Jackie Asadolahzahdeh: Apple zum Frühstück

Jackie A. ist das, was man ein Berliner Original nennt. Eine Königin der Nacht, die sich mit diversen Jobs über Wasser hält – frei nach dem Motto: Lieber Disco als Dispo, deren Haarfarbe genauso häufig wechselt wie ihre Männer und die noch in einer Zeit geboren wurde, als es weder Internet noch Handy gab. Analog geboren – digital erwachsen verbindet sie altertümliche Tagebucheinträge mit Blogs. Was sie beschreibt, ist teilweise skurril und spiegelt doch immer wieder den biederen Kern wider, der selbst in den verrücktesten Nachtschattengewächsen schlummert. Eindrücklich zeigt Jackie A. dem Leser die Welt, in der man noch vor ein paar Jahren weder Geld noch Statussymbole brauchte, um jemand zu sein und die sich heute nicht unbedingt zu ihrem Vorteil verändert.

In einem Interview hat die in zwischen nicht mehr ganz so junge Dame einmal gesagt, dass sie, wie alle Kreativen vom Kind in sich lebt und das Nachtleben ihr Spielplatz sei. Trotzdem lässt sie keinen Zweifel daran, wie schnell selbst dort das Spiel zum Ernst des Lebens werden kann.

Ein Buch, das sich hervorhebt aus der Masse. Das aber auch genau für die gar nicht gedacht ist.
2.7 Stars (2,7 / 5)

Renate Ahrens: Seit jenem Moment

Es geht um Paula. Die, als sie die Nachricht vom Selbstmordversuch ihres Vaters hört, zum ersten Mal so richtig aus der Bahn geschmissen wird. Ist ihr Leben sonst doch eher ruhig und zufrieden. Sie malt die immer wieder gleichen Auftragsbilder für eine Galerie, lebt mit dem liebevollen Journalisten Jakob zusammen und hat sich gegenüber der Probleme ihrer Familie immer erfolgreich verschlossen. Doch jetzt kann sie das nicht mehr. Einmal an der Oberfläche gerüttelt, kommt Entsetzliches zutage: Paulas Tante Luise ist im Alter von drei Jahren ums Leben gekommen und wurde danach totgeschwiegen. Dieses Tabu und die Nichtverarbeitung der Trauer hatten gravierende Folgen für jedes einzelne Familienmitglied und legen sich nun auch wie ein Schatten über Paulas Seele. Sie kann nicht mehr malen, entwickelt regelrecht Abscheu gegenüber ihrer Arbeit und zieht sich völlig in sich selbst zurück. Doch dann kommt der Wendepunkt und Paula beginnt, an dem Tabu zu rütteln. Was für sie nicht nur künstlerisch gravierende Folgen hat, sondern auch menschlich.
Dieser Roman reiht sich perfekt ein in die bisherigen der Schriftstellerin Renate Ahrens. Und könnte typischer für sie gar nicht sein. Es sind die seelischen Abgründe, die diese Frau interessieren. Das, was unter einer nach außen glatten Oberfläche brodelt und jahrelang mit Gewalt heruntergedrückt wird. Besonders gut zeigt sich das in der Figur des Vaters, der durch seine vermeintliche Schuld am Tod der kleinen Schwester sein Leben lang depressiv war. Nicht ganz so gelungen dagegen ist die Figur des kaltherzigen Großvaters bzw. deren Auflösung. Renate Ahrens verpasst ihm eine Demenz, die sein Wesen sich öffnen lässt und in rasender Geschwindigkeit für Aufklärung und Aussöhnung sorgt. Die Facetten, die gerade hinter dieser Figur stecken, kommen ein wenig zu kurz. Der trauernde Vater hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Genauso wie die Tatsache, warum er sich dem Willen seiner gramgebeugten Frau unterordnete, die Luises Tod auslöschen will durch die Geburt eines weiteren Mädchens, die grausam den Buben seelisch vernachlässigt und herrisch versucht, alle unter Kontrolle zu halten. Und der es fast gelungen wäre, nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Nachkommen auf einer inneren Ebene total zu zerstören.
4.1 Stars (4,1 / 5)