Clara wurde bei einem Einbruch niedergeschlagen, fiel ins Koma und hatte eine Amnesie, als sie wieder aufgewacht ist, erkennt nicht einmal mehr ihre eigenen Mann. Soweit, so logisch. Aber irgendwie hat die junge Frau das Gefühl, dass hier irgendetwas komisch ist. Vor allem die Tatsache, dass sie keinen einzigen Freund, keine Freundin auf der Welt hat, scheint ihr seltsam. Ihr bleibt nur Roland, ihr Mann und sie versucht, sich auf das Neue, bekannte Unbekannte einzulassen. Doch dann kommt es zu einem Mordanschlag – und nur ein Erinnern kann das Überleben sichern.
In dieser Geschichte gibt es nicht nur eine Wende, sondern gleich mehrere. Immer, wenn man glaubt, man hätte eine Ahnung, wer der Mörder sein könnte, wird man wieder hinters Licht geführt. Die Autorin, die bisher nur für andere geschrieben hat, versteht etwas vom Schreiben, das spürt man sofort. Und Beate Rysopp versteht etwas vom Erzählen. Ein Hörbuch, das mit ca. neun Stunden lang, aber keine Sekunde langweilig ist.
(4,5 / 5)
Archiv der Kategorie: Debüt
Sharon Guskin: Noah will nach Hause
Janie ist alleinerziehend, ihr kleiner Sohn Noah ist das Ergebnis eines schönen Urlaubsmomentes. Und auch, wenn das Leben für die junge Frau nicht einfach ist, sie kommen rum, Noah und sie. Doch immer öfter gibt es Schwierigkeiten. Im Kindergarten verhält sich Noah nicht altersangemessen, erzählt Dinge, von denen er nichts wissen sollte, hat fürchterliche Alpträume und ist nur mit mehr als sanfter Gewalt dazu zu bringen, sich waschen zu lassen. Und zuhause ruft er verzweifelt nach seiner Mutter, obwohl diese ihn doch im Arm hält. Dass all das etwas seltsam ist, das ist auch Janie klar und als der Kindergarten Noah freistellt, bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihre Ersparnisse dafür zu verbrauchen, von einem Spezialisten zum anderen zu rennen. Doch keiner kommt zu einem Ergebnis. Tabletten solle sie ihm geben, Schizophrenie steht im Raum – bis plötzlich ein alter Mann das Leben der beiden kreuzt. Der Psychologieprofessor beschäftigte sich Zeit seines Lebens mit Wiedergeburt und wittert hier seinen letzten großen Fall – denn die Demenz schreitet bei ihm fort und sein Buch, das Werk, das endlich dazu führen soll, dass die Kollegen ihn anerkennen, ist noch nicht fertig. Die Reise in die Vergangenheit, die diese drei Menschen nun antreten und das, was sie damit lostreten ist zum einen spannend, zum anderen aber auch fast schon gruseliger als so mancher Thriller. Eingebettet in von Wissenschaftlern dokumentierte Fälle, wird der Leser an die Reinkarnation und ihre möglichen Auswirkungen herangeführt. Und dabei erstaunt es nicht, dass die meisten Fälle aus Indien und Sri Lanka stammen.
Es ist das Debüt einer jungen Autorin und der englische Titel „The Forgetting Time“ passt deutlich besser. Zum einen scheinen Kinder, die sich an ein früheres Leben zu erinnern vermögen, dieses im Lauf der Jahre zu vergessen, zum anderen ist auch die Aphasie, die den alten Professor im Griff hat, ein schmerzhafter Vergessensprozess.
Das Buch ist, gerade auch durch seine Unterbrechungen, nicht ganz einfach zu lesen. Harter Tobak und nicht für Jedermann geeignet. Aber das Buch regt zum Nachdenken an und auch wenn die Geschichte des kleinen Noah nur erfunden ist, so mag es doch sein, dass es viele Kinder gibt, die in einer solchen Situation feststecken. Wer mag etwas bezweifeln, was für viele Religionen selbstverständlich ist?
