Renate Welsh/Julie Völk: Zeit ist (k)eine Torte

Keine Zeit, keine Zeit, was für die einen nach Alice im Wunderland klingt, ist für Kinder oft der ganz normale Alltag. Dauernd wird ihnen etwas versprochen und dann kommt doch wieder „Wichtigeres“ dazwischen. Und Elli trifft es gerade besonders hart. Ihre Mutter ist krank und muss auf Kur, der geplante Skiurlaub fällt ins Wasser und Papa hängt dauernd superwichtig am Telefon. Schöne Ferien! Doch dann darf Elli zu Frau Neudeck, der schrulligen Nachbarin, erlebt ein Abenteuer nach dem anderen und lernt von Frau Neudeck auch noch, wie man am besten ein bisschen Geduld mit den Erwachsenen hat.

Die Autorin dieses Buches war in der Schule die Kleinste und das auch noch mit roten Haaren – da waren blöde Sprüche vorprogrammiert. Doch dann versprach ihr der stärkste Junge von allen, sie zu beschützen, wenn sie ihm jeden Tag eine ihrer Geschichten erzählte. Kein Wunder, dass Bücher wie dieses voller Verständnis sind für Kinder und ihre Bedürfnisse.

Alan Burdick: Warum die Zeit verfliegt

Eine größtenteils wissenschaftliche Erkundung – so lautet der Untertitel dieses Buches, bei dem sich der Autor auf spannende Weise einem Thema nähert, das eigentlich gar nicht existiert.
Zeit ist so schwer zu greifen, dass wir von ihr nur in Bilder sprechen können. Sie verfliegt, zieht sich hin, rinnt wie Sand durch die Finger – doch was ist Zeit eigentlich? Ist sie nur eine Eigenschaft des Geistes? Was hat Struktur mit dem Begreifen von Zeit zu tun, warum vergeht die Zeit schneller, wenn man älter wird und wann endet eigentlich die Gegenwart?

Alan Burdick versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden und stößt dabei letztendlich noch weitere Gedankengänge an. Und schnell stellt sich die Frage, welche Rolle bei dem Ganzen die eigene Wahrnehmung spielt. Trotz seiner wissenschaftsjournalistischen Herangehensweise verleiht Alan Burdick dem Buch auch einen persönlichen Charakter. Und am Schluss versteht man, warum dieser Mann nie eine Uhr tragen wollte.

Der Autor schreibt für den New Yorker, wo er bereits als leitender Redakteur tätig war. Sein erstes Buch Out of Eden wurde für den National Book Award nominiert und vom Overseas Press Club ausgezeichnet.

Guillaume Musso: Vierundzwanzig Stunden

Nicht umsonst ist der ehemalige Gymnasiallehrer Musso immer wieder auf den ersten Plätzen der französischen Bestsellerlisten (und nicht nur dieser) zu finden. Seine Figuren sind extrem durchdacht, haben in der Regel einiges durchgemacht und sind echte Charakterköpfe. Nie perfekt, dafür umso liebenswerter. So wie Arthur Costello. Er kommt einem Familiengeheimnis auf die Spur und reist auf den Spuren seiner Vorfahren durch die Zeiten. Für ihn vergehen nur Tage, für seine Umwelt sind es Jahre – und alles, was er sich aufbaut, wird zum Ende hin verschwinden, das prophezeit ihm sein Großvater, von ihm in einer spektakulären Aktion aus der Psychiatrie befreit und sein einziger wirklicher Verbündeter – egal, welche Worte man wählt, man würde diesem Buch nicht gerecht. Zum einen, weil man zu viel verraten würde und damit das Konstrukt Mussos zerstören würde, zum anderen, weil die Geschichte so komplex ist, dass man sie keinesfalls in wenige Zeilen fassen kann.

Das Buch ist ein typischer Musso, ein Spiel mit den Zeiten, den Realitäten einzelner Persönlichkeiten, ein bisschen Liebesroman, ein bisschen Thriller und ein völlig überraschendes Ende. Und das ist das wirklich einzige Manko dieses Buches, das Ende kommt viel zu überraschend, viel zu schnell und lässt dem Leser keinen Atemzug – genial auf der einen Seite, ein bisschen zu heftig auf der anderen. Beim Buch mag das noch gehen, blättert man eben zurück, liest noch mal nach. Beim Hörbuch, das übrigens von Richard Barenberg sehr gut vertont ist, wird es da schon schwieriger. Am besten, man beginnt gleich wieder bei Track eins.
Doch trotz aller schlussendlichen Verwirrung hat dieses (Hör)Buch die Note eins verdient. Mit Stern.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Susanna Ernst: Immer wenn es Sterne regnet

Diese Geschichte ist ganz typisch für Susanna Ernst. Sie trifft einen netten, unterhaltsamen Ton, verwebt mehrere Stränge miteinander, bringt die Liebe ins Spiel und ein bisschen Geheimnis. Fertig.

