Christina Moracho: Zwillingssterne

Althea und Oliver sind unzertrennlich. Sie verleben ihre Kindheit zusammen, die Jugend, den ersten Kuss – doch bevor sie ihr vertrautes Dasein genießen können, passiert etwas Seltsames. Oliver fällt immer wieder in einen tiefen Schlaf, der manchmal Wochen, manchmal aber auch Monate dauert. Die kurzen Momente, in denen er wach ist, sind Momente, in denen der Junge nicht er selbst ist. In denen er lediglich seine Akkus füllt und wie ein Zombie agiert. Doch Altheas Leben geht weiter. Sie färbt sich die Haare, beginnt zu rauchen, hört mit dem Sport auf, verändert sich komplett. Die Gefahr der Entfremdung wird immer größer. Bis seine Mutter herausfindet, was mit Oliver los ist. Doch gibt es Hoffnung auf Heilung? Und was ist dann mit der jungen Liebe, wenn Oliver dazu wegmuss? Wie wird es den Zwillingen ergehen?

Die Geschichte, ein Debüt, endet anders, als man erwarten würde, Und ist vielleicht genau deswegen ziemlich spannend. Sucht doch jeder von uns irgendwie seinen Seelenverwandten. Und wer will ihn dann, wenn er ihn gefunden hat, schon wieder aufgeben?
3.0 Stars (3,0 / 5)

Scott Hutchins: Eine vorläufige Theorie der Liebe

Der frisch geschiedene Neill Bassett jr. hat einen ziemlich interessanten Job. Mithilfe des Tagebuchs seines verstorbenen Vaters haucht er einem Computer Leben ein. Mit den rund 5000 Seiten soll er einen Computer programmieren, der zu Gefühlen fähig sein soll. Eine Arbeit, die nicht nur den Computer emotional weiterbringt, sondern auch den jungen Mann. Gemeinsam entwickeln sie sich, lernen die Frauen verstehen und so ganz nebenbei kommt Neill dem Selbstmord seines Vaters auf die Schliche. Ein paar Verwicklungen und Missverständnisse um die künstliche Intelligenz inklusive. Indem man Neill über die Schulter sieht, bekommt man einen ungeschönten Blick auf die Defizite, die er mit sich herumträgt, auf das oft Erniedrigende seiner Situation.

Dieses Hörbuch gehört zu denen, die einem die Zeit gut vertreiben können. Auch, wenn man bisweilen, wenn es ein wenig herbeigezogen ordinär wird, lieber mal schnell weghört. Eine Stilblüte, die dem Autor eigentlich gar nicht steht und bei der der Lektor seinen Job hätte ein wenig besser machen können. Ist der Debütroman sonst doch so was von gelungen.
4.1 Stars (4,1 / 5)

Barbara Ruscher: Fuck the Möhrchen

„Bin noch im Bauch.“ Mit diesen Worten beginnt der erste Roman der Kabarettistin Barbara Ruscher. Erzählt ist er aus der Sicht von Baby Mia und ihrer ersten Zeit auf Erden. Fängt schon alles irgendwie blöd an: Der Mutterkuchen bockt, der eigene Vater wird mit dem Krankenhausclown verwechselt und alle heulen . Alle bis auf die Anthroposophen-Hebamme. Mia fühlt sich hässlich, schreit und bekommt von „Du hast es geschafft mein Schatz“ erst mal eine fette Brustwarze in den Mund gestopft – um ihr diesen zu stopfen. Mia zieht es vor, erst einmal zu schlafen, um dann beim Aufwachen gleich den nächsten Schrecken zu erleben: liegt doch neben ihr eine fürchterlich behaarte Gestalt, der sie nicht entfliehen kann. Was sich letztendlich als positiv herausstellt, ist der leicht pervers veranlagte klugscheißernde Teddy zunächst doch der einzige, der sie mit ihrem Babygegurgle verstehen kann.

