Lauren Oliver: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Wohl jeder von uns hat sich schon mal überlegt, was er tun würde, wenn er wüsste, dass dies sein letzter Tag ist. Samantha Kingston bekommt diese Chance vom Schicksal, es dauert allerdings eine Weile, bis sie bemerkt, dass es eine Chance und keine Strafe ist.
Der 12. Februar sollte eigentlich ein oberflächlicher Tag wie jeder andere sein. Mit ihren Freundinnen, mit Schuleschwänzen, rumknutschen und Partymachen. Doch dann stirbt das Mädchen bei einem Autounfall und siebenmal hintereinander ist alles anders und doch gleich. Stück für Stück versteht das It-Girl, was wirklich wichtig im Leben ist …

Ein heftiges Thema, fast schon eine Gesellschaftskritik und von „Täglich grüßt das Murmeltier“ weit entfernt, perfekt umgesetzt von Anna Thalbach als Sprecherin. Die Zielgruppe liegt bei jugendlichen Mädchen, aber auch für Erwachsene ist die Thematik durchaus ein interessanter Denkanstoß.

Daniel Glattauer: Vier Stern Stunden

Eines gleich vorweg: Ein typischer Glattauer ist dieses (Hör-)Buch nicht. Schlecht ist es aber auch nicht.

Bei den Kulturtagen im Hotel Reichenshoffer ist die Unlust dem Romanautor Frederic Trömerbusch, der hier interviewt werden soll, direkt ins Gesicht geschrieben. Und dabei ist es dem in die Jahre gekommenen Herrn auch ziemlich egal, dass die ihm gegenübersitzende Journalistin Mariella Brem eigentlich ein großer Fan von ihm ist und sich diese eine Begegnung doch so ganz anders ausgemalt hatte. Trömerbusch will zurück ins Hotelzimmer zu seiner jungen Geliebten, die ihn, den Autor mit der Schreibblockade, wieder auf junge, frische, erfrischende Pfade führen soll. Doch dazu hat diese, eine Bloggerin, überhaupt keine Lust. Und mischt die Veranstaltung lieber ein bisschen auf.

Das Stück, das in einem etwas abgehalfterten Vier-Sterne-Hotel spielt, ist kurzweilig, die 90 Minuten vergehen wie im Flug, einzig der Sprecher des Hotelerben überzeugt ganz und gar nicht. Kritisieren könnte man auch, dass Glattauer die sonst so fein geschliffenen Wendungen des Lebens, die er normalerweise spitz und pointiert zur Sprache bringt, hier eher nicht zur Geltung kommen lässt. Stattdessen entstand ein Stück, das an persönlicher Tragik, genau weil ebendiese Tragik fehlt, nichts zu wünschen übrig lässt.

Marc-Uwe Kling: Der Tag, an dem die Oma das Internet kaputt gemacht hat

Die Oma hat das Internet kaputtgemacht hat, davon ist sie überzeugt. Sie hat hierhin und mal dahin geklickt hat, da war es plötzlich weg. Überall. Über die Folgen ist Oma allerdings nicht allzu überrascht, denn sie hat ja bereits einmal in einer Welt gelebt, in der es kein Netz gab. Die Enkel allerdings nicht. Und die Überraschung ist groß, als sie feststellen, dass es ohne gar nicht so schlecht ist. Und um einiges kommunikativer.
Die Geschichte ist ähnlich strange wie die folgenden über Prinzessinnen mit Riesenpopeln auf dem Kopf, die Prinzen heiraten sollen, die Furzgesicht heißen oder über den Sohn des Weihnachtsmann, der irgendwie lieber der Osterhase wäre. Oder sowas ähnliches zumindest.
Dass Marc-Uwe Klings Geschichten anders sind, das weiß man. Dass diese Kindergeschichten irgendwie nicht nur Kindergeschichten, sondern auch solche für Erwachsene sind, ist auch klar. Dass man sich eine solche CD kauft, weil man genau diesen Humor mag, liegt nahe. Aber die Geräusche und die Musik, mit denen das Ganze gekoppelt sind, fordern einem fast schon etwas Geduld ab. Denn sie machen das Ganze sehr unruhig und irgendwie hektisch. Das liegt zwar im Trend der Zeit, ist aber trotzdem irgendwie schade.

