Christine Nöstlinger: Luki live

Wenn die Hormone kreisen, geht der Verstand auf Reisen… Von dem Wahrheitsgehalt dieses Spruches kann sich auch Ariane überzeugen. Ihr bester Freund Luki kommt völlig anders aus seinem Sommeraufenthalt in England zurück. Er hat beschlossen, ab sofort seine Persönlichkeit zu verändern und damit fängt er außen an.

Das bedeutet, dass er neuerdings wie ein bunter Vogel daherkommt. Mit den Schuhen seines toten Großvaters, mit Selbstgestricktem seiner Mutter und mit einem alten Fahrrad, das jeden Moment auseinander zu fallen droht. Seine Haare sind im Sommer gewachsen und werden in einem Pferdeschwanz gebändigt. Doch das Entscheidende: Der junge Mann will fortan immer nur die Wahrheit sagen, egal, ob man das tut oder nicht… alle finden Luki cool, nur Ariane beobachtet das Ganze äußerst misstrauisch. Lukis verhalten auch ihr gegenüber verwirrt sie. Doch als ihr Freund sich in eine andere verliebt, wird dem Mädel klar, was zu tun ist!

„Luki live“ ist rund 30 Jahre alt und trotzdem immer noch genauso aktuell wie damals. Das Buch spricht Kindern, oder besser gesagt angehenden Jugendlichen, direkt aus dem Herz. Und dafür ist Christine Nöstlinger ja sowieso bekannt. Der „Zwerg im Kopf“, der „Gurkenkönig“ oder „Rosa Riedl, Schutzgespenst“ sind Figuren, die einen ein Leben lang begleiten und dann mit den eigenen Kindern wieder aktuell werden. Die Astrid Lindgren Österreichs schreibt so zeitlos, dass der Beltz-Verlag mit der Neuauflage des „Luki live“ genau das Richtige gemacht hat.

Besonders schön: Das österreichisch-deutsche Glossar.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Michael Noonan: The December Boys

Zur Zeit kann man im Kino den Film „December Boys“ und damit Daniel Radcliffe als Muggel sehen. Wen das weniger interessiert, der kann auf das Buch zurückgreifen, das ebenfalls gerade erst erschienen ist.

Die Geschichte spielt in den Dreißigerjahren irgendwo im von der Weltwirtschaftskrise gebeutelten Australien. Fünf Jungs, alle Waisen, dürfen das erste Mal in ihrem Leben raus aus dem Kloster, in dem sie aufwachsen und rein in die echte Welt. Sie fahren – gesponsort durch eine Gönnerin – ans Meer. Sie fühlen sich frei und unbändig stark – bis zu dem Moment, in dem sie erfahren, dass einer von ihnen adoptiert werden soll und zwar auch noch von genau den Menschen, die sie am meisten bewundern: Theresa und ihrem Mann, den alle nur den „Furchtlosen“ nennen. Beide sind relativ jung, cool und der Inbegriff dessen, was die Jungs sich als Heimat wünschen würden. Ein harter Wettstreit um die Gunst der vermeintlichen Adoptiveltern beginnt…

„The December Boys“ ist ein Jugendroman, der sehr einfühlsam den Kampf um Anerkennung darstellt. Die verschiedenen Personenkonstellationen führen zu immer neuen Sichtweisen des Problems, in dem sich die fünf Jungs befinden. Ihr unausgesprochenes Bitten um Zuneigung, ihr Drang, endlich „normal“ zu sein und wie andere zu leben, zeigt sich deutlich in ihrem Gegeneinander aber auch in ihrem Miteinander während der Entscheidungsphase.

Die eingebauten Hinweise auf die Einsamkeit dieser jungen Menschen sind sehr ausgeprägt. Die Sprache, die der Autor wählt, ist teilweise etwas spröde. Das Buch liest sich dadurch nicht immer ganz flüssig.
2.4 Stars (2,4 / 5)

E.D. Baker: Esmeralda, Froschprinzessin

Welche Frau hat sich nicht schon mindestens einmal im Leben gefragt, was passieren würde, käme ein leibhaftiger Frosch daher und ließe sich küssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man mal einem Frosch irgendwo in weiter Flur begegnet mag ja noch angehen, aber geküsst wird er in der Regel nicht – aus welchen Gründen auch immer. Und doch – es hätte der berühmte Prinz sein können! Die amerikanische Autorin E. D. Baker rollt die althergebrachte Geschichte mal von einer anderen Seite auf und hat auf diese Art und Weise ein Kinderbuch zustande gebracht, das auch Erwachsenen vergnügliche Lesestunden beschert.

