Rowan Coleman: Einfach unvergesslich

“Einfach unvergesslich“ erzählt die Geschichte von Claire, die bereits in jungen Jahren, genau wie ihr Vater an einer degenerativen Gehirnkrankheit erkrankt, dies aber noch jahrelang vor ihrer Familie und ihrer Umgebung und letztendlich auch vor sich selbst verheimlichen kann. Sie hat zwei Töchter, zum einen Caitlin, die bereits im studierfähigen Alter und gleichzeitig bereits schwanger ist und Esther, erst drei Jahre alt und das Ergebnis einer ganz großen Liebe zu dem deutlich jüngeren Handwerker Greg, mit dem sie erst seit Kurzem verheiratet ist.

Rowan Coleman schrieb keine Geschichte mit Riesenspannungsbogen, im Gegenteil, sie plätschert eher. Aber im positiven Sinne. Erzählt aus vier Perspektiven ergibt sie erst so ein Gesamtpuzzle von Claires Schicksal, das ja letztendlich nicht nur ihres ist. Es ist verbunden mit dem ihres Mannes, dem ihrer Mutter und vor allem mit dem ihrer Töchter. Sie alle müssen lernen, langsam aber sicher Abschied zu nehmen.

Die Dramatik, die in dieser Geschichte steckt – übrigens überwiegend gut gelesen – eröffnet sich dem Zuhörer erst im Lauf der Zeit, dann aber umso heftiger, mit einem überraschenden Ende. „Einfach unvergesslich“ ist tatsächlich unvergesslich. Vor allem dann, wenn man selbst bereits erlebt hat, wie ein Mensch durch Demenz oder Alzheimer sich Stück für Stück von einem Richtung Vergangenheit entfernte und zwischendurch doch wieder ganz da war. Etwas, was im Lauf der Zeit immer mehr von uns passieren wird.
4.8 Stars (4,8 / 5)

Scott Hutchins: Eine vorläufige Theorie der Liebe

Der frisch geschiedene Neill Bassett jr. hat einen ziemlich interessanten Job. Mithilfe des Tagebuchs seines verstorbenen Vaters haucht er einem Computer Leben ein. Mit den rund 5000 Seiten soll er einen Computer programmieren, der zu Gefühlen fähig sein soll. Eine Arbeit, die nicht nur den Computer emotional weiterbringt, sondern auch den jungen Mann. Gemeinsam entwickeln sie sich, lernen die Frauen verstehen und so ganz nebenbei kommt Neill dem Selbstmord seines Vaters auf die Schliche. Ein paar Verwicklungen und Missverständnisse um die künstliche Intelligenz inklusive. Indem man Neill über die Schulter sieht, bekommt man einen ungeschönten Blick auf die Defizite, die er mit sich herumträgt, auf das oft Erniedrigende seiner Situation.

Dieses Hörbuch gehört zu denen, die einem die Zeit gut vertreiben können. Auch, wenn man bisweilen, wenn es ein wenig herbeigezogen ordinär wird, lieber mal schnell weghört. Eine Stilblüte, die dem Autor eigentlich gar nicht steht und bei der der Lektor seinen Job hätte ein wenig besser machen können. Ist der Debütroman sonst doch so was von gelungen.
4.1 Stars (4,1 / 5)

Hugh Howey: Silo

144 Stockwerke, eine Stadt tief hinein gebohrt in die Erde, seit Generationen leben die Menschen hier in einem Silo. Unten Mechanik, in der Mitte Versorgung, oben Behörde. Und das Fenster nach außen in die verseuchte Umwelt, inklusive dem Blick auf Leichen in Raumanzügen. Es handelt sich um die Menschen, die zur ‚Reinigung‘ hinausgeschickt wurden in die feindliche Welt – weil sie das System angezweifelt haben. So wie Juliette, die ziemlich plötzlich und ein bisschen gegen den eigenen Willen zum Sherriff befördert wird und im Chef der IT, Bernard, einen Feind vom Feinsten findet. Doch Juliette hat eine Menge Freunde, echte Freude, die versuchen, ihren ‚Abgang‘ würdevoller zu gestalten. Und damit eine Lawine von Ereignissen auslösen…