(3,0 / 5)
Anne Mairo: Kleopatra im Aquarium
Sie ist Teil des Berliner Autorenkombinats Kommando Torben B. und ihrer Sprache merkt man an, dass sie jung und irgendwie hip ist. Klingt nach dem Klassiker – entweder Werbeagentur oder Newsroom. Anne Mairo hat mit der Figur der 29-jährigen Halbitalienerin Mona – die übrigens, wen wundert’s, in einer Werbeagentur ihr Geld verdient – eine kleine tragisch-komische Protagonistin geschaffen. Mona beschäftigt sich beruflich mit Energydrinks, die, warum auch immer, sexy sein sollen und privat mit Dennis, der diesbezüglich deutlich mehr aufzuweisen hat. Das Leben läuft rund für sie. Bis ihre Tage ausbleiben und das nicht das bedeutet, was es normalerweise bedeutet…
„Kleopatra im Aquarium“, der Titel ist gut. Der Stil auch, aber der Story fehlt irgendetwas. Man liest, und man liest durchaus interessiert und plötzlich nähert man sich dem Ende und wundert sich, wo der Höhepunkt oder wenigstens die Wendung bleibt. Fragt sich, warum Mona sich so stur weigert, sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen. Trennung vom Traummann? Kein Problem. Anderer Lebensweg als vorgesehen? Was soll’s. Das dürfte vielen Lesern gerade bei so einem sensiblen Thema deutlich zu wenig sein. Andererseits sprüht das Buch stellenweise auf eine reizvolle, intelligente Art. Angeblich wird der Leser, oder wahrscheinlich doch eher die Leserin, nach der Lektüre die 30er Generation und ihre Lebenswelt besser verstehen werden, ob dem wirklich so ist und ob die in den 1980ern Geborenen tatsächlich so oberflächlich sind, mag jeder selbst beurteilen. Lesenswert ja. Aber nur, wenn man gerade nicht auf wilde Flüsse, sondern auf plätschernde Bäche steht.
(3,0 / 5)
Laura Lackmann: Die Punkte nach dem Schlussstrich
Momentan sind sie groß im Rennen, die scheiternden Großstadtmenschen, die einsamen Wölfe, die psychisch Angeschlagenen, die Zerrissenen – und sie haben es auch Laura Lackmann angetan. Ihre Protagonistin Luzy ist die typische Großstadtpflanze, die den Großteil ihrer Kraft in die Liebe investiert – beziehungsweise in das, was sie dafür hält. Regelrecht besessen ist sie davon, zu lieben und geliebt zu werden, die perfekte Frau zu sein: „Ich wollte Apollo unbedingt lieben. ‚Ich liebe dich.‘ Apollo sagte nichts. Nur ein leises, zartes Männerseufzen, das mich wie ein Soundtrack durch mein ganzes Leben begleiten würde.“ Sie sieht sich als Rumpf, der einmal neben einen Mann gepflanzt, dort erst wieder weg kann, wenn dieser sie zerstört. Würde alles für ihn tun. Die familiären Hintergründe sind für ein solches Verhalten wie geschaffen: der Vater ein depressiver Maler, die Mutter Pornodarstellerin – eine Hassliebe vom Feinsten. Luzy ein unerwünschtes Kind, das sich keine Gefühle erlaubte und lange Zeit als autistisch galt. Dass mit ihr etwas nicht stimmt, weiß sie selbst und das spürt auch der Leser nonstop – sie macht immer wieder die gleichen Fehler, rennt offenen Auges ins Verderben, manchmal bemüht, fast schon angestrengt in der Sprache. Oft zynisch. Ordinär. Vulgär wie auch die Zeichnungen von Laura Tonke, die dem Buch nicht wirklich Mehrwert verleihen. Sie sollen wohl einen authentischen, kritzelzettelartigen Charakter schaffen, degradieren es aber eher ein wenig.
Laura Lackmann, die ihr Regiedebüt mit „Mängelexemplar“ hatte, hat an der New Yorker Filmakademie und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin studiert und ist heute Drehbuchautorin. „Die Punkte nach dem Schlussstrich“ ist ihr erster Roman.
(3,1 / 5)
Fleur Smithwick: Wo du auch bist
Alice und Sam sind unzertrennlich. Sie spielen jeden Nachmittag zusammen, sie erzählen sich alles, sie gehen sogar in die gleiche Klasse – aber Sam ist nicht real. Er ist einer der häufig auftretenden imaginären Freunde, die viele Kinder haben und die gerade in schwierigen Lebenssituationen sehr hilfreich sein können. Und wie es mit diesen Wesen ist – irgendwann sind sie weg und keiner weiß, wann genau sie nicht mehr gebraucht wurden. Und so war das auch bei Alice.
