Taichi Yamada: Sommer mit Fremden

Der japanische Literaturwissenschaftler und Drehbuchautor Taichi Yamada hat sich des Themas Sterben von einer ganz anderen Seite genähert. Und dabei ein Buch geschaffen, das man getrost zu den Highlights des Jahres zählen darf.

Hideo Harada hat im Alter von zwölf Jahren seine Eltern verloren. Jung und verliebt wurden sie bei einem Unfall aus dem Leben gerissen. Der kleine Junge, den sie hinterließen, lernte, mit den Wunden des Verlusts zu leben und irgendwann später ist er sich sicher, dass er gut darüber hinweggekommen ist. Denkt er. Denn als seine Frau ihn verlässt, brechen sich die Verlustängste neue Bahnen in seiner Seele. Harada kehrt zurück an den Ort seiner Kindheit, den er seither gemieden hat und trifft dort auf ein Ehepaar, das aussieht wie seine Eltern, das sich so verhält, wie seine Eltern, das von sich behauptet, sein Vater und seine Mutter zu sein. Harada ist fasziniert und entsetzt zugleich und er wird süchtig nach Besuchen in seinem vermeintlichen Zuhause. Kei, seine Freundin, versucht ihn zu warnen und lässt dabei völlig außer Acht, dass sie ihn vielleicht vor sich selbst hätte warnen sollen…

Dieses Buch ist so genial, dass ich es nach dem Lesen am liebsten gleich wieder auf der ersten Seite aufgeschlagen hätte. Es ist eines der Bücher, die einen nach dem Ende in ein tiefes Loch fallen lassen. Taichi Yamada versteht es mit einer Leichtigkeit, ein dermaßen beklemmendes und doch völlig fasziniertes Gefühl im Leser hervorzurufen, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen möchte. Und sein Finale ist – wenn auch nicht unerwartet – unbeschreiblich gut.
4.9 Stars (4,9 / 5)

Mitch Albom: Nur einen Tag noch

Wenn ein Mensch stirbt, bleibt oft eine unglaubliche Leere. Und Verzweiflung. Unter anderem deswegen, weil man diesem Menschen nie mehr das sagen kann, was man ihm vielleicht schon immer mal sagen wollte. Dass man ihn liebt, zum Beispiel, dass man ihm dankbar ist, vielleicht auch, warum man wütend war, als man sich zuletzt gesehen hat. Wenn man gläubig ist, kann man noch auf den Himmel oder das Nirwana hoffen, wenn man allerdings Charles „Chick“ Benetto heißt und die Romanfigur von Mitch Albom ist, dann bekommt man schon früher eine zweite Chance.

Eigentlich wollte er sich umbringen, dieser Charles Benetto. Seine Ehe war im Eimer, seine Tochter wollte ihn nicht bei ihrer Hochzeit dabei haben, seine Mutter war tot. Verzweiflung pur. Doch statt im Jenseits zu landen, macht er einen Ausflug in die Zwischenwelt und bekommt Gelegenheit, noch einen Tag mit seiner Mutter zu verbringen. Ein Tag, der Benetto die Augen öffnet.

Das Buch zieht den Leser in seinen Bann. Vielleicht, weil man sich im tiefsten Inneren schon immer genau das gewünscht hat, was Chick erleben darf. Sicher aber auch, weil Mitch Albom mal wieder den richtigen Ton getroffen hat. Einfühlsam und doch ein kleines bisschen spöttisch. Besonders gut gelungen sind die Rückblicke in Charles Kindheit. Albom fängt genau die Momente ein, die Kränkungen beinhalten, die verwirren und verändern. Ein Buch, das man nicht mit ins Bett nehmen sollte, wenn man am nächsten Morgen früh aufstehen muss!
4.6 Stars (4,6 / 5)