Esmeralda ist alles andere als die von ihrer Mutter gewünschte Bilderbuchprinzessin. Sie ist tollpatschig, schlaksig, lacht zu laut und hat eine – das findet zumindest das königliche Umfeld – viel zu große Nase, die sie grundsätzlich in Dinge steckt, die sie nichts angehen. Von blonden Locken ist auch keine Spur und den für sie ausgewählten stinklangweiligen Prinz Jorge, den will sie nicht. Basta. Dieses sympathische Prinzessinnen-Persönchen wundert sich erst mal nicht besonders, als sie, vor dem Prinzen in den Sumpf flüchtend, dort auf einen sprechenden und schlecht gelaunten Frosch namens Eadric trifft. An Zauberei ist sie gewöhnt, denn ihre Tante Grassina ist eine Hexe und in Entenküken verwandelte Hunde oder laufende Krabbenfleischklößchen gehören zu ihrem Schloß-Alltag. Die Amphibie verlangt von ihr geküsst zu werden – aber wo käme man denn hin, wenn man jeden Dahergehüpften einfach so küssen würde.

Doch so ganz geht ihr der Herr Frosch und dessen direkte Art nicht aus dem Kopf: Sie küsst ihn irgendwann doch – und wird selbst zum Frosch. Wie das Fräulein Froschprinzessin nun seine neue Welt kennenlernt, was es heißt, Insekten zu verspeisen und wie Eadric ihr dieses Leben im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft macht, lässt den Leser nicht mehr los. Äußerst amüsant und spannend beschreibt E.D. Baker den Weg zurück ins Menschendasein!
5.0 Stars (5,0 / 5)

Alois Prinz: Lieber wütend als traurig

Die Diskussion um die RAF-Terroristen, um ihre eventuelle Freilassung, um Reue oder nicht Reue kocht derzeit so richtig hoch. Weder Brigitte Mohnhaupt noch Christian Klar haben je ihre Abkehr vom „Bewaffneten Krieg“ erklärt, im Gegenteil: Klars Statements sagen einiges aus über die Denkweise des Herrn, er scheint nach wie vor voller Hass auf den Staat zu sein. Was einen Menschen überhaupt so weit bringen kann, eine Institution zu hassen und welche Rolle Kindheit und Jugend dabei spielen, versucht Alois Prinz in seinem (Hör-)Buch „Lieber wütend als traurig“ darzustellen. Er verfolgt das Leben Ulrike Meinhofs bis zurück zu seinen Anfängen.

Ulrike wurde 1934 geboren und verlebte ihre ganze Kindheit vor der schrecklichen Kulisse des Zweiten Weltkriegs. Sie war ein gescheites, aber eher unscheinbares Mädchen, das todernst wirkte, selbst wenn es lächelte. Ein Mädchen, das die christlichen Werte seiner Erziehung verinnerlicht hatte. Zu früh verlor sie ihre Eltern, gewann aber mit der Pflegemutter und Professorin Renate Riemeck eine besonders kluge und emanzipierte Frau als weibliches Vorbild. Schülerzeitung, Studentenblatt – das waren ihre Möglichkeiten, ihre immer wohlüberlegte Meinung kundzutun. Sie wollte verändern, bewegen und sie hasste Gewalt. Klaus Rainer Röhl, Herausgeber der KPD-nahen Zeitschrift Konkret, entlockte der intelligenten jungen Frau die weiblichen Seiten. Sie heiratet ihn, wird Chefredakteurin von Konkret und erwartet Zwillinge, die Aufgrund einer unaufschiebbaren Gehirntumorentfernung allerdings zu früh auf die Welt kommen. Die lange Fehlzeit und die unsäglichen Kopfschmerzen, die Ulrike Meinhof nach wie vor plagen, lassen sie bei Konkret in die hintere Reihe rutschen. Doch Ulrike kann sich mit einer Rolle als Nur-Hausfrau und Mutter nicht abfinden, sie ist und bleibt Vollblutjournalistin und findet nie einen richtigen Zugang zu ihren Mädchen. Schon bald trennt sich Ulrike Meinhof von ihrem Mann, zieht mit ihren Töchtern nach Berlin und lernt dort Menschen kennen, die ihr ganzes Leben auf krasseste Weise beeinflussen….