Bis bei einem fürchterlichen Unfall, an dem sich die junge Frau die Schuld gibt, ihr bester Freund Rory stirbt. Plötzlich ist Sam wieder da. Inzwischen selbst zum Mann gereift kümmert er sich um die angeschlagene Alice, tröstet und unterstützt sie. Und er wirkt völlig real. Sie kann ihn sehen, sie kann ihn fühlen, wenn er mit ihr allein ist, kann er sogar Dinge bewegen. Ihr Umfeld reagiert mit zunehmenden Unverständnis. Was Alice nichts ausmacht, bis auch Sam anfängt, sie unter Druck zu setzen und dabei immer mehr Macht bekommt.
Das ist bei Weitem nicht alles, was diese Geschichte hergibt. Es ist ein wundervolles Buch über die Kraft der Liebe, aber auch die der Trauer und Verzweiflung, über Realitäten und wie diese von jedem unterschiedlich wahrgenommen werden und über die Wucht von Macht.
Das Einzige, was man diesem Buch ankreiden könnte, ist das Cover. Denn das Original trifft es deutlich besser. Das deutsche Cover ist absolut nichtssagend und wirkt, gemeinsam mit dem Titel wie eine dieser langweiligen Liebesgeschichten – dabei ist der Roman, der bisweilen schon Thriller-Aspekte beinhaltet, alles andere als das. Er gehört zu den Besten. Und um die sonst so verhasste Floskel mal wieder zu bemühen: Man darf gespannt sein auf das zweite Buch der Autorin.
(5,0 / 5)
Sarah Bannan: Die Neue
Eines Tages steht sie da, die Neue. Seidiges Haar, glänzende Augen, wunderschön. Carolyn Lessing kommt gut an bei den Schülern und Schülerinnen der Adams Highschool. Sie ist klug, freundlich, landet schnell in der Clique der beliebtesten Schüler. Doch dann begeht sie einen entscheidenden Fehler. Sie nimmt dem beliebtesten Mädchen der Schule den Freund weg. Und das lässt sich diese nicht so einfach gefallen. Sie startet eine Hetzkampagne über soziale Netzwerke und die ufert richtig aus.
In einem vermeintlich leichten Ton, der zunächst irritiert, beschreibt die New Yorker Autorin in ihrem Debüt wie schnell bei Facebook und Co alles aus den Fugen geraten kann. Was passieren kann, wenn man sich keine Gedanken macht über die Folgen seines Handelns. Erstaunlich ist die Erzählweise. Aus der Perspektive mehrerer Mädchen, die zwar alles mitbekommen, hier und da auch zugeben, dass es notwendig gewesen wäre, einzugreifen. Die aber letztendlich bis zum Schluss außen vor blieben. Ein paar kleine Schuldgefühle ausgenommen.
Und genau das ist es, was man der Autorin ankreiden kann. Denn sie kritisiert das Mobbing höchstens zwischen den Zeilen. Zu wenig möglicherweise für junge Leser(innen).
(2,8 / 5)
Mercedes Lauenstein: nachts
Nacht für Nacht streift sie durch die Straßen. Ähnlich einer Katze lässt sie sich mal hier, mal da nieder. Klingelt bei Menschen, die noch Licht haben. Macht sie glauben, sie würde forschen. Lässt sich deren Geschichte erzählen, erfährt von Liebeskummer, von gestorbenen Freunden, Umzügen und Schicksalen jeglicher Art. Und von Gründen fürs Wachsein zu Zeiten, in denen andere schlafen. Warum sie den Menschen in ihrer Einsamkeit begegnet, sich selbst in ihnen findet, verrät sie erst mal nicht. Bis sie Alekos Weg kreuzt.
Mercedes Lauenstein, 1988 geboren, arbeitet in der jetzt-Redaktion der Süddeutschen Zeitung. Ihrem Debüt ’nachts‘ merkt man an, dass es von jemandem geschrieben wurde, der vom Schreiben etwas versteht. Es ist nicht fesselnd, aber es hält einen, man möchte mehr wissen über die Schicksale von Fedora oder Julian, fürchtet sich mit ihr vor Egon und erfährt, warum der eine oder andere die Nacht mag. Oder sich vor ihr fürchtet. Und man verändert seinen eigenen Blickwinkel auf die dunkles Seite des Tages. Fragt sich, was die Nacht für einen selbst bedeutet. Und allein aufgrund dieser Überlegungen ist dieses Buch das Lesen wert.