Auch hier begegnen sich direkt oder indirekt verschiedene Menschen, zum Teil sogar aus verschiedenen Epochen. Da ist zum einen Adam, wir schreiben das Jahr 1927 und er schreibt entsprechend schwülstige Liebesbriefe an seine Gracey. Und da ist das Hier und Jetzt, in dem der Anwalt Jeremy nicht weiß, was er angeben soll, weil seine Ex nicht aus der Wohnung auszieht und zum anderen Mary, die bei einem sehr geheimnisvollen Trödelhändler einen alten Sekretär ergattert. Inklusive Adams Briefen. Mary geht der Liebe des ungleichen Paars Adam und Gracey auf die Spur und findet dabei Lösungen für sich selbst. Und irgendwie auch für Jeremy.

Ein bisschen verwirrend ist der häufige Wechsel der Erzählposition, aber bringt auch das für die jeweiligen Personen notwendige Verständnis des Lesers.
3.0 Stars (3,0 / 5)

Guillaume Musso: Lass mich niemals gehen

Ethan hat keinen Bock darauf, sein Leben als Arbeiter zu verbringen, nur weil das Schicksal ihm das vorzugeben scheint. Bei einem Ausflug nach New York, den er mit seiner Verlobten und seinem besten Freund Jimmy unternimmt, taucht er von einem Moment auf den anderen unter und beginnt ein neues Leben. Ziemlich erfolgreich. 15 Jahre später hat er in Manhattan eine steile Karriere als Psychologe hingelegt, veröffentlicht zahlreiche Bücher und wird als Lebensberater gebucht. Dass die Frauen dem attraktiven Mitdreißiger zu Füßen liegen, gefällt ihm zwar, aber seine große Liebe Céline, die er auf seinem Weg nach oben getroffen und wieder verlassen hat, kann er nicht vergessen. Als Céline ihn an einem schicksalsträchtigen Tag zu ihrer Hochzeit einlädt und unübersehbar hofft, dass er diese verhindert, versaut es Ethan. Doch er bekommt eine neue Chance. Und nicht nur eine. Er darf den Tag nochmal und nochmal erleben, trifft dabei auf Schicksal und Karma.

Das Muster ist bei Guillaume Musso oft das Gleiche. Der Franzose liebt es, starre Zeitschienen aufzulösen und seine treuen Leser damit immer wieder aufs Neue zu überraschen. Das ist ihm auch diesmal ziemlich gut gelungen. Das Buch ist spannend bis zur letzten Seite. Was nicht zuletzt mit der Rolle eines jungen Mädchens zu tun hat und damit, dass es fast nicht möglich ist, sein Schicksal auszutricksen. Aber eben nur fast nicht möglich.

Wer Lust hat, das Original zu lesen: Es ist 2008 unter dem Titel „Je reviens te chercher“ erschienen.
4.8 Stars (4,8 / 5)

Dani Atkins: Die Achse meiner Welt

Rachel hat alles, was sich ein junges Mädchen nur wünschen kann. Einen tollen Freund, eine Clique, die zusammenhält wie Pech und Schwefel, sie sieht gut aus und wird bald das Studium beginnen, von dem sie immer geträumt hat. Alles ist perfekt. Bis zu diesem einen Abend, an dem alle noch einmal gemeinsam feiern wollen. Ein unglaublicher Unfall und eine Verkettung von Umständen nimmt ihr den besten Freund, jeglichen Lebenswillen und die Schönheit. Glücklich wird sie nie wieder. Jahre später kommt es erneut zu einem Unfall, doch als Rachel im Krankenhaus aufwacht, ist ihr Leben plötzlich genauso, wie sie es sich vor dem ersten Unglück erträumt hat. Jimmy lebt und er liebt sie. Genau wie sie ihn. Und endlich sind sie bereit, sich das einzugestehen. Das ist die Quintessenz. Doch was ist die Realität? Das Leben, an das sich Rachel erinnert oder das, das sie jetzt führen soll? Die Wirklichkeiten scheinen sich zu überschneiden, so manches Mal rutscht auch noch etwas anderes, nicht Greifbares hinein…

Dieses Romandebüt, das sich zunächst einreiht in eine Art Strömung, die derzeit auf dem Buchmarkt herrscht, hat ein unglaubliches Ende. Wer jetzt allerdings dieses zuerst liest, nimmt sich selbst viele Stunden echten Lesegenuss. Der Roman, der in England absolut eingeschlagen hat, wird in vielen Ländern verlegt und es ist eines der Bücher, die man in seinem Regal stehen haben sollte. Eines der richtig guten! 
5.0 Stars (5,0 / 5)

Thomas Glavinic: Die Arbeit der Nacht

Es ist ein Albtraum, ein absoluter Albtraum – doch ist es wirklich ein Traum, ist es Realität, ist es nur seine Realität? Jonas wacht auf am Morgen des 4. Juli, alles scheint wie immer, bis er irgendwann merkt, dass er allein ist, ganz allein. Alle anderen sind verschwunden, Menschen, Tiere – alle weg.

