Marie Reiners: Frauen, die Bärbel heißen – gelesen von Katja Riemann

Bärbel Böttcher lebt sehr zurückgezogen mit ihrer kleinen Mischlingshündin Frieda am Rande einer Kleinstadt. Sie will keinen Kontakt zu anderen Menschen, zeigt fast schon autistische Züge und geht voll auf im Präparieren von Tierkadavern. Es genügt ihr, sich von Tartar zu ernähren, den Shoppingkanal zu schauen und ansonsten die Welt draußen zu lassen. Als sie bzw. eher ihr Hund allerdings durch Zufall im Wald eine Leiche findet, ist es vorbei mit der Ruhe. Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse und Bärbel steckt mitten in einer Art Krimi. Die Gattin des Ermordeten ist ihr genauso auf den Fersen wie die Lokaljournaille. Und plötzlich lernt sich die Mittfünfzigerin von einer ganz anderen Seite kennen.

Am besten sind die Geschichten rund um die rabenschwarze Geschichte. Zum Beispiel die, in der Bärbel erzählt, wie sie ihre Eltern, die sich umgebracht haben, beseitigt hat, damit sie nicht in eine Pflegefamilie muss. Allein die strohtrockene Art der Protagonistin und die wie dafür geschaffene Sprecherin sind dieses Hörbuch schon wert. Allerdings ist man sich oft nicht ganz sicher, ob man laut rauslachen oder vor Fremdscham versinken möchte.

Inés Brock: Wie die Geburtserfahrung unser Leben prägt

Die letzten Jahrzehnte können wir uns in vielen Dingen nicht gerade auf unsere Fahnen schreiben und die Geburtshilfe gehört zweifelsohne dazu. Wir haben verlernt auf unsere innere Stimme zu hören und gehorchen stattdessen regelrecht dem Diktat von außen. Beziehungsweise dem der Medizin. Dabei ist auch ein ganz elementares Wissen fast verlorengegangen: Das Wissen um die Relevanz von Schwangerschaft und Geburtserlebnis und um deren Auswirkungen auf unser weiteres Leben. Der Kaiserschnitt ist zum Alltag geworden, jede kleine vermeintliche Schwierigkeit lässt so manchen Arzt schon zögern. Allein die Tatsache, dass Ärzte statt Hebammen gefragt werden, sagt alles. Doch langsam drängt eigentlich sehr altes Wissen wieder an die Oberfläche und wir erkennen, dass unser Leben nicht erst dann beginnt, wenn wir unseren ersten Schrei von uns geben. Und dass es durchaus ausschlaggebend sein kann, unter welchen Umständen dies geschieht. Stärkt man das Selbstvertrauen einer Frau im Vorfeld und lässt sie dann während der Geburt selbst entscheiden, welche Position sie zum Beispiel einnimmt, dann spürt man, das sie intuitiv weiß, was sie tut.

Das Angenommen-, das Willkommensein ist enorm wichtig für einen Menschen. Erwachsene, die schon als Ungeborene nicht gewollt waren, kämpfen in ihrem Leben häufiger mit Ängsten und Depressionen, mit Suchtproblemen und Kriminalität. Nicht grundlos gehen Therapeuten in ihrer Arbeit immer weiter zurück im Leben eines Menschen, oft bis zur Zeugung. Denn die pränatale Phase kann, genau wie die ersten Lebensmonate, entscheidend prägend sein.

„Das neue Wissen um die lebensgeschichtliche Bedeutung von Schwangerschaft und Geburt und früher Entwicklung stellt also die Gesellschaften vor neue Verantwortlichkeiten im Umgang mit Schwangerschaft und Geburt“ heißt es in einem der Artikel. Eine Verantwortung, die wir alle ernst nehmen sollten: Schwangere Frauen genauso wie Hebammenschüler von heute und morgen, Wissenschaftler, Psychologen und Therapeuten und vor allem Ärzte.

Inés Brock ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin, Supervisorin und Erziehungswissenschaftlerin und hat in diesem Buch zahlreiche Beiträge von unterschiedlichen Berufsgruppen zum Thema zusammengefasst. Bei allen kristallisiert sich heraus: Die Geburt ist ein zentrales Ereignis für den Menschen und die Autoren thematisieren durchaus auch die Einwirkungen der medizinischen Möglichkeiten, das Nicht-Abwartenkönnen der heutigen Zeit und die Folgen, die ein negatives Geburtserlebnis auf einen Menschen haben kann.

Brichzin/Kuprin: Der Junge im Rock

In einem Rock bekommen die Beine Luft und das findet Felix schön. Seine Mama und sein Papa haben dafür Verständnis, andere nicht. Sie finden das komisch, wenn ein Junge Röcke und Kleider mag. Sie tuscheln hinter Felix Rücken. Und die anderen Jungs wollen nicht mehr mit ihm spielen. Felix ist nicht mehr glücklich, Felix ist traurig. Doch da hat Papa eine tolle Idee …

Dieses Bilderbuch ist mutig. Und total cool. Es ist eine Geschichte über Toleranz, Verständnis, über Respekt und die Tatsache, dass jeder so leben soll, wie er möchte. Und es ist eine Geschichte, die zeigt, wie wichtig für ein Kind die Liebe der Eltern als Rückhalt ist. Auch und gerade, wenn man eben nicht so ist wie die anderen. Individuell eben. So als Individuum.

