Thomas Sautner: Der Glücksmacher

Sebastian Dimsch hat eine Frau, Nachwuchs und einen Job bei einer Versicherung. Aber warum ist er nicht glücklich? Genau wie Millionen andere in seiner Situation findet er keine Antwort auf diese brisante Frage. Und als seine Chefin ihn degradiert und in einem entfernten Trakt des Unternehmens unterbringt, läuft er bei seiner Suche nach dem Glück zu Hochformen auf, studiert alle Philosophen, beginnt Ratschläge an die Kollegen zu verteilen und prädestiniert sich damit für ein neues Produkt: die Glücksversicherung. Die allerdings ursprünglich lediglich geschaffen wurde, um ihn in sein persönliches Unglück zu stürzen.
Wie das Blatt sich immer wieder wendet und welche entscheidende Rolle Fortuna dabei spielt, erschließt sich dem Leser erst im Lauf der Lektüre, die vielleicht nicht glücksbringend erhellend, aber immerhin heiter ist. Und wie sagt man in Japan so schön: Glück kommt denen zu, die lachen.

Der Autor schafft es, den Leser bei der Stange zu halten. Es hat irgendetwas, dieses Buch. Nur leider kann man nicht so genau sagen, was es ist. Thomas Sautner ist noch nicht alt, verfügt aber mit über 40 über genug Lebenserfahrung, um ein Buch wie dieses zu schreiben. Der Österreicher ist ursprünglich Journalist und hat bereits mehrere Romane veröffentlicht.
3.8 Stars (3,8 / 5)

Der Weg nach Oobliadooh

oobliadooh

Bei diesem Buch handelt es sich, so sagt man, um eines der ungewöhnlichsten Werke der Nachkriegszeit. Und mit Sicherheit um eines, das man nicht so nebenbei lesen kann. Der Schreibstil mag genial sein, er ist aber reichlich gewöhnungsbedürftig. Der Roman erzählt von zwei Jugendlichen, den  jazzbegeisterten Freunden Arlecq und Paasch, deren Hauptbeschäftigung es ist, sich gedanklich aus ihrem Leben im Arbeiter- und Bauernstaat wegzuträumen und die sich noch vor dem Mauerbau zu einem Count-Basie-Konzert im Westen aufmachen. Schließlich gelten Bebop und Jazz Ende der Fünfziger Jahre als Symbole einer freien, ungebundenen Lebensweise. Mit Worten fast schon überladen, fantasie- und niveauvoll erzählt, enthält alleine schon der Titel eine ganze Menge Anspielungen. Er ist abgeleitet aus einem Lied. „Im Song bei Gillespie heißt es ‚I knew a wonderful princess‘ und als er die Prinzessin zum Traualtar führt, entdeckt er, man hat sie ihm ausgetauscht. Also sie ist keine Prinzessin und wenn Sie wollen, ist ja da drin eine Anspielung eigentlich auf die Utopie des Kommunismus“, sagt der Autor selbst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

„Oobliadooh, der utopische Ort, der von Gillespie mit mäandrierenden Notenlinien umspielt wird, er ist für Fries das Land der Literatur. Der Autor baut sein System aus Anspielungen und literarischen Orten dabei auf wie die Bebopper ihre Themen. Ein Kunstgeflecht, das sich immer mehr von der vorgegebenen Realität abhebt und in die Unabwägbarkeiten der Lüfte entschwebt (…)“, heißt es im Nachwort des Buches.

Fritz Rudolf Fries, 1935 in Spanien geboren, lebte lange im Randgebiet der DDR. Sein Debütroman, auf Umwegen im Westen bei Suhrkamp veröffentlicht, kostete den inzwischen berühmten und dann wieder schnell vergessenen Schriftsteller seine Stelle bei der ostdeutschen Akademie der Wissenschaften.  Ab sofort musste er sich mit Übersetzungsarbeiten über Wasser halten. Und nicht nur das, auch die Stasi hatte ihn in ihr Blickfeld gerückt. Wenige Jahre später gelang es ihnen, einen Deal mit Fries einzugehen. Der, wie er heute selbst sagt, dem Pakt mit dem Teufel gleichkommt. Fries wurde abgestempelt und hat bis dato keinen wirklichen Fuß mehr auf den literarischen Boden bekommen. Ein tragisches Ende für einen Schriftsteller seiner Klasse.

Doch das könnte sich jetzt ändern. ‚Der Weg nach Oobliadooh‘ ist neu aufgelegt worden, erschien als dreihunderteinundreißigster Band in der ‚Anderen Bibliothek‘. Seit 1984 bringt der damals von Hans Magnus Enzensberger mitbegründete Verlag Bücher heraus, die den Status des ganz besonderen haben. „Das Programm der Anderen Bibliothek folgt inhaltlich seit Anbeginn nur einem Maßstab: Genre-, epochen- und kulturraumübergreifend wird entdeckt und wiederentdeckt, die branchenübliche Einteilung in Sachbuch und Literatur hat nie interessiert, der Klassiker zählt so viel wie die Neuerscheinung. Wir folgen dem »Kanon der Kanonlosigkeit«, nur Originalität und Qualität sollen zählen.“ Das und die Verbindung zwischen intellektuellem und visuellem Anspruch.

