Renata Calindo: Meine neue Mama und ich

Wenn man das erste Mal zu einer neuen Mama kommt, dann mischt sich Neugier mit Verzweiflung, Angst mit Hoffnung. So geht es auch dem Protagonisten dieses Buches, der jetzt zum ersten Mal ein eigenes Zimmer hat, zum ersten Mal jemanden hat, der ihm zuhört und sich um ihn wirklich mit Achtsamkeit kümmert. Dass die neue Mama ihm nicht ähnlich ist, macht ihm nur anfangs zu schaffen, dass er sie manchmal nicht mag und oft ganz plötzlich traurig wird, ist auch nicht einfach – aber so langsam kommt er an und beide lernen, eine Familie zu sein.
Pflegekinder sind ein Thema, das relativ selten Eingang findet in die Bilderbuchwelt. Gerade deswegen ist es so schade, dass es diesem Buch nicht gelingt, den traurigen Schleier des Themas abzuwerfen. Die Bilder sind in ihrer Einfachheit und Farbwahl regelrecht bedrückend. Auch wirft es viele Fragen auf, die so nicht beantwortet werden. Wenn man bedenkt, dass eben nicht jeder eine Mama hat, die ihm vorliest und dabei die Welt erklärt, dann wäre es unter diesem Aspekt angebracht, die Geschichte entweder anders aufzubauen oder, wie in vielen anderen Büchern zu Problemthemen auch, das Thema Pflegeltern noch einmal kindgerecht auf ein paar Extraseiten zu erklären.

Anne Tyler: Tag der Ankunft

Zwei Familien: eine iranischer Herkunft, eine amerikanisch – zwei Welten. Die sich verbinden durch zwei koreanische Mädchen. Die ersehnten Adoptivkinder. Für die frischgebackenen Eltern, vor allem für die Mütter Ziba und Bitsy, bekommt die Welt wieder Farbe – und sie verändert sich, durch den Einfluss der jeweils anderen.

Hier die Donaldsons – amerikanischer geht’s nicht. Und dort die Yazdans, die sich zwar auf der einen Seite dem amerikanischen Leben angepasst haben, auf der anderen Seite aber stolz darauf sind, immer Iraner zu bleiben. Und die ihre Außenseiterposition nie aus dem Blickwinkel verlieren. Selbst dann nicht, wenn es dafür gar keinen Grund gibt. Teile der Familie Yazdan tragen diese Außenseiterrolle wie ein Schutzschild vor sich her und sind doch gezwungen, es fallen zu lassen – gezwungen durch zwei kleine, miteinander aufwachsende Mädchen und durch die Veränderungen, die sich durch die beiden in den jeweiligen Familien ergeben. Das zeigt sich am deutlichsten bei der jährlichen „Tag der Ankunft-Feier“, die von Bitsy konsequent durchgezogen wird – auch gegen den Willen der anderen.

„Maryam sagte:“Oh, die … Ankunftsparty.“

„Dad meinte, du kämst vielleicht.“

„Naja, ich habe gesagt, dass ich darüber nachdenken werde“, sagte Maryam. „Aber dieser Sommer ist so vertrackt; ich bin mir nicht sicher, ob…“ (…) Die Ausreden, die ihr auf der Zunge lagen – New York, Farahs Besuch -, kamen ihr plötzlich so fadenscheinig vor.“

Maryam, Zibas Mutter, wehrt sich am heftigsten gegen das Verschmelzen der beiden Familien – und doch ist sie es am Schluss, die am meisten darin aufgeht.

Anne Tyler ist eine der erfolgreichsten Romanschriftstellerinnen Amerikas. Ausgezeichnet mit dem Pulitzerpreis und hochgelobt auch bei uns.

Mit „Tag der Ankunft“ ist ihr ein sensibles Buch über das Miteinander verschiedener Kulturen gelungen. Ohne überzeichnen zu müssen, fängt sie die Stimmungen einer Multikulti-Gesellschaft ein, die vorgibt, gar keine zu sein. Sie beschreibt die Probleme von Einwanderern, die sich selbst Jahrzehnte nach ihrem eigenen Tag der Ankunft nicht an das neue Leben gewöhnt haben, behandelt aber auch die Schwierigkeiten gerade der Kinder, die in einer solchen Familie aufwachsen, eigentlich aber zu dem Land gehören, in dem sie geboren wurden und die mit der Diskrepanz zwischen Draußen und Zuhause lernen müssen zu leben.
2.9 Stars (2,9 / 5)

Marie Fenske: Kontiki & Casablanca – das Schaf im Storchennest

Was, wenn man irgendwo zuhause ist und doch nicht richtig dorthin hingehört? Was, wenn alle anderen sich ähnlich sind, man selbst aber ganz anders ist? Und man einfach nicht versteht, warum. So geht es Casablanca, einem kleinen Lamm, das von Storcheneltern aufgezogen wird.

Eine Schafsfrau bekommt Zwillinge und eines davon kullert ihr des nächtens davon. Und wird von Vater Adebar gefunden. Er hält das weiße runde Knäuel für ein aus dem Nest gefallenes Junges und bringt es seiner Frau, die das Lamm auch sofort unter ihre Fittiche nimmt. Sie nennt es Casablanca. Die Storchendame vermutet nämlich, in Afrika etwas Falsches gegessen zu haben – denn dieses Kind ist so anders. Die Eltern sind verunsichert und sie rufen den Storchenrat an. Nach langen Beratungen kommt es zu folgender Entscheidung:

„Dieses Kind ist anders als wir und deshalb ist es wichtig. Es soll das Futter bekommen, das es gerne hat. Wir wollen versuchen, seine Sprache zu verstehen. Dann lernt es sicher auch unsere. Und bestimmt wird eine besondere Persönlichkeit aus ihm – es sieht ganz danach aus.“

Doch spätestens als die anderen Storchenkinder flügge werden, merkt Casablanca, dass er nicht glücklich ist. Kontiki, ein Kobold, wird ihm ein guter Freund und er hilft ihm, seinen Platz im Leben zu finden.

Dieses Kinderbuch ist einfach rundweg wunderschön. Die Geschichte vom Findelkind, vom Kind, das anders ist, ist einfühlsam erzählt und sprachlich äußerst ansprechend umgesetzt. Die Bilder dazu stammen von der Autorin selbst und sind so weich gezeichnet, dass man sie stundenlang betrachten könnte. Ein I-Tüpfelchen ist die von Meike Range hinzugefügte Landkarte, die zeigt, wo genau die Geschichte gerade spielt….

Maria Fenske lebt heute in der Nähe von Düsseldorf. Sie „malt, seit sie 1954 geboren wurde, und Geschichten erzählt sie, seit sie sprechen kann.“ (Aussage ihrer Mutter). Ihr liegen nach eigener Aussage vor allem die Kinder am Herzen, die aus dem Nest gefallen sind, die kein Nest mehr haben oder zu weit davon entfernt sind.

„Kontiki & Casablanca“ eignet sich übrigens auch sehr gut als Gesprächsgrundlage für Themen wie Adoption oder auch Behinderung.
4.7 Stars (4,7 / 5)