Kristina Dunker: Der Zauberkaugummi

Plötzlich steckt Mia im Körper ihrer Lehrerin fest, stackelt auf ihren Pumps durchs Lehrerzimmer und muss sich entsprechend benehmen. Auf der anderen Seite tanzt Frau Strerup durch den Schulhof und genießt ihre Freiheit.

Schuld ist ein Zauberkaugummi, den die Freundin der Lehrerin „entworfen“ hat und so ganz sicher ist sich Mia nicht, ob Frau Strerup nicht zumindest ahnte, was es mit der Süßigkeit auf sich hat. Zu unverhohlen genießt die Erwachsene ihre plötzliche Freiheit, die ihr dank des Tausches in den Schoß gefallen ist. Soll ja auch nur für eine Pause sein. Doch dann sind plötzlich der Kaugummi und damit der Weg zurück verschwunden und Mia muss es noch länger im Körper der Erwachsenen aushalten. Zunächst eine Tortur. Doch Stück für Stück findet sie Gefallen daran …

Eine phantasievolle Geschichte, die zeigt, dass die, von denen man es glaubt, auch nicht immer glücklich sind. Und sich hinter jeder Fassade eine Menge anderer Dinge verbergen.

Donaldson/Ogilvie: Nelli Spürnase und die verschwundenen Bücher

“Spürnase“ wird sie von allen genannt, denn Nellis Geruchssinn ist stadtbekannt. Sie schnüffelt mal hier, sie schnüffelt mal dort. Geschah ein Verbrechen? Sie riecht es sofort.

So beginnt die Geschichte, deren Hauptperson ein neugieriger und intelligenter Hund ist. Nellie gehört zu Peter, der reichlich unordentlich ist und dem sie mit ihrer Fähigkeit schon so manches Mal aus der Patsche geholfen hat. Doch ihre Lieblingszeit ist die Lesestunde am Montag, zu der Nellie ihren Peter immer begleitet. Doch eines Tages sind plötzlich die Bücher verschwunden. Doch Nellies Spürnase entgeht nichts und sie jagt mitsamt der Kindermeute quer durch die Stadt, um den Bücherdieb zu fangen. Doch als sie ihn haben, ist alles anders als sie dachten …

Ein Bilderbuch nicht nur für Tierliebhaber. Die Zeichnungen von Sara Ogilvie sind anschaulich und bunt, der Text prägt sich durch die Reime gut ein und die Geschichte ist wirklich mal etwas anderes und hat einen schönen Lerneffekt.

Elke Satzger: Ärger auf Etage 6

Mia wohnt im Klawusterweg. Auf der Hochhausseite. Nicht auf der Reihenhausseite wie ihre Freundin. Sie lebt dort mit ihrer Mutter alleine – und die ist, wie die meisten Alleinerziehenden nicht wirklich oft zuhause. Mia hat also eine Menge Zeit, um sich Gedanken zu machen über die neue Bewohnerin. Über das Skelett auf ihrem Balkon, ihre zwei Schlangen und das, was sie wohl fressen und über seltsame Diebstähle. Das lenkt sie ein wenig ab von ihren eigenen Problemen. Von Papa, der einfach weg ist und von den zwei Jungs, die ihr das Leben zur Hölle machen und sie bei jeder Gelegenheit unter Druck setzen. Doch dann lernt sie Donnertrud Salami kennen. Und versteht, dass der erste Eindruck nicht immer der richtige ist.
Donnertrud zeigt ihr, wie man sich zur Wehr setzt und sorgt dafür, dass am Ende alles gut wird.

Ein schönes Kinderbuch, von dem man sich als Vorleser gleich ein zweites wünschen würde. Mit Witz, Verstand, Gefühl und den richtigen Worten. Und immer erwähnenswert: geeignet für Jungs und Mädchen im Grundschulalter gleichermaßen. Naja, für Mädchen vielleicht ein bisschen mehr.

Guillermo del Toro: The Shape of Water

Wir Menschen glauben immer besser zu sein als die anderen Wesen. Wir glauben sie zu kennen, das Recht zu haben, sie zu erforschen. Und zu quälen. Doch nicht jeder will das hinnehmen. Elisa jedenfalls kann es nicht, als sie merkt, wer im Labor, in dem sie putzt, gefangen gehalten wird. Grausam gefangen gehalten wird. Es ist ein Wesen, halb Mann, halb Amphibie und es hat Gefühle. Die beiden nähern sich an, heimlich. Nicht einmal Elisas beste und einzige Freunde wissen davon, spüren nur, dass etwas nicht stimmt mit ihrer Freundin. Der Frau, für die Schuhe Freiheit bedeuten und die nicht auf herkömmliche Weise sprechen kann.
Als sich die Situation im Labortrakt F-1 zuspitzt, beschließt Elisa, alles zu riskieren, um die Liebe ihres Lebens zu retten.

Kitschig, mag man zuerst denken. Aber kitschig ist dieses Buch überhaupt nicht. Stattdessen zeichnet es spannende Psychogramme der einzelnen Protagonisten, führt Stränge zusammen und öffnet Fantasie-Tore. Das hat auch Hollywood bemerkt und die Geschichte verfilmt.