Prof. Dr. Markus Egert/Franz Thadeusz: Ein Keim kommt selten allein

Man mag es sich ja lieber nicht so ganz genau vorstellen, das ist ähnlich wie mit dem Bett und den Milben, aber es ist nun mal so: Wir leben in unserem Körper mit Millionen von Mikroben zusammen. Unsere Umgebung ist voller Bakterien (allein in einem Küchenschwamm sind nach einer Woche 54 Milliarden pro Kubikzentimeter) und Pilze und würden wir noch denken wie in den Siebzigern, dann könnten wir ohne Desinfektionsspray keinen Schritt machen. Doch erfreulicherweise ist inzwischen klar, dass diese vielen kleinen Wesen um uns herum uns in der Regel nichts Böses wollen. Im Gegenteil, viele von ihnen sorgen dafür, dass es uns gutgeht – wie zum Beispiel all die Darmbakterien, deren Auswirkungen man erst so langsam auf die Schliche kommt. Oder auch die Bakterien, die beim Küssen übertragen werden: Es sind Millionen.

Dieses Buch ist zum einen schlimmer als jeder Thriller – man kann nie mehr ins Fitnessstudio gehen, ohne es überall wimmeln zu sehen – zum anderen aber merkt man schnell, dass hier Menschen schreiben, die den Mikrokosmos im Makrokosmos zu schätzen wissen. Die wissen, dass die chemische Keule zwar zunächst Bakterien, Viren und anderes Getier tötet, aber uns damit auch schadet. Von Antibiotika wussten wir das schon, bei Putzmitteln war uns das bisher nicht bewusst. Das heißt jetzt nicht, dass man nach der Lektüre dieses Buches nie mehr putzt, das heißt aber, dass man sich Gedanken darüber macht, ob man Hygiene in Zukunft nicht völlig anders definieren sollte. „Und zwar als Wissenschaft und Lehre vom aktiven Mikroben-Management – und nicht nur als das Abtöten von Keimen zur Vermeidung von Krankheiten.“

Prof. Dr. Ulrich Dirnagl/Dr. Jochen Müller: Ich glaub, mich trifft der Schlag

Wir alle haben eines, wir alle gehen davon aus, dass es megawichtig ist, aber was wirklich in unserem Gehirn passiert, welche Zusammenhänge es zum Beispiel zur Bakterienwelt des Darms gibt und was genau passiert, wenn es zu neurologischen Störungen wie einer Migräne kommt – das weiß man bisher nur in Ansätzen. Und diesen Ansätzen bleibt nichts anderes übrig als sich das Gehirn anzusehen, wenn es etwas nicht funktioniert, um dann darauf zu schließen was ist, wenn es funktioniert. Diese Zusammenhänge versuchen die beiden Autoren, beides angesehene Wissenschaftler, in einer für (fast) jeden verständlichen Sprache zu erklären. Klar, es geht nicht ohne das ein oder andere Fremdwort – schon allein, weil es für viele Begriffe aus der Hirnforschung gar kein einfacheres Äquivalent gibt, aber das lösen die Autoren durch ein ausführliches Glossar, in dem man nachlesen kann, was ein Astrozyt ist, welche Rolle die Cyclooxygenase spielt und dass ein Tau in diesem Zusammenhang kein Seil ist, sondern ein Protein.

Das Buch ist gut gegliedert und durchaus auch dazu geeignet, nur einzelne Aspekte nachzulesen. Schlaganfall, Migräne, Epilepsie, Multiple Sklerose sowie Parkinson, Demenz und Alzheimer sind einzelne Kapitel gewidmet, in denen man den neuesten Stand der Wissenschaft in verständlichen Sätzen erfährt. Aufgebaut ein bisschen wie ein Science Slam mit Kommentaren und Nachfragen. Man könnte ankreiden, dass die beiden Autoren manchmal ein bisschen sehr in die vereinfachte Trickkiste greifen, um die komplizierten Vorgänge im Gehirn verständlich zu machen, aber wer sich schon einmal tiefer mit der Materie beschäftigt hat, weiß, dass das Erklären dessen, was da vor sich geht, oft nur auf diese Weise wirklich gut funktioniert. Und warum nicht? Wenn das, was gesagt wird, trotzdem Hand und Fuß hat.