Wie kann aus einer gläubigen Christin und überzeugten Pazifistin eine Terroristin werden? Welche Rolle spielen Muttergefühle, wenn man seinen ganzen „Besitz“ aufgeben soll? Welchen Stellenwert hat in einem solchen Fall der Druck von außen? Der Einfluss durch andere? Wo liegt der Unterschied zwischen Wahrheit und Wirklichkeit?

Auch später, als Namensgeberin der Baader-Meinhof-Bande, galt die inzwischen deutschlandweit bekannte Journalistin als Stimme der RAF. Sie selbst sah sich eher als Drohne, als Arbeitsbiene der Roten Armee Fraktion. Immer wieder musste sie gegen ihre Sehnsucht nach den Kindern ankämpfen, immer wieder kamen ihr Zweifel an der Richtigkeit ihres Tuns und immer wieder spielten Gudrun Ensslin und Andreas Baader entscheidende Rollen in ihrem Leben. Dem Paar fiel es deutlich leichter, sich komplett mit em „Staatshass“ zu identifizieren. Doch all das ist keine Entschuldigung und wird von Prinz auch nicht als eine solche dargestellt. Er polarisiert nicht, er versucht auch nicht, die Sympathien für Frau Meinhof zu wecken, er erklärt nicht – was er tut, ist ein Bild entstehen zu lassen…. Das Bild einer zerrissenen Frau, die statt des friedvollen einen gewaltsamen Weg wählt, um ihre Überzeugungen durchzusetzen. Die für den Tod vieler unschuldiger Menschen verantwortlich zeichnet, die in Deutschland über Jahre Angst und Schrecken verbreitet hat und deren Tod Fragen aufwirft.

Für Mitdreißiger und Ältere ist die RAF ein Begriff, sie war Thema in der Schule, in den Elternhäusern wurde darüber gesprochen, oft auch diskutiert, manchmal sogar sympathisiert, doch viele Jüngere wissen mit der jetzt wieder hoch gekochten Diskussion wenig anzufangen. Für all diejenigen, die mehr über die Hintergründe wissen wollen, ist dieses preisgekrönte Hörbuch gedacht, denn auch die RAF ist ein Stück deutscher Geschichte.

„Wir haben unsere Eltern nach Hitler gefragt, unsere Kinder werden uns nach Franz-Josef Strauß fragen“

Eva Mattes übernimmt mit ihrer sympathischen rauen Stimme die Zitate aus Meinhofs Leben, Axel Milberg die Erzählerrolle. Es wäre gelogen, wenn man von leichter Kost sprechen würde, selbst, wenn das Hörspiel durchaus auch schon Jugendliche als Zielgruppe im Auge hat. Diese Stunden, die man mit dem Leben und Sterben der RAF-Terroristin verbringt, ziehen viele andere Stunden des Nachdenkens nach sich. Parallelen und Gegensätze zu heutigen Terroristen, Ungläubigkeit gegenüber mancher von Meinhofs Reaktionen, Verständnis für einige ihrer Gedanken….

„Der beste Weg zu verstehen, ist für mich, eine Lebensgeschichte zu erzählen. Gerade für Jugendliche, die oft nicht mehr wissen, was die APO oder die RAF waren, ist das Leben der Ulrike Meinhof ein Stück deutscher Geschichte und eine Geschichte über Utopien – warum sie lebenswichtig sind und warum sie lebenszerstörend sein können.“

Alois Prinz hat bereits mehrere Biographien veröffentlicht, unter anderem über Hermann Hesse und auch die Auszeichnung, die er für „Lieber wütend als traurig“ erhalten hat, ist nicht seine erste. Das Werk ist gut recherchiert, der Autor legt Wert auf zunächst unbedeutend erscheinende Kleinigkeiten, die im Laufe der Zeit an Gewicht gewinnen, doch eines hätte er nicht tun sollen: Den Prolog selbst sprechen. Denn ein Sprecher ist er nicht und die Gefahr, dass das rein stimmlich auf den einen oder anderen abschreckend wirken könnte, ist bei einem Hörspiel doch reichlich groß.
3.7 Stars (3,7 / 5)