Louise Millar: Allein die Angst

Ein guter Thriller bringt unsere verborgensten Ängste zum Klingen. Und das hier ist ein verdammt guter Thriller für Mütter – denn nichts ist schlimmer, als die Vorstellung, sein eigenes Kind in falsche Hände gegeben zu haben.
Allein die Angst ist das, was immer bleibt.

Callie ist alleinerziehend. Und hat niemand außer Suzy von gegenüber. Denn die anderen Frauen wollen nichts mit ihr zu tun haben. Warum, weiß Callie nicht. Noch nicht. Aber sie leidet sowieso weniger für sich als vielmehr für ihre herzkranke Tochter Rae, die so gerne eine Freundin hätte. Als Callie, die von Beruf Sounddesignerin ist, von ihrem ehemaligen Chef ein Topangebot bekommt, greift sie zu. Und kämpft von nun an mit den typischen Problemen vieler berufstätiger Mütter: die Zerrissenheit zwischen Job und Kind, das gehetzte Gerenne zwischen Arbeitsplatz und Hort, das Angewiesensein auf andere und nicht zu verachten: dieses unglaublich schlechte Gewissen, das sich zu bestätigen scheint, als Rae, betreut von einer Nachbarin, auf der Straße stürzt und ins Krankenhaus muss. Und das ist nur der Anfang.
Wem kann man das Leben seines Kindes wirklich anvertrauen?

So viel zur Grundlage der Geschichte. Aber Louise Millar hat sich damit nicht zufrieden gegeben. Und einen Plot erschaffen, der nicht nur von einer Angst, sondern gleich von mehreren lebt. Von Abhängigkeiten, Bedürfnissen und Vertrauen. Denn, was ist, wenn man nicht mehr weiß, wem man trauen kann, wenn vertraute Personen offensichtlich Geheimnisse vor einem haben, wenn die Verrückten letztendlich die Normalen sind und wenn sich die gesamte Realität als verzerrt herausstellt. Gänsehaut und man weiß nicht, warum!

Noch viel besser als das Buch ist das Hörbuch. Denn der für diese Fassung geschickt gekürzte Psychothriller lebt vor allem von den Stimmen der Schauspielerinnen Caroline Peters, Andrea Sawatzki und Stefanie Stappenbeck, denen es gelingt, die Geschichte, die in verschiedenen Erzählformen geschrieben ist, so subtil vorzutragen, dass man sich ganzer Gänsehautschwärme kaum erwehren kann. Das Geniale an ‚Allein die Angst‘ ist, dass der Text an sich eigentlich nichts Beängstigendes hat. Er ist mehr wie Spannung erzeugende Hintergrundmusik zu harmlosen Bildern. Man fühlt sich beunruhigt, weiß aber nicht genau, warum.

Louise Millar ist selbst Mutter zweier Kinder, hat auch einen Mann und man kann nur hoffen, dass sie eine Freundin hat, auf die sich wirklich verlassen hat.

Angelika Glitz/Imke Sönnichsen: Der tapfere Toni

Toni und Papa machen einen echten ‚Männertag‘. Toni würde ja lieber den ganzen Tag lang Fußball spielen, aber Papa hat da etwas anderes vor. Er will mit Toni das Bergungeheuer besuchen.

Also machen die beiden sich auf den Weg einen ganz hohen Berg hinauf. Bald schon kann Toni nicht mehr und auch bei der Aussicht auf Ungeheuer ist ihm nicht ganz wohl. Aber Papa will, dass er ein tapferer Junge ist und so macht Toni eben mit. Bis sie tatsächlich dem Bergungeheuer begegnen und jetzt Papa derjenige ist, der Angst hat….

Ein schönes Bilderbuch zum Thema Mut und wie einfach es ist, von anderen zu fordern, sie sollen tapfer sein. Vor allem, wenn sie viel kleiner sind als wir und uns ihre Angst vielleicht manchmal lächerlich erscheint. Dabei sind wir selbst nicht besser, auch die Erwachsenen verlieren mal den Mut und dann ist es gut, wenn sie das auch zugeben können. Sprachlich besonders hervorzuheben ist die durch das Buch wunderbar gegebene Möglichkeit, mit dem Kind anhand der detailreichen Bilder feste Ausdrucksweisen wie „die Beine baumeln lassen“ üben zu können.
4.5 Stars (4,5 / 5)

Thomas Glavinic: Die Arbeit der Nacht

Es ist ein Albtraum, ein absoluter Albtraum – doch ist es wirklich ein Traum, ist es Realität, ist es nur seine Realität? Jonas wacht auf am Morgen des 4. Juli, alles scheint wie immer, bis er irgendwann merkt, dass er allein ist, ganz allein. Alle anderen sind verschwunden, Menschen, Tiere – alle weg.

Der Protagonist bleibt erstaunlich cool. Er arrangiert sich mit seiner Situation. Und entwickelt Strategien, um mit ihr fertig zu werden. Eine davon ist, sich selbst beim Schlafen zu filmen. Und festzustellen, dass der „Schläfer“ eine ganz eigene Identität hat. Das erklärt auch, warum Jonas zwar sehr lange schläft, aber nie wirklich Ruhe findet. Seltsame Dinge geschehen, Nachrichten, Zeichen – undeutbar und doch fühlbar relevant. Nichts ist mehr vertrauenswürdig – nicht mal er selbst – nichts ist mehr vertraut. Er beobachtet, wie der Schläfer immer mehr ein Eigenleben entwickelt, wie er Dinge tut, die Jonas völlig unerklärlich sind. Gepeinigte Schreie aus dem Off, Messer, die plötzlich in der Betonwand stecken, Puppen, die sich genau an dieser Stelle in der Wand befinden. Jonas, der früh aufwacht, das Kopfkissen voller Blut und mit vier Zähnen weniger im Mund. Auf dem Film plötzlich alles weiß, inklusive dem Schläfer selbst, seine Augen auf die Kamera gerichtet – starr, kalt, leblos und doch durchdringend bis ins Mark. Die Zeiten, die Orte verschieben sich. Seine überall postierten Kameras verschwinden teilweise, Bänder tauchen wieder auf – darauf bereits Verstorbene, quietschlebendig.