Rico, Oskar und das VomHimmelHoch

Der eine ist hochbegabt, der andere tiefbegabt und zusammen sind Rico und Oskar ein Super-Gespann. Und zwar nicht nur, wenn es darum geht, einen Kindesentführer zu jagen, sondern auch, wenn ein, nein zwei Christkinder sich in der Diefe 93 ankündigen. Doch was ist eigentlich da los in Berlin?

Die Weihnachtsvorbereitungen sind in vollem Gange, die Bäume endlich hochgeschleppt und geschmückt, das Essen brutzelt im Ofen und die Geschenke sind verpackt – und plötzlich denkt keiner mehr an die Bescherung. Draußen tobt der Schneesturm des Jahrhunderts und drinnen kommen gleichzeitig zwei Kinder zur Welt, eines geplant (Ricos kleine Schwester) und eines ungeplant und unter sehr mysteriösen Umständen. Tja, mag der eine oder andere jetzt denken: Der Frühling steht vor der Tür, was soll ich da mit einer Weihnachtsgeschichte? Stimmt. Einerseits. Andererseits findet parallel zum Hauptstrang der Geschichte immer wieder ein Rückblick auf den letzten Sommer statt und auf die Basis dessen, was am Heiligabend seinen Höhepunkt findet. Man kann die Geschichte also durchaus das ganze Jahr über hören.

Der Roman von Andreas Steinhöfel ist bereits der vierte Teil der Reihe und im Gegensatz zu vielen anderen Fortsetzungen wird es hier nicht um ein Haar weniger spannend. Und auch der Wortwitz ist auf gleichem Niveau. Hoffen wir, dass Steinhöfel seine Meinung ändert und die Geschichte auch weiterhin fortführt.

Britta Sabbag: Fritzi Klitschmüller


Fritzi hat es gerade nicht einfach. Ihre beste Freundin ist weggezogen. Der Geburtstag steht vor der Tür und Mama muss auf Kur. Papa ist dauerhaft schlecht gelaunt, weil in das Erker-Haus, das er kaufen wollte, nun andere einziehen und es so für ihn zum Ärger-Haus geworden ist und weil er seine anstrengende Schwester um Hilfe fragen muss. Zu allem Übel glauben die Eltern auch noch, sie sei zu klein für ein Skateboard. Stattdessen bekommt sie ein weißes Spitzenkleid, das sie erst mal mit einem Säbel ihres Bruders etwas aufhübscht. In diesem Outfit öffnet sie die Tür, als der neue Nachbarsjunge sich vorstellen will – und auch, wenn sich Fritzi zunächst sträubt, die beiden werden Freunde und machen die Sommerferien zum Skateboardbeschaffungsabenteuer.
Britta Sabbag ist bekannt für leichte Literatur, die sich um Liebe und Freundschaft dreht. Bei ihren Kinderbüchern geht sie tiefer, allerdings ohne die Leichtigkeit zu verlieren. Fritzi Klitschmüller wirkt ein bisschen wie eine moderne Pippi Langstrumpf. Eins von den Mädchen, die zwar auf der einen Seite gerne und gewieft Mädchen sind, auf der anderen Seite sich aber auch nicht unterbuttern lassen. Sie und Thies nehmen das Leben trotz seiner Widrigkeiten leicht, werden spielend mit der ätzend petzenden Cousine fertig. Die Nachbarschaft wird schnell mal aufgemischt – mit durchwegs positiven Ergebnissen.
Besonders schön ist auch die Vertonung durch die deutsche Schauspielerin Birte Schnöink, die mit ihrer rauen Stimme Fritzi genau den Charakter einhaucht, den man beim Lesen erwartet. Die CD ist leider etwas kürzer als das Buch, hat aber trotzdem eine Dauer von rund eineinhalb Stunden, von denen keine Minute langweilig wird. Optimal auch für lange Autofahrten mit Grundschulkindern – denn das ist eine Geschichte, die auch wir Eltern und sogar große Geschwister gerne hören.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Guillaume Musso: Das Mädchen aus Brooklyn

