichtet sich sein persönlicher Nebel.

„Celias Lieblingsphilosoph heißt Sören Kierkegaard, ein alter dänischer Dandy, der sein Leben auf Partys zugebracht hat, obwohl er eigentlich ein todtrauriger Mensch war. Dieser Kierkegaard hat gemeint, dass das menschliche Grundproblem darin besteht, dass man das Leben nur rückwärts verstehen könne, aber dass man es vorwärts leben müsse. Mir kommt diese Meinung ziemlich optimistisch vor, weil ich überhaupt nichts verstehe, weder vorwärts noch rückwärts….“

Ho ist Chef einer kleinen Designagentur, seine Mitarbeiter machen, was sie wollen, seine Eltern sind nach wie vor so durchgeknallt wie in den Siebzigern, nur anders, seine Schwester weiß genau so wenig was sie will wie er selbst. Nachdenken will er. Darüber grübeln, ob das Wohnen in Kommunen bei ihm zu Bindungsunfähigkeit geführt hat, ob all die Joints, die seine Eltern geraucht haben, vielleicht sein und nicht ihr Hirn vernebelten, warum er seine Großeltern mit ihrem geregelten Leben so bewundernswert fand und wie man sich eigentlich im Jahr 2004 zurechtfinden soll. „Ich horche in mich selbst hinein, und zwar ungefähr so, wie die Leute vom Seti-Programm ins Weltall hineinhorchen, immer in der Hoffnung, dabei auf so etwas wie Intelligenz zu stoßen.“ Bei Schwierigkeiten macht er sich vom Acker und eine ungewollte Schwangerschaft könnte man ja durchaus als Schwierigkeit bezeichnen….

Ein Tag und das Buch ist durch. Mit einem dauerhaften Grinsen im Gesicht kann man sich komplett in Karl Ho Bob Krämers Leben hineinfallen lassen. Daniel Bielenstein, selbst Jahrgang 1967, versorgt den Leser mit einer Familiengeschichte, die, obwohl sie kein Klischee auslässt, trotzdem genau so gewesen sein könnte. Mit „revolutionärem Augenzwinkern“ nimmt er den Protagonisten und seinen verqueren Anhang auf die Schippe, wortgewandt und wortwitzig sorgt er für äußerst kurzweiliges Lesefutter. Schön.
4.4 Stars (4,4 / 5)

Yasmin Crowther: Die Farbe von Safran

Sara ist halb Iranerin, halb Engländerin, in Großbritannien aufgewachsen und glücklich mit einem der dortigen Inselbewohner verheiratet. Sie ist schwanger. Und verliert durch die Schuld ihrer Mutter ihr Baby.

Besagte Mutter Namens Maryam Mazar wurde als junges Mädchen unschuldig aus dem iranischen Familienclan vertrieben. Lernte in England ihren Mann kennen, gründete eine Familie und versuchte zu vergessen. Gelungen ist ihr das nie. Die alten Traditionen und die Sehnsucht nach ihrer Heimat waren so in ihr verankert, dass es immer wieder zu depressiven Phasen kam unter denen ihre Familie sehr gelitten hat.

Nachdem Sara das Baby verloren hat und aus Kummer den Kontakt zu ihrer Mutter abbricht, beschließt diese voller Schuldgefühle, alles zurückzulassen und in den Iran zurückzukehren. Um dort die Vergangenheit aufzuarbeiten. Sara folgt ihr. Und erst jetzt wird ihr klar, was damals wirklich geschehen ist und wie zerissen ihre Mutter zwischen islamischer Tradition und christlichem Denken wirklich ist.

Dieses Buch über Kränkung und Vergebung saugt einen ab der ersten Seite auf. Farben, Gerüche, Stimmungen sind so anschaulich beschrieben, dass man das Gefühl hat, alles selbst wahrzunehmen. Die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung, die Probleme einer binationalen Ehe, die interkulturellen Unterschiede machen dieses Buch aus. Die Autorin wechselt zwischen der Sicht aus Saras Position immer wieder zu einem neutralen Erzählton, der die Hintergründe und das Geschehen in dem kleinen iranischen Dorf beleuchtet. Damals und heute.
4.4 Stars (4,4 / 5)

Sylvia Heinlein: Sonnige Weihnachten, Matz!