(4,1 / 5)
Anna Stein: Fräulein Kubitschek pfeift auf die Liebe
Ein Mann hat gut auszusehen, muss lecker riechen, möglichst gebunden und vor allem am nächsten Morgen verschwunden sein. Und wenn er das nicht freiwillig tut, dann wird eben nachgeholfen: mit einem kleinen, aber feinen Appell an die Heiligkeit der Familie. So sieht das Fräulein Charlotte Kubitschek, die ihr Geld bei der Drogerie Pinkemann verdient und im Privatleben gegen einen Immobilienhai kämpft, der ihr, der alten Schachtel von unten und Juri, einem Ladenbesitzer, das Zuhause zerstören will. Um ihm eins auszuwischen, verschwören sich die drei miteinander und das bringt reichlich Trubel vor allem in Elises Leben, die mit ihren über 90 Jahren eigentlich schon recht zufrieden damit war, sich um ihre Katze Frau Schmidt zu kümmern und den Rest des Tages Kirschlikör zu schnabulieren, alten Zeiten nachzutrauern und an Charlotte herumzumeckern.
Eine Geschichte, die sehr leicht beginnt. Man glaubt bereits nach wenigen Seiten zu wissen, was auf einen zukommt. Doch weit gefehlt. Denn der Roman nimmt eine Wendung, mit der man nicht gerechnet hat, schlägt fast schon aus dem Hinterhalt zu und erklärt damit, dass Menschen wie Charlotte, die keine Liebe zulassen, einfach immer nur zutiefst verletzt sind.
Ein großartiges Buch, eine perfekte Sommerlektüre und vor allem: ein gelungenes Debüt.
(4,8 / 5)
Ivonne Keller: Hirngespenster
„In dem Moment, als ich mit dem Kopf auf den Beton aufschlug, bereute ich, Anna niemals gesagt zu haben, wie sehr ich sie bewunderte.“ Doch dafür war es nun zu spät. Sylvies Schwester Anna scheint wie vom Erdboden verschluckt, sie kommt nie zu Besuch, kann möglicherweise nicht ertragen, dass Silvie gefangen ist in ihrem eigenen Körper, sich nur schwer verständlich machen kann und darunter leidet. Vor allem, weil sie ausgerechnet bei der Frau lebt, die ihr Mann schon immer geliebt hat. Sabrina kümmert sich aufopferungsvoll. Um Silvie, ihre Söhne und um Johannes.
Dieser Roman wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, jede mit ihrem eigenen Blickwinkel. Es rollt auf, wie die Dinge zusammenhängen, was das Schicksal geplant hat. Besonders spannend, vor allem beim zweiten Lesen, ist die Sicht Silvies. Und das Ende, das einen wirklich umhaut. Ein Buch, das nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Und ein unglaubliches Debüt. Ivonne Kellers zweites Buch, Lügentanz, hat seine ebook-Premiere am 15.12.
(5,0 / 5)
Riikka Pulkkinen: Die Ruhelose
“Die Ruhelose“ ist Riikka Pulkkinens Debütroman. Die Finnin beschreibt das ganz ähnliche und sich doch enorm unterscheidende Schicksal zweier miteinander verwandter Frauen: Anja, deren Mann schwer an Alzheimer erkrankt ist und die mit sich hadert, ob und wie sie ein gegebenes Versprechen einhalten kann und ihre Nichte Marie, die eine äußerst heikle Beziehung zu einem jungen Lehrer eingegangen ist und sich dabei leidenschaftlich in eine Liebe stürzt, die aussichtslos ist. Zwei Frauen, die vor der entscheidenden Frage ihres Lebens stehen: Wie weit darf und will und soll und muss man gehen für die Liebe?
Die Universitätsprofessorin Anja scheint zunächst an dieser Frage zu verzweifeln und findet doch, genau wie Marie ihren ganz eigenen Weg, damit umzugehen.
Riikka Pulkkinen, Jahrgang 1980, ist eine der erfolgreichsten jungen Autorinnen Finnlands. Doch auch, wenn ihr Debüt dort bereits etliche Preise einheimsen konnte, so ganz überzeugend ist es doch nicht. Ob das an der deutschen Übersetzung liegt? Denn das Buch hat etwas, keinen Zweifel, die Thematik ist interessant und entspricht komplett dem Zeitgeist unserer Gesellschaft und doch fehlt etwas. Das entscheidende Etwas, das den Leser so richtig in seinen Bann zieht.
(3,4 / 5)