Grundsätzlich hätte das ein richtig gutes Buch werden können. Müttergezicke, Schnullervergleiche, der Kampf gegen Teppichmilben, die klassische Kurssituation und die damit zusammenhängende obligatorische „Ich schau dann mal in anderen Betten vorbei bis du abgestillt hast“-Nummer des holden Vaters hätten etwas hergeben können. Wobei die Betonung auch hier eindeutig auf dem Konjunktiv liegt. Denn geworden ist es im Großen und Ganzen eine Ansammlung von möglichen Babyerlebnissen. Aus der Sicht eines Kindes, das nachvollziehbarerweise zwar die einfachsten Dinge nicht kennt, sich aber andererseits auf Gebieten als Spezialist ausweist, die wohl den meisten Erwachsenen fremd sein dürften. Und eines muss noch gesagt sein: Selbst, wenn man offen ist für neue Wege bei der Titelfindung, dieser Titel hätte besser sein können. Das Ordinäre passt nicht im Geringsten zu dem Buch. Wobei, es ist eher bedingt witzig und damit hat es dann doch einiges mit diesem Roman gemeinsam.
1.3 Stars (1,3 / 5)

Rainer Gross: Grafeneck

Nazis hat es nicht gegeben in dem kleinen Ort auf der Schwäbischen Alb. Natürlich nicht. Keiner hat was gewusst, damals, vor über fünfzig Jahren. Und es hat auch keiner was wissen wollen. Damals. Doch jetzt müssen sie sich erinnern, die Alten. Denn einer ihrer Söhne zwingt sie ungewollt dazu.

Der Lehrer Hermann Mauser ist etwas verschroben, wie viele im Dorf. Man hat so seine Eigenheiten und eine seiner Eigenheiten ist das Durchforschen der letzten Höhlenwinkel in der Gegend. Bisweilen findet er auch was, Reliquien anderer Epochen, eine Mumie allerdings war vorher noch nicht dabei. Der mumifizierte Körper trägt einen Anzug aus einer Kleiderfabrik ganz in der Nähe, die allerdings seit rund fünfzig Jahren nicht mehr existiert. Und er trägt ein Kreidekreuz auf dem Rücken. Das Zeichen, das Behinderten aufgemalt wurde, bevor sie nach Grafeneck abtransportiert und dort misshandelt und vergast wurden. Mauser weiß das, seine Schwester war eine von ihnen und wie sich herausstellt, kam die Kugel, mit der der Mann ermordet wurde, aus seines Vaters Waffe. Das Bild seines Erzeugers fällt in sich zusammen, Fragen werfen sich auf. Hat der Selbstmord der Mutter nach dem Abtransport der Tochter den Vater Recht nicht mehr von Unrecht unterscheiden lassen?

Mauser macht sich auf die Suche nach der Geschichte hinter der Geschichte und arbeitet teilweise mit, teilweise gegen und teilsweise parallel zum herbeorderten Kommissar. Und dabei entwickelt sich zwischen den beiden sogar so etwas wie Freundschaft.

Es ist ein Debüt und es ist gelungen. Gross verwendet eine Sprache, die einfach ist, unblumig, nüchtern beschreibend – kurze, prägnante Sätze:

„Die grau gestrichenen Busse. Weiß vermalte Fenster. Dahinter sind sie gesessen, im Sonntagsstaat, Kreidekreuze auf dem Rücken, wussten nicht, was mit ihnen vorging, wussten nicht, wohin sie gebracht wurden. (…) In Buttenhausen wusste man nichts. Bis die Öfen gequalmt haben und der Rauch in Marbach sichtbar war. Bis Gerüchte durchsickerten. Bis die Busfahrer in die Enge getrieben wurden und von dem berichteten, was sie gesehen hatten.“

Das Buch ist in der Tat, wie auf dem Klappentext beschrieben, ein Krimi – mit allen Facetten der menschlichen Traurigkeit. Unter einem „dunklen Heimatroman“ allerdings stelle ich mir etwas anderes vor, ich würde das Buch als dunklen melancholischen Kriminalroman bezeichnen und dann kommt es ungefähr hin.

Der Autor wurde 1962 in Reutlingen in Baden Württemberg geboren. Er studierte Philosophie und Literaturwissenschaft in Tübingen und hängte danach noch ein Studium an einem theologischen Seminar dran. „Grafeneck“ ist seine erste Buchveröffentlichung.
3.6 Stars (3,6 / 5)