Prof. Dr. Dirnagl ist Neurowissenschaftler, Schlaganfallexperte und arbeitet an der Charité in Berlin. Dr. Jochen Müller ist Neurobiologe und vor allem durch Science Slam bekannt.

Albrecht Vorster: Warum wir schlafen

Wenn man die eine oder andere Frage zum Thema Schlaf beantwortet haben möchte und sich wissenschaftlich gesehen gerne an der Oberfläche bewegt, dann eignet sich dieses Buch perfekt. Man kann einfach nachschlagen. Egal, ob es darum geht, ob und wenn ja wie man einen Schlafwandler wecken kann, soll oder muss oder ob man wissen möchte, was unser Gehirn in welcher Schlafphase „aufräumt“, hier finden sich die Antworten. Gut gegliedert, nicht zu kompliziert und auch auch nicht zu lang und doch ausführlich genug, um mit seinem neu gewonnenen Wissen auch mal hausieren gehen zu können. Mit außergewöhnlichen Experimenten – wer feiert schon mit Schnecken die Nacht durch? -, partytauglichen Anektdoten und vielen Beispielen aus unser aller Schlafalltag lockert der Autor, ein Biologe, Philosoph und Science-Slam-Gewinner, das gesamte Schlafwissen auf und verhindert so, dass wir über seinem Buch einschlafen. Obwohl das doch fast besser wäre, denn laut Albrecht Vorster wacht, wer schläft, hinterher klüger auf als vorher.

w. Thomas Boyce: Orchidee oder Löwenzahn?

Wie unterschiedlich Menschen sein können, das wissen Mütter, die bereits mehrere Kinder zur Welt gebracht haben. Bereits im Bauch ist eines ganz empfindsam und das andere wehrt sich, wenn ihm was nicht passt, jeder Mensch kommt bereits mit seiner Grundpersönlichkeit auf die Welt – den Rest macht die Umwelt. Und hier kommen Begriffe ins Spiel wie Resilienz.
Der Autor, der die Menschheit grob gesagt in Löwenzahnpflanzen und Orchideen einteilt, ist Professor für Kinderheilkunde und Verhaltenspsychologie, also auf jeden Fall jemand, der weiß, wovon er spricht. Und der Studien zitiert, die staunen lassen. Der Beispiel bringt, die unter die Haut gehen und erklärt, was nicht immer auf den ersten Blick offensichtlich ist. Ein Buch, das nicht nur dabei helfen kann, die eigene Persönlichkeit besser zu verstehen, sondern das vor allem auch dabei helfen kann, die Persönlichkeit des eigenen Kindes zu unterstützen und so in Bahnen zu lenken, die dem Kind guttun – auch dann, wenn wir es von außen vielleicht nicht immer verstehen.

Prof. Dr. Markus Egert: Ein Keim kommt selten allein

Ihhhhhh – das ist eigentlich der erste Gedanke, den man hat, wenn man mal kurz über den Titel nachdenkt. Und wenn Sie sich mal wieder so richtig gruseln möchten, dann müssen Sie nur den Absatz über Fleisch lesen. Aber dieses Buch ist nicht dafür gemacht, dass unser Ekel größer wird, sondern dass wir verstehen, wie der Mikrokosmos im Makrokosmos funktioniert und vor allem: welchen sinnvollen Zweck er hat.
Es gibt ja diesen Witz über die Außerirdischen, die sich sicher sind, dass unser Kühlschrank unsere Toilette sein muss, denn dort ist der meiste Dreck. Während die Toiletten in der Regel alle paar Tage gründlich geputzt wird, können die meisten Kühl-Gefrier-Kombinationen das nicht von sich behaupten, oder wann haben Sie das letzte Mal …?

Wer oder was lebt in unseren Küchenschwämmen und lacht sich ins Fäustchen bei unseren Versuchen, die Küche zu reinigen? Was ist Mikrobensex? Und was passiert auf dem Handy, wenn es auf dem Klo benutzt wird bzw. dann, wenn sich einer nach dem Gang dorthin die Hände nicht mindestens 30 Sekunden lang mit Seife gewaschen hat? Manches davon will man vielleicht gar nicht wissen, aber es ist wie bei einem gruselig guten Film, man kann nicht anders, man bleibt dran. Und das ist in diesem Fall auch gut so, denn zuguterletzt erfährt der geneigte Leser doch noch viel Gutes über unsere minikleinen Mitbewohner.

