Philipp Weber: Essen kann jeder

Philipp Weber ist nicht nur ein Kabarettist, er ist auch studierter Biologe und Chemiker. Diese Kombination prädestiniert ihn geradezu zum Autor dieses Buches. Natürlich ist er nicht der Erste, der Ernährungslügen auf den Prüfstand stellt, einem gehörig den Appetit mit diversen Studienerkenntnissen verdirbt und einem klar macht, dass Außerirdische mit Bakterienerkennungssystem im typisch deutschen Haushalt lieber aus dem Klo als aus dem Kühlschrank essen würden. Wissen wir bereits, theoretisch zumindest. Aber er ist der Erste, der es so gekonnt verpackt. Der kaum eine Seite vergehen lässt, ohne dass man über die Gesellschaft an sich, das hanebüchene Handeln der Food-Ketten oder sich selbst lachen muss, obwohl all das doch eher zum Heulen ist. „Ich bin Kabarettist. Und als Kabarettist betrachte ich die Dinge aus einer ganz besonderen Perspektive, nämlich aus dem Blickwinkel der Satire. Die ist hier ausgesprochen hilfreich. Schließlich geht es in manchen Ess-Internetforen beim Diskutieren verbissener zu als in einem Chatroom von al-Quaida:“
Dass die Lebensmittelindustrie hinter dem Wort Aroma rund 2500 verschiedene chemische Substanzen versteckt, dass Kinder vor lauter Vitamin und Co-Zugaben teilweise völlig überdosiert sind und das in der Regel mit Zucker nicht wettzumachen ist oder dass Fleischkonsum ein ökologisches Destaster darstellt, das ist alles nachvollziehbar. Selbst kochen, Produkte aus der Region verwenden, auf Fertigkost verzichten – alles kein Problem. An der Information, dass pro Minute derzeit 12300 Nespresso-Espressi durch die entsprechenden Lifestyle-Maschinen donnern und das umgerechnet am Tag 19 Tonnen Aluminium-Abfall produziert, lässt einen schon eher schaudern. Vor allem dann, wenn man selbst eine solche Maschine besitzt. Da lenkt man sich am besten schnell ab mit einem Spiel, das Tütensuppen- und Fertiggerichteraten heißt. Einfach Zutaten vorlesen und erraten, was für ein Gericht das sein soll. Hervorragend hier eine Mahlzeit mit 63 Zutaten, unter anderem Riboflavin, Glucosesirup, Stabilisator Diphosphate, Ammonsulfit, Monosodiumglutamat, und Mono- und Diacetylweinsäureester: Nürnberger Rostbratwürste mit Kartoffelbrei und Sauerkraut. Natürlich Hausfrauenart. Wie sonst.

Karl Blessing Verlag, erschienen am 18. Mai 2013 unter ISBN 978-3896674937, broschiert 272 Seiten, Preis: 18,99 Euro

Nina Blazon: Polinas Geheimnis

Erik und Joanna sind Meister im Vertreiben von Nannys und Au-Pair-Mädchen. Aber Polina lässt sich nicht aus dem Konzept bringen, ist immer einen Tick schneller als die Zwillinge. Sie ist überhaupt irgendwie anders. Kann nicht kochen, kennt die normalsten Dinge der Welt nicht und ihre Erziehungsmethoden lassen zwar aus Lehrbuchsicht zu wünschen übrig, sind aber erstaunlich erfolgreich.
Die Autorin Nina Blazon hat sich schon einen ziemlichen Namen auf dem Buchmarkt gemacht, seit 2003 bewegt sie sich auf dem Parkett der Kinderbücher, hat unter anderem „Der Drache aus dem blauen Ei“ geschrieben. „Lesen ist lebenswichtig. Es ist gleichzeitig das Tor zur realen Welt und zu den Gedankenwelten anderer Menschen. Und es ist und bleibt die einzige Möglichkeit, mehrere Leben in verschiedenen Zeiten und Dimensionen zu leben und sie – was noch wichtiger ist – miterleben, nachfühlen und im besten Fall sogar verstehen zu können“, schreibt die Autorin auf ihrer Internetseite. Mit Polinas Geheimnis ist ihr ein Buch gelungen, das die Kinder fesselt. Sie wollen unbedingt wissen, wer oder was Polina wirklich ist, denn das sie alles andere als normal ist, das ist bereits ab den ersten Seiten klar. Aus Erwachsenensicht ist die Geschichte an manchen Stellen ein bisschen arg weit hergeholt, aber trotzdem schön vorzulesen. Flüssig geschrieben, Gute-Nacht-Geschichte-geeignete Kapitel und die witzige Sprache Polinas fügen sich zu einem lesenswerten Ganzen zusammen.

Robin Wasserman: Skinned

Die attraktive Lia hat alles: eine angesehene, reiche Familie und einen entsprechenden Stand in der Gesellschaft. Einen gut aussehenden, romantischen Freund und Freundinnen, für die sie tonangebend ist. Nicht nur in Sachen Mode. Die Mädchen beten sie an ob ihrer Schönheit, ihres Stilvermögens, ihrer Eleganz. Doch nach einer tragischen Verkettung von Unglücksfällen ist es damit vorbei.

Lia Kahn ist tot. Ich bin Lia Kahn. Deshalb – denn das ist ja wohl ein logisches Problem, das sogar ein minderbemitteltes Kind lösen könnte – bin ich tot. Da ist nur eine Sache: Ich bin es nicht.“

Lias Körper stirbt und wird ersetzt durch eine Maschine. So menschlich wie möglich, bestückt mit einem Programm geschrieben aus Hirnscans ihres ursprünglichen Gehirns – fein säuberlich in Scheiben geschnitten und weiterverarbeitet. Die Frage, die sich jetzt nicht nur Lia, sondern auch alle anderen stellen ist: Ist sie damit nun ein Mensch, der eine Maschine nutzt oder eine Maschine, die einen Menschen kopiert? Ist sie tot oder lebendig? Original oder nur billige Kopie in einem schnell erschafften 08/15-Mädchen-Körper?

Lias ‚Neuorientierung‘ misslingt, ihre Freunde lehnen sie ab, ihr Ex tröstet sich lieber mit ihrer Schwester und die macht ihr das Leben erst so richtig zur Hölle. Nur Auden, der Sonderling und Außenseiter schlechthin, hält zu ihr. Ein Mensch, den sie vorher noch nicht einmal richtig bemerkt hatte, erweist sich als ihr einziger wahrer Freund. Und bezahlt dafür bitter.

Wie für Dystopien typisch sieht ‚Happy End‘ anders aus. Aber das ist es wahrscheinlich, was diese Literaturform gerade so interessant macht. Das Spiel mit dem ‚Was wäre wenn?‘, das der Autorin Robin Wasserman ganz ausgezeichnet gelungen ist. Ihre Zeichnungen eines Lebens nach Atom- und Wasserkriegen, die von ihr gewählte Perspektive des ‚spoiled little girl‘, das knallhart erkennen muss, wie das System wirklich funktioniert. Dazu aktuelle Themen wie Genetik, künstliche Intelligenz und die Fortschritte der modernen Medizin – all das ist erschreckend und faszinierend zugleich. Und so wie hier beschrieben von der uns bevorstehenden Wahrheit möglicherweise gar nicht allzu weit entfernt.
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