Wer hat die Silos gebaut, welche Idee steckt dahinter und wie kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Aufständen? Man möchte mehr erzählen, erklären, welche Rolle das richtige Klebeband spielt, wieso grüne Wiese in Pixel umgerechnet wurde, warum plötzlich andere Silos ins Spiel kommen und wer Lukas und Solo sind. Würde man das allerdings tun, dann wäre genau das dahin, was dieses Buch ausmacht: seine vielen kleinen Spannungsbögen, die sich gekonnt zu einem großen verbinden.

Eine Dystopie vom Feinsten – erzählt aus der Sicht mehrerer Hauptpersonen. Verstörend und faszinierend zugleich.
‚Silo‘ wurde ursprünglich in Form von fünf E-Books verkauft, bevor man sich dazu entschloss, es zu drucken. Das Hörbuch ist zwar eine gekürzte Fassung, aber eine weitere Steigerung, die erreicht wird durch die Stimme Peter Bieringers, einem der letzten großen Erzähler unserer Zeit.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Louise Millar: Allein die Angst

Ein guter Thriller bringt unsere verborgensten Ängste zum Klingen. Und das hier ist ein verdammt guter Thriller für Mütter – denn nichts ist schlimmer, als die Vorstellung, sein eigenes Kind in falsche Hände gegeben zu haben.
Allein die Angst ist das, was immer bleibt.

Callie ist alleinerziehend. Und hat niemand außer Suzy von gegenüber. Denn die anderen Frauen wollen nichts mit ihr zu tun haben. Warum, weiß Callie nicht. Noch nicht. Aber sie leidet sowieso weniger für sich als vielmehr für ihre herzkranke Tochter Rae, die so gerne eine Freundin hätte. Als Callie, die von Beruf Sounddesignerin ist, von ihrem ehemaligen Chef ein Topangebot bekommt, greift sie zu. Und kämpft von nun an mit den typischen Problemen vieler berufstätiger Mütter: die Zerrissenheit zwischen Job und Kind, das gehetzte Gerenne zwischen Arbeitsplatz und Hort, das Angewiesensein auf andere und nicht zu verachten: dieses unglaublich schlechte Gewissen, das sich zu bestätigen scheint, als Rae, betreut von einer Nachbarin, auf der Straße stürzt und ins Krankenhaus muss. Und das ist nur der Anfang.
Wem kann man das Leben seines Kindes wirklich anvertrauen?

So viel zur Grundlage der Geschichte. Aber Louise Millar hat sich damit nicht zufrieden gegeben. Und einen Plot erschaffen, der nicht nur von einer Angst, sondern gleich von mehreren lebt. Von Abhängigkeiten, Bedürfnissen und Vertrauen. Denn, was ist, wenn man nicht mehr weiß, wem man trauen kann, wenn vertraute Personen offensichtlich Geheimnisse vor einem haben, wenn die Verrückten letztendlich die Normalen sind und wenn sich die gesamte Realität als verzerrt herausstellt. Gänsehaut und man weiß nicht, warum!

Noch viel besser als das Buch ist das Hörbuch. Denn der für diese Fassung geschickt gekürzte Psychothriller lebt vor allem von den Stimmen der Schauspielerinnen Caroline Peters, Andrea Sawatzki und Stefanie Stappenbeck, denen es gelingt, die Geschichte, die in verschiedenen Erzählformen geschrieben ist, so subtil vorzutragen, dass man sich ganzer Gänsehautschwärme kaum erwehren kann. Das Geniale an ‚Allein die Angst‘ ist, dass der Text an sich eigentlich nichts Beängstigendes hat. Er ist mehr wie Spannung erzeugende Hintergrundmusik zu harmlosen Bildern. Man fühlt sich beunruhigt, weiß aber nicht genau, warum.