Als Raphael diese Frau kennenlernt, weiß er, das ist die Frau seines Lebens. Die Liebe blüht in unermesslichem Tempo auf und die Hochzeit steht schnell vor der Tür. Aber irgendetwas treibt Raphael dazu an, seine Angebetete in die Enge zu bringen. Er fragt sie aus über ihre Vergangenheit, will von der so schweigsamen Anna alles wissen. Und hört nicht auf zu bohren, auch wenn er spürt, dass das ein fataler Fehler sein könnte. „Stell dir vor, ich hätte etwas Schreckliches getan. Würdest du mich trotzdem lieben?“ fragt Anna ihn schließlich und zeigt dem Mann ihres Herzen ein Foto. Darauf: verkohlte Leichen.
Raphael flüchtet im ersten Moment, kommt mit der Situation nicht klar, und als er zurückkehrt und darauf hofft, dass sie ihm das plausibel erklären kann, ist Anna weg und für den jungen Mann beginnt eine dramatische Suche – bei der er unterstützt wird von einem Freund, einem Polizisten, der ihm so manchen Weg ebnet und so manche Türe öffnet. Doch wie sagt man so schön? Wenn alle Türen offen stehen, zieht es!

6 CDS, über 400 Minuten – und keine davon ist langweilig. Man fiebert mit mit Raphael, man zweifelt mit ihm, hofft mit ihm und leidet mit ihm. Und irgendwann auch mit Anna, deren Rolle – ganz, wie bei Musso zu erwarten ist – in diesem Spiel eine ganz andere ist als man zunächst dachte. Einzig die Rahmengeschichte rund um Raphaels Trennung von seiner Ex und das dazugehörige Baby stören den Lesefluss etwas und man kann nicht umhin, sich zu fragen, ob diese Konstellation gewaltsam eingebaut ist, um auf genau einen Punkt hinzuführen. Aber das kann man als Leser kaum glauben, denn es ist eigentlich nicht Mussos Art, so durchschaubar vorzugehen.
Musso ist ein Lesevergnügen. Immer. Daran besteht kein Zweifel. Aber vertont von Richard Barenberg ist es ein Hochgenuss. Keiner passt besser zu diesem bärbeißigen Mann mit den weichen Seiten wie dieser Schauspieler und Sprecher.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Andreas Steinhöfel: Anders

Schon seine Kinderbücher rund um Rico, Oskar und Paul Vier zeigen, wie einfühlsam und anders der Autor von „Anders“ ist. Andreas Steinhöfel versteht etwas von seinem Handwerk und hat hier eine Geschichte geschaffen, die tief unter die Haut geht. Wer ihn anno 2014 auf der Buchmesse in Frankfurt gehört hat, wird dies bestätigen. „Anders“ ist eines dieser Bücher, die einem lange im Kopf bleiben.

Es geht um den kleinen Felix, der, nachdem ausgerechnet seine ehrgeizige Helikopter-Mutter ihn über den Haufen gefahren hat, die Zeit einer ganzen Schwangerschaft lang im Koma lag und als Anders wieder aufgewacht ist. Erinnerungen an die Zeit vor dem Unfall hat er nicht. Und es gibt da so den einen oder anderen, dem das auch lieber ist. Doch so langsam drängeln sich die Ereignisse wieder ins Bewusstsein des nun gar nicht mehr angepassten und duckmäuserischen Jungen – beinahe mit fatalen Folgen.

Die Hörspielinszenierung ist tatsächlich nur etwas für Hörspielbegeisterte. Denn die Bearbeitung durch Karlheinz Koinegg und die Umsetzung durch den WDR ist, wie es das CD-Cover bezeichnet „atmosphärisch-dicht“. Überladen könnte man es auch nennen. Denn an manchen Stellen macht das Stakkato den Hörer eher nervös und führt dazu, dass man von den eigentlichen Zwischentönen, die Steinhöfel geschaffen hat, abgelenkt wird.
3.4 Stars (3,4 / 5)

Lorenzo Marone: Der erste Tag vom Rest meines Lebens

Cesare ist Witwer, die Beziehung zu seiner Tochter etwas unterkühlt, gleiches gilt für seinen schwulen Sohn. Gefühle zu zeigen wäre sowieso undenkbar – denkt er. Doch dann kommt es anders für den alten Mann.