Jonas flüchtet, er will seine Freundin suchen, die am 3. Juli nach England abgereist war. Auf dieser Reise wird ihm klar, dass er nicht mehr schlafen darf. Dass er den Schlaf überlisten muss. Mithilfe von Medikamenten versucht er, sich dem Kampf zu stellen. Doch jeder, der das bereits einmal probiert hat, weiß, dass es letztendlich sinnlos ist. Der Schlaf siegt und als Jonas wieder aufwacht, findet er sich in einem vermeintlichen Sarg wieder. Er nimmt den Kampf gegen den Schlaf erneut auf. Da er und der Schläfer dieselbe Person sein müssen, muss es auch einen Weg hinaus geben….

Jonas Leben ist ein Käfig. Als er versucht, sich daraus zu befreien, wird ihm klar, was Himmel und Hölle bedeuten. Wird ihm klar, welche Dimension die Zeit hat… Jonas kämpft, doch der Schlaf ist stärker als er und letztendlich gibt er ihm nach….

Dieses Hörbuch über den Mann, den der Schlaf übermannte, ist krass. Beim Hören ist man völlig geschickt. Gefangen in dieser Geschichte zwischen den Realitäten und beeindruckt von der Coolness eines Mannes, an dessen Stelle die meisten mit ziemlicher Sicherheit bereits nach ein, zwei Tagen wahnsinnig geworden wären. Die Einsamkeit, die Unsicherheit über das Wie, das Warum und das Was, die Nächte, die sich verselbständigen und dieses unsägliche Schweigen um ihn herum – eine unerträgliche Vorstellung. Sechs CDs und keine Sekunde davon überflüssig, keine Sekunde auch nur ansatzweise langweilig. Das liegt unter anderem auch am Sprecher (der übrigens leider den Namen des Autors falsch ausspricht). Heikko Deutschmann liest dieses Hörbuch ohne große Emotion, ohne große Verwunderung über die Geschehnisse und genau das macht den Reiz aus. Es bleibt dem Hörer komplett selbst überlassen, die Phantasie spielen zu lassen, zu entscheiden, welche Stellen wirklich wichtig sind. Das bedeutet aber nicht, dass das Buch langweilig gelesen werden dürfte oder gelesen worden sei. Es ist – ganz im Gegenteil – dermaßen perfekt, dass es tatsächlich nichts mehr zu wünschen übrig lässt. Allerdings sind die persönlichen Anforderungen und Erwartungen an einen Sprecher durchaus sehr unterschiedlich. Wer sich darauf nicht einlassen möchte, ist sicher gut bedient, sich das 400 Seiten starke Buch zu besorgen. Auch weil die CDs eine gekürzte Fassung sind und das eine oder andere wohl doch etwas verloren geht.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Bärbel Spathelf/Susanne Szesny: Pass auf dich auf – wenn dich ein Fremder anspricht

Philip und seine Schwester Katharina werden von einem fremden Mann angesprochen, der ihnen anbietet, sie nach Hause zu fahren. ihre Mama wüsste Bescheid. Doch Katharina reagiert genau richtig und hindert ihren Bruder daran, einen vielleicht verhängnisvollen Fehler zu begehen.

Das neueste Buch von Bärbel Spathelf und Susanne Szesny steht seinen Vorgängern in nichts nach. Wieder einmal trifft es haargenau ins Schwarze. Wem und wann darf man die Haustür aufmachen, mit wem und unter welchen Bedingungen darf man mitgehen, darf man in einem solchen Fall auch unhöflich sein und inwieweit kann man lernen, seinem Bauchgefühl zu vertrauen? Alles fragen, die gerade bei Vorschulkindern, deren persönlicher Radius sich langsam erweitert, dringend angesprochen werden müssen.

Es gibt wenig wirklich gute Bücher zu diesem heiklen Thema. „Pass auf dich auf!“ ist gerade deshalb wirklich herausragend, weil es ganz natürlich damit umgeht, dass man als Kind in eine solche Situation geraten kann und wissen sollte, wie man damit umgehen muss. die Bilder sind einprägsam, aber nicht düster. Dieses Kinderbuch sensibilisiert, ohne Angst zu machen.

Wer mehr wissen möchte, über Philip, Katharina und ihre kleine Schwester Stefanie sowie deren sympathische Eltern, der findet zu vielen „schwierigen“ Kinderthemen Unterstützung. Ganz besonders hübsch sind „Der kleine Zauberer Windelfutsch“ und „Ein Bär von der Schnullerfee“. Zu beiden Büchern dazu gibt es ein kleines Hilfsmittel – passend zum Thema. Aber auch das Schlafengehen bzw. das Nichtschlafenwollen, das Zähneputzen oder das Streiten werden in den Bilderbüchern von Bärbel Spathelf behandelt und von Susanne Szesny optimal zeichnerisch umgesetzt. Und zwar ohne gleich den moralischen Zeigefinger zu heben!
3.8 Stars (3,8 / 5)