Die Eltern von Matz wollen Weihnachten mal anders feiern. In Florida bei seiner Tante. Bei strahlendem Sonnenschein und unter Zitronenbäumen. Das findet Matz so richtig bescheuert.

Er will Schnee, echten Schnee, er will einen Tannenbaum, der nicht aus Plastik ist und er will einen Weihnachtsmann. Matz ist sauer, aber er gibt nicht auf. Und tatsächlich gelingt es ihm, Weihnachten so richtig weihnachtlich werden zu lassen. Bis dahin allerdings macht die ganze Familie einiges mit, da drüben in Amerika.

Dieses Buch ist das Optimale für einen Kuschelnachmittag am Kamin. Man kann es beim (Vor-) Lesen gar nicht erwarten herauszufinden, was Matz als Nächstes vorhat auf seinem Weg hin zu einem richtig deutschen Weihnachtsfest.
3.4 Stars (3,4 / 5)

Marie Fenske: Kontiki & Casablanca – das Schaf im Storchennest

Was, wenn man irgendwo zuhause ist und doch nicht richtig dorthin hingehört? Was, wenn alle anderen sich ähnlich sind, man selbst aber ganz anders ist? Und man einfach nicht versteht, warum. So geht es Casablanca, einem kleinen Lamm, das von Storcheneltern aufgezogen wird.

Eine Schafsfrau bekommt Zwillinge und eines davon kullert ihr des nächtens davon. Und wird von Vater Adebar gefunden. Er hält das weiße runde Knäuel für ein aus dem Nest gefallenes Junges und bringt es seiner Frau, die das Lamm auch sofort unter ihre Fittiche nimmt. Sie nennt es Casablanca. Die Storchendame vermutet nämlich, in Afrika etwas Falsches gegessen zu haben – denn dieses Kind ist so anders. Die Eltern sind verunsichert und sie rufen den Storchenrat an. Nach langen Beratungen kommt es zu folgender Entscheidung:

„Dieses Kind ist anders als wir und deshalb ist es wichtig. Es soll das Futter bekommen, das es gerne hat. Wir wollen versuchen, seine Sprache zu verstehen. Dann lernt es sicher auch unsere. Und bestimmt wird eine besondere Persönlichkeit aus ihm – es sieht ganz danach aus.“

Doch spätestens als die anderen Storchenkinder flügge werden, merkt Casablanca, dass er nicht glücklich ist. Kontiki, ein Kobold, wird ihm ein guter Freund und er hilft ihm, seinen Platz im Leben zu finden.

Dieses Kinderbuch ist einfach rundweg wunderschön. Die Geschichte vom Findelkind, vom Kind, das anders ist, ist einfühlsam erzählt und sprachlich äußerst ansprechend umgesetzt. Die Bilder dazu stammen von der Autorin selbst und sind so weich gezeichnet, dass man sie stundenlang betrachten könnte. Ein I-Tüpfelchen ist die von Meike Range hinzugefügte Landkarte, die zeigt, wo genau die Geschichte gerade spielt….

Maria Fenske lebt heute in der Nähe von Düsseldorf. Sie „malt, seit sie 1954 geboren wurde, und Geschichten erzählt sie, seit sie sprechen kann.“ (Aussage ihrer Mutter). Ihr liegen nach eigener Aussage vor allem die Kinder am Herzen, die aus dem Nest gefallen sind, die kein Nest mehr haben oder zu weit davon entfernt sind.

„Kontiki & Casablanca“ eignet sich übrigens auch sehr gut als Gesprächsgrundlage für Themen wie Adoption oder auch Behinderung.
4.7 Stars (4,7 / 5)