Der Protagonist bleibt erstaunlich cool. Er arrangiert sich mit seiner Situation. Und entwickelt Strategien, um mit ihr fertig zu werden. Eine davon ist, sich selbst beim Schlafen zu filmen. Und festzustellen, dass der „Schläfer“ eine ganz eigene Identität hat. Das erklärt auch, warum Jonas zwar sehr lange schläft, aber nie wirklich Ruhe findet. Seltsame Dinge geschehen, Nachrichten, Zeichen – undeutbar und doch fühlbar relevant. Nichts ist mehr vertrauenswürdig – nicht mal er selbst – nichts ist mehr vertraut. Er beobachtet, wie der Schläfer immer mehr ein Eigenleben entwickelt, wie er Dinge tut, die Jonas völlig unerklärlich sind. Gepeinigte Schreie aus dem Off, Messer, die plötzlich in der Betonwand stecken, Puppen, die sich genau an dieser Stelle in der Wand befinden. Jonas, der früh aufwacht, das Kopfkissen voller Blut und mit vier Zähnen weniger im Mund. Auf dem Film plötzlich alles weiß, inklusive dem Schläfer selbst, seine Augen auf die Kamera gerichtet – starr, kalt, leblos und doch durchdringend bis ins Mark. Die Zeiten, die Orte verschieben sich. Seine überall postierten Kameras verschwinden teilweise, Bänder tauchen wieder auf – darauf bereits Verstorbene, quietschlebendig.

Jonas flüchtet, er will seine Freundin suchen, die am 3. Juli nach England abgereist war. Auf dieser Reise wird ihm klar, dass er nicht mehr schlafen darf. Dass er den Schlaf überlisten muss. Mithilfe von Medikamenten versucht er, sich dem Kampf zu stellen. Doch jeder, der das bereits einmal probiert hat, weiß, dass es letztendlich sinnlos ist. Der Schlaf siegt und als Jonas wieder aufwacht, findet er sich in einem vermeintlichen Sarg wieder. Er nimmt den Kampf gegen den Schlaf erneut auf. Da er und der Schläfer dieselbe Person sein müssen, muss es auch einen Weg hinaus geben….

Jonas Leben ist ein Käfig. Als er versucht, sich daraus zu befreien, wird ihm klar, was Himmel und Hölle bedeuten. Wird ihm klar, welche Dimension die Zeit hat… Jonas kämpft, doch der Schlaf ist stärker als er und letztendlich gibt er ihm nach….

Dieses Hörbuch über den Mann, den der Schlaf übermannte, ist krass. Beim Hören ist man völlig geschickt. Gefangen in dieser Geschichte zwischen den Realitäten und beeindruckt von der Coolness eines Mannes, an dessen Stelle die meisten mit ziemlicher Sicherheit bereits nach ein, zwei Tagen wahnsinnig geworden wären. Die Einsamkeit, die Unsicherheit über das Wie, das Warum und das Was, die Nächte, die sich verselbständigen und dieses unsägliche Schweigen um ihn herum – eine unerträgliche Vorstellung. Sechs CDs und keine Sekunde davon überflüssig, keine Sekunde auch nur ansatzweise langweilig. Das liegt unter anderem auch am Sprecher (der übrigens leider den Namen des Autors falsch ausspricht). Heikko Deutschmann liest dieses Hörbuch ohne große Emotion, ohne große Verwunderung über die Geschehnisse und genau das macht den Reiz aus. Es bleibt dem Hörer komplett selbst überlassen, die Phantasie spielen zu lassen, zu entscheiden, welche Stellen wirklich wichtig sind. Das bedeutet aber nicht, dass das Buch langweilig gelesen werden dürfte oder gelesen worden sei. Es ist – ganz im Gegenteil – dermaßen perfekt, dass es tatsächlich nichts mehr zu wünschen übrig lässt. Allerdings sind die persönlichen Anforderungen und Erwartungen an einen Sprecher durchaus sehr unterschiedlich. Wer sich darauf nicht einlassen möchte, ist sicher gut bedient, sich das 400 Seiten starke Buch zu besorgen. Auch weil die CDs eine gekürzte Fassung sind und das eine oder andere wohl doch etwas verloren geht.
5.0 Stars (5,0 / 5)