Inés Brock: Wie die Geburtserfahrung unser Leben prägt

Die letzten Jahrzehnte können wir uns in vielen Dingen nicht gerade auf unsere Fahnen schreiben und die Geburtshilfe gehört zweifelsohne dazu. Wir haben verlernt auf unsere innere Stimme zu hören und gehorchen stattdessen regelrecht dem Diktat von außen. Beziehungsweise dem der Medizin. Dabei ist auch ein ganz elementares Wissen fast verlorengegangen: Das Wissen um die Relevanz von Schwangerschaft und Geburtserlebnis und um deren Auswirkungen auf unser weiteres Leben. Der Kaiserschnitt ist zum Alltag geworden, jede kleine vermeintliche Schwierigkeit lässt so manchen Arzt schon zögern. Allein die Tatsache, dass Ärzte statt Hebammen gefragt werden, sagt alles. Doch langsam drängt eigentlich sehr altes Wissen wieder an die Oberfläche und wir erkennen, dass unser Leben nicht erst dann beginnt, wenn wir unseren ersten Schrei von uns geben. Und dass es durchaus ausschlaggebend sein kann, unter welchen Umständen dies geschieht. Stärkt man das Selbstvertrauen einer Frau im Vorfeld und lässt sie dann während der Geburt selbst entscheiden, welche Position sie zum Beispiel einnimmt, dann spürt man, das sie intuitiv weiß, was sie tut.

Das Angenommen-, das Willkommensein ist enorm wichtig für einen Menschen. Erwachsene, die schon als Ungeborene nicht gewollt waren, kämpfen in ihrem Leben häufiger mit Ängsten und Depressionen, mit Suchtproblemen und Kriminalität. Nicht grundlos gehen Therapeuten in ihrer Arbeit immer weiter zurück im Leben eines Menschen, oft bis zur Zeugung. Denn die pränatale Phase kann, genau wie die ersten Lebensmonate, entscheidend prägend sein.

„Das neue Wissen um die lebensgeschichtliche Bedeutung von Schwangerschaft und Geburt und früher Entwicklung stellt also die Gesellschaften vor neue Verantwortlichkeiten im Umgang mit Schwangerschaft und Geburt“ heißt es in einem der Artikel. Eine Verantwortung, die wir alle ernst nehmen sollten: Schwangere Frauen genauso wie Hebammenschüler von heute und morgen, Wissenschaftler, Psychologen und Therapeuten und vor allem Ärzte.

Inés Brock ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin, Supervisorin und Erziehungswissenschaftlerin und hat in diesem Buch zahlreiche Beiträge von unterschiedlichen Berufsgruppen zum Thema zusammengefasst. Bei allen kristallisiert sich heraus: Die Geburt ist ein zentrales Ereignis für den Menschen und die Autoren thematisieren durchaus auch die Einwirkungen der medizinischen Möglichkeiten, das Nicht-Abwartenkönnen der heutigen Zeit und die Folgen, die ein negatives Geburtserlebnis auf einen Menschen haben kann.

Alan Burdick: Warum die Zeit verfliegt

Eine größtenteils wissenschaftliche Erkundung – so lautet der Untertitel dieses Buches, bei dem sich der Autor auf spannende Weise einem Thema nähert, das eigentlich gar nicht existiert.
Zeit ist so schwer zu greifen, dass wir von ihr nur in Bilder sprechen können. Sie verfliegt, zieht sich hin, rinnt wie Sand durch die Finger – doch was ist Zeit eigentlich? Ist sie nur eine Eigenschaft des Geistes? Was hat Struktur mit dem Begreifen von Zeit zu tun, warum vergeht die Zeit schneller, wenn man älter wird und wann endet eigentlich die Gegenwart?

Alan Burdick versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden und stößt dabei letztendlich noch weitere Gedankengänge an. Und schnell stellt sich die Frage, welche Rolle bei dem Ganzen die eigene Wahrnehmung spielt. Trotz seiner wissenschaftsjournalistischen Herangehensweise verleiht Alan Burdick dem Buch auch einen persönlichen Charakter. Und am Schluss versteht man, warum dieser Mann nie eine Uhr tragen wollte.

Der Autor schreibt für den New Yorker, wo er bereits als leitender Redakteur tätig war. Sein erstes Buch Out of Eden wurde für den National Book Award nominiert und vom Overseas Press Club ausgezeichnet.