Man kann einfach nicht anders, man muss ihn mögen, diesen schrulligen, zynischen, motzigen alten Kerl, der mit seinen paarundsiebizg Jahren versucht, sein Leben in Ruhe abzuschließen. Bloß lassen ihn die anderen nicht. Vor allem Emma nicht, seine neue Nachbarin, deren traurige, verzweifelte Augen dem Lebenserfahrenen schnell verraten, dass in ihrem Leben so ziemlich alles schiefläuft. Eigentlich wollte sich Cesare nicht einmischen, aber dann kann er nicht mehr anders. Und kämpft für Emma mit ein paar weiteren tapferen, betagten Mitstreitern – ein Kampf, der auch Cesare selbst wieder zurück ins Leben katapultiert. Ob er will oder nicht.

Der Sarkasmus, der ironische Unterton, mit dem Cesare erzählt, die brillante Leistung des Sprechers Peter Weis – es ist ein Genuss, diesem Roman zwischen Verbitterung und Optimismus zuzuhören.

Der Autor ist übrigens eigentlich Jurist – doch das Schreiben scheint ihm mehr Spaß zu machen. Was sein Leser ihm dankt.
4.1 Stars (4,1 / 5)

Shane Koyczan: Bis heute

Shane ist gemobbt worden. Schon ganz früh ging das los. Im Alter von acht Jahren nannten alle den Jungen, dessen Eltern ihn verlassen haben, nur Schweinerippchen. Die Schulflure waren ein Spießrutenlauf, im Erste-Hilfe-Koffer keine Bandage für die Seele. All das hat der sympathische junge Mann in einem Gedicht verarbeitet und niedergeschrieben und damit einen ungeheuren Youtube-Erfolg heimgefahren.

Dieses Gedicht ist nun auch als Hörbuch erschienen, eine CD, zweisprachig und vielstimmig, die zum Nachdenken anregt. Nichts für nebenbei mal, sondern etwas, um in die Tiefe zu gehen. Im Rahmen eines Klassenzimmers genauso wie allein im Auto, wo man dem kanadischen Dichter und Autor lauscht, automatisch in sich geht und sich fragt, wie so etwas vermieden werden kann. Ein Kind, so alleingelassen und doch eines von vielen.
Ein Muss für die Fans des Poetry-Slams und ein Soll für alle.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Hannah Kent: Das Seelenhaus

Das raue Island im Jahre 1828. Agnes ist Magd. Die verschlossene, aber sehr selbstbewusste Frau wird des Mordes verurteilt. Der Landrat will ein Exempel statuieren. Die Zeit bis zur Hinrichtung soll sie auf einem Hof verbringen, was die Bauersleut nicht sonderlich begeistert. Wieder arbeitet die Magd hart, versucht zu vergessen, dass der Mann, den sie über alles liebte, nicht nur tot ist, sondern auch noch sie für seinen Tod sterben soll. Schließlich vertraut sie sich einem Vikar an und so langsam kommt ans Licht, dass die Wahrheit vielleicht gar nicht die Wahrheit ist.

Es ist das Debüt der Autorin und es ist außerordentlich gut gelungen. Die bewegende Geschichte, bis ins kleinste Detail recherchiert, basiert auf einer wahren Begebenheit, die die Autorin während eines Schüleraustauschs in Island zu Ohren kam und sie buchstäblich nicht mehr losließ und so weltweit mal schnell die Bestsellerlisten eroberte.
Das Buch ist schon gut, die, leider gekürzte Lesung noch viel besser. Allein das Timbre der Stimme von Tobias Kluckert – wenn man die Augen zumacht, glaubt man Joaquin Phoenix spreche mit einem – gibt schon die entscheidende Würze. Besonders gut hier aber auch Vera Teltz.
4.0 Stars (4,0 / 5)