Rainer Doh: 1990 – Ganz andere Sorgen

Gottfried Käfer leitet ein Busunternehmen mit äußerst gutem Ruf in Heckenheim im Heckental, einer beschaulichen Kleinstadt in Baddewürdebersch. Seine etwas verknöcherte Tochter Veronika schafft es gerade noch vor Torschluss einen Mann zu finden, dieser verwirklicht sich im Unternehmen des Schwiegervaters, das durchaus einen Anteil an der Entscheidung für Veronika hatte und es wäre eigentlich jeder zufrieden, würde sich denn dann endlich mal Nachwuchs einstellen. Und wäre da nicht die Öffnung der innerdeutschen Grenzen mit all ihren Möglichkeiten. Doch genau diese Möglichkeiten lösen Veronikas Probleme. Schaffen aber neue.

Dass Rainer Doh sich bisher vor allem mit Fachbüchern zum Thema IT befasst hat, merkt man gar nicht. Der Roman hat, wie schon sein erster Krimi zuvor, eine interessante Sprache, eigentlich passende Handlungsstränge, aber irgendetwas fehlt trotzdem. Man hat am Schluss das Gefühl, da hätte noch etwas kommen müssen – obwohl von dem, was reingepackt war, man eigentlich gesättigt sein dürfte. Vielleicht ist es auch das. Vielleicht hätte sich der Autor entscheiden sollen, welche Problematik er aufgreifen möchte: die eines Familienunternehmens, die der Ost-West-Habgier? Und vielleicht hätte er ein wenig Abstand nehmen sollen von all den Vorurteilen. Denn dass diese humorvoll gemeint sind, erschließt sich einem nicht sofort. Möglicherweise braucht man dazu einfach einen anderen Humor – möglicherweise liegt es aber auch an der gewählten Erzählperspektive. Kein Buch, das man gleich wieder weglegt, aber auch keines, auf das man sich den ganzen Tag freut.
2.0 Stars (2,0 / 5)

Renate Ahrens: Seit jenem Moment

Es geht um Paula. Die, als sie die Nachricht vom Selbstmordversuch ihres Vaters hört, zum ersten Mal so richtig aus der Bahn geschmissen wird. Ist ihr Leben sonst doch eher ruhig und zufrieden. Sie malt die immer wieder gleichen Auftragsbilder für eine Galerie, lebt mit dem liebevollen Journalisten Jakob zusammen und hat sich gegenüber der Probleme ihrer Familie immer erfolgreich verschlossen. Doch jetzt kann sie das nicht mehr. Einmal an der Oberfläche gerüttelt, kommt Entsetzliches zutage: Paulas Tante Luise ist im Alter von drei Jahren ums Leben gekommen und wurde danach totgeschwiegen. Dieses Tabu und die Nichtverarbeitung der Trauer hatten gravierende Folgen für jedes einzelne Familienmitglied und legen sich nun auch wie ein Schatten über Paulas Seele. Sie kann nicht mehr malen, entwickelt regelrecht Abscheu gegenüber ihrer Arbeit und zieht sich völlig in sich selbst zurück. Doch dann kommt der Wendepunkt und Paula beginnt, an dem Tabu zu rütteln. Was für sie nicht nur künstlerisch gravierende Folgen hat, sondern auch menschlich.
Dieser Roman reiht sich perfekt ein in die bisherigen der Schriftstellerin Renate Ahrens. Und könnte typischer für sie gar nicht sein. Es sind die seelischen Abgründe, die diese Frau interessieren. Das, was unter einer nach außen glatten Oberfläche brodelt und jahrelang mit Gewalt heruntergedrückt wird. Besonders gut zeigt sich das in der Figur des Vaters, der durch seine vermeintliche Schuld am Tod der kleinen Schwester sein Leben lang depressiv war. Nicht ganz so gelungen dagegen ist die Figur des kaltherzigen Großvaters bzw. deren Auflösung. Renate Ahrens verpasst ihm eine Demenz, die sein Wesen sich öffnen lässt und in rasender Geschwindigkeit für Aufklärung und Aussöhnung sorgt. Die Facetten, die gerade hinter dieser Figur stecken, kommen ein wenig zu kurz. Der trauernde Vater hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Genauso wie die Tatsache, warum er sich dem Willen seiner gramgebeugten Frau unterordnete, die Luises Tod auslöschen will durch die Geburt eines weiteren Mädchens, die grausam den Buben seelisch vernachlässigt und herrisch versucht, alle unter Kontrolle zu halten. Und der es fast gelungen wäre, nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Nachkommen auf einer inneren Ebene total zu zerstören.
4.1 Stars (4,1 / 5)

Daniel Bielenstein: Das richtige Leben

Karl Ho Bob Krämer wurde 1967 mitten in einer Demo auf einem Ho-Chi-Minh-Plakat geboren. Ebenso seine Zwillingsschwester Janis. Dieses Ereignis, von der Umgebung zunächst als Happening verstanden, ist der perfekte Anfang für das Leben eines Menschen, der von liebenswerten Chaoten umgeben in WGs aufwächst, dessen Mutter regelmäßig nach Poona zieht und dessen Vater mit allen seinen Studentinnen schläft. Ho versucht anders zu sein, spießig, aber es gelingt ihm nicht. Und spätestens als seine Freundin Celia schwanger wird, lichtet sich sein persönlicher Nebel.

„Celias Lieblingsphilosoph heißt Sören Kierkegaard, ein alter dänischer Dandy, der sein Leben auf Partys zugebracht hat, obwohl er eigentlich ein todtrauriger Mensch war. Dieser Kierkegaard hat gemeint, dass das menschliche Grundproblem darin besteht, dass man das Leben nur rückwärts verstehen könne, aber dass man es vorwärts leben müsse. Mir kommt diese Meinung ziemlich optimistisch vor, weil ich überhaupt nichts verstehe, weder vorwärts noch rückwärts….“

Ho ist Chef einer kleinen Designagentur, seine Mitarbeiter machen, was sie wollen, seine Eltern sind nach wie vor so durchgeknallt wie in den Siebzigern, nur anders, seine Schwester weiß genau so wenig was sie will wie er selbst. Nachdenken will er. Darüber grübeln, ob das Wohnen in Kommunen bei ihm zu Bindungsunfähigkeit geführt hat, ob all die Joints, die seine Eltern geraucht haben, vielleicht sein und nicht ihr Hirn vernebelten, warum er seine Großeltern mit ihrem geregelten Leben so bewundernswert fand und wie man sich eigentlich im Jahr 2004 zurechtfinden soll. „Ich horche in mich selbst hinein, und zwar ungefähr so, wie die Leute vom Seti-Programm ins Weltall hineinhorchen, immer in der Hoffnung, dabei auf so etwas wie Intelligenz zu stoßen.“ Bei Schwierigkeiten macht er sich vom Acker und eine ungewollte Schwangerschaft könnte man ja durchaus als Schwierigkeit bezeichnen….

Ein Tag und das Buch ist durch. Mit einem dauerhaften Grinsen im Gesicht kann man sich komplett in Karl Ho Bob Krämers Leben hineinfallen lassen. Daniel Bielenstein, selbst Jahrgang 1967, versorgt den Leser mit einer Familiengeschichte, die, obwohl sie kein Klischee auslässt, trotzdem genau so gewesen sein könnte. Mit „revolutionärem Augenzwinkern“ nimmt er den Protagonisten und seinen verqueren Anhang auf die Schippe, wortgewandt und wortwitzig sorgt er für äußerst kurzweiliges Lesefutter. Schön.
4.4 Stars (4,4 / 5)