Louise Millar ist selbst Mutter zweier Kinder, hat auch einen Mann und man kann nur hoffen, dass sie eine Freundin hat, auf die sich wirklich verlassen hat.

Lissa Price: Starters

Ausrottung und Aussterben sind genauso Thema der meisten Zukunftsvisionen in Romanform wie ungleiche Verteilung, Angst und Elend bei den Übriggebliebenen. Lissa Price allerdings kam mit der gleichen Basis auf eine ganz neue Idee.
Sind es in Stephenie Meyers Science Fiction mit dem Titel „Seelen“ Außerirdische, die die Körper der Menschen übernehmen, so werden sie in ‚Starters‘ von Alten ersetzt. Sporen haben dafür gesorgt, dass Menschen zwischen zwanzig und vierzig von der Bildfläche verschwunden sind. Überlebt haben vor allem die schwachen Mitglieder der Gesellschaft. Diejenigen, die zuerst geimpft wurden. Inzwischen gibt es fast nur noch Teenager, wenige Kinder und eine ganze Menge Alter. Die locker bis zu 200 Jahre alt werden können. Die sogenannten ‚Enders‘ fühlen sich zwar nicht so, sehen aber entsprechend aus. Mit all den Zipperlein, die so dazugehören. Wen wundert es da, dass sie sich nichts sehnlicher wünschen als einen jungen Körper für ihr erfahrenes Bewusstsein.

Und hier kommen die ‚Starters‘ ins Spiel. In Ermangelung von Bezugspersonen leben viele von ihnen auf der Straße. Immer auf der Flucht vor den Häschern, die sie, wenn sie sie erwischen, bis zu ihrem 18. Lebensjahr in Heime stecken, die mehr lieblosen Kasernen denn einem Zuhause gleichen. Hier beginnt die Geschichte von Callie. Das junge Mädchen, das sich hingebungsvoll um seinen kleinen Bruder kümmert, ist verzweifelt. Tyler ist lungenkrank und braucht teure Medikamente und er braucht dringend ein warmes Dach über dem Kopf. Um ihm dies zu bieten, wählt sie den Weg zur Body Bank. Das Unternehmen Prime Destinations bietet eine Menge Geld für einen zu mietenden jungen Körper. Versehen mit einem im Gehirn implantierten Neurochip kann das Bewusstsein eines alten Menschen, eines Enders, den Körper übernehmen. Sex ist nicht erlaubt, gefährliche Sportarten auch nicht und nach ein paar Tagen, vielleicht einem Monat ist der Spuk vorbei. Die Sechzehnjährige lässt sich trotz aller Zweifel auf den Deal ein, wacht aber dummerweise zu früh auf und findet sich wieder im Leben einer reichen alten Frau, die sich zur Aufgabe gemacht hat, ihre verschwundene Enkelin zu suchen und dabei den Kampf gegen Prime Destinations aufnehmen will. Zwei Seelen wohnen nun in dieser Brust und nachdem sich die beiden zunächst bekämpfen, gehen sie später eine Allianz ein.

Lissa Price hat mit diesem futuristischen Thriller ein ganz beachtliches Debüt abgelegt, das – vor allem in der Hörbuchfassung gelesen von der Synchronstimme des jungen Vampirlieblings Bella – ziemlich unter die Haut geht. Abgesehen von ein paar wenigen, überschaubaren Nebenschauplätzen konzentriert sich die Autorin auf den eigentlichen Plot und hält den Leser so bei der Stange.
Das Ende allerdings kommt zu abrupt und lässt dabei doch auch der Phantasie zu wenig Spielraum. Was dazu führt, dass der Roman so eigentlich nicht für sich selbst stehen kann. Welch ein Glück für die Leser und Hörer, dass Lissa Price bereits an einer Fortsetzung arbeitet. Mit dem wenig erstaunlichen Titel „Enders“.
Lissa Price: Starters, erschienen als Hörbuch bei Osterwold im März 2012, gelesen von Annina Braunmiller, der Preis für sechs CDs liegt bei rund zwanzig Euro.