Morris Gleitzman: Einmal

Einmal – da rettete Felix ein kleines Mädchen aus einem brennenden Haus. Einmal – da brachte er einen Nazi mit Zahnschmerzen zum Lachen. Und einmal – da gab es eine Zeit, in der Felix ein Kind sein durfte. Felix ist neun und lebt seit fast vier Jahren im Waisenhaus. Was draußen vor sich geht begreift er nicht. Auch nicht, warum seine Eltern ihn wirklich hierher gegeben haben. Ahnt aber, dass etwas nicht in Ordnung ist. Dass die Eltern, Buchhändler von Beruf, nicht nur ihre Geschäfte ordnen müssen. Und er weiß, dass niemand etwas darüber wissen darf. Ganz besonders nicht die Männer in Uniform, denen es sogar gelingt, die sonst so felsenstarken Nonnen zum Weinen zu bringen. Anfangs hat Felix sich die Zeit mit Geschichten vertrieben. Geschichten, in deren abenteuerlichem Mittelpunkt seine Eltern als Helden dastanden. Doch als Männer mit merkwürdigen Armbinden auftauchen und jüdische Bücher verbrennen, weiß er, was er zu tun hat. Er reißt aus, um Mama und Papa zu helfen, ihre Bücher vor der Verbrecherbande zu schützen. Und gerät mitten ins Warschauer Ghetto. Was der kleine Junge dann in den vom Krieg gezeichneten Straßen erleben muss – kein noch so guter Psychothriller könnte mehr Gänsehaut erzeugen.

Der Roman, geschrieben aus der Sicht und mit den einfachen, oft schon naiven Worten des kleinen Jungen, zeigt die Sinnlosigkeit und die grausame Wahrheit der Judenverfolgung aus einer ganz anderen Perspektive. Aus einer noch erschreckenderen Perspektive. An manchen Stellen ist man sogar versucht, das Hörspiel wieder auszumachen. So bedrückend ist die Stimmung, untermalt von Musik, die direkt in den Bauchraum geht. Durchzuhalten aber lohnt sich, denn hier handelt es sich um eines der Bücher, die man nie wieder vergessen wird. Und genau aus diesem Grund sollten Kinder „Einmal“ auch nicht zu früh und vor allem nicht ohne Vorbereitung hören. Mit dreizehn dürfte das Mindestalter gut eingeschätzt sein.

Morris Gleitzman, der inzwischen eine Fortsetzung des Buches auf den Markt gebracht hat, ist einer der bekanntesten Kinderbuchautoren Australiens – mehrfach ausgezeichnet. Auch ‚Einmal‘ schaffte es, wie es fast schon nicht anders zu erwarten war, auf Nominierungslisten und in Preiskategorien. Bei diesem nahegehende Roman aus der Position eines kleinen Jungen während der deutschen Besatzung in Polen, wurde der Autor inspiriert durch die Geschichte eines jüdischen Arztes, der sich heldenhaft für Kinder einsetzte.

Kerstin Gier: Smaragdgrün – Liebe geht durch alle Zeiten

Rubinrot, Saphirblau und nun Smaragdgrün: Kerstin Gier hat mit ihrer Zeitreiseromanze einen Nerv getroffen. Und wen die mehrere hundert Seiten starke Bücher abschrecken, der kann sich auch gemütlich zurücklehnen und sich die Geschichten erzählen lassen.

Alle, oder aber auch nur eine. Das ist letztendlich egal, denn vor allem die letzte der drei Geschichten steht auch völlig autark für sich. Der einzige Nachteil, man bringt sich um ein paar schöne Stunden Lese- bzw. Hörgenuss.
Doch worum geht es eigentlich? Gwendolyn ist, ganz entgegen aller Erwartungen der meisten Familienmitglieder, mit einem Zeitreisegen behaftet, das man eigentlich bei ihrer Cousine vermutete. Wider Willen muss sie nun täglich einen Sprung durch die Zeit machen und dabei nicht nur eine Menge Abenteuer erleben, sondern sich auch noch im wahrsten Sinne mit einem jungen Mann herumschlagen, der ihr einiges bedeutet, der sie aber lediglich auszunutzen scheint.

Um die Romanze herum hat die Autorin eine wunderbare Geschichte geschaffen von einem Grafen, der in der Vergangenheit bereits Fäden gesponnen hat, die unglaubliche Auswirkungen auf die Gegenwart haben bzw. haben könnten. Was es dabei mit zwei Zeitmaschinen, einem weiteren jungen Pärchen, ebenfalls beide Zeitreisende und einer geheimnisvollen Essenz auf sich hat, das erfährt man von Josefine Preuß, die bei diesem vertonten Bestseller wirklich äußerst gekonnt den Hörer in ihren Bann zieht. Ein besonderer Spaß ist ihre Vertonung des kleinen Wasserspeiergeistes, der Gwen wie ein Haustier zur Seite steht…
4.5 Stars (4,5 / 5)

Christian van der Ploeg: Badewannenblues

Alex hält sich für einen Frauenversteher und das ist ein böser Fehler. Denn anstatt nur im Geringsten zu ahnen, was in den Köpfen der weiblichen Wesen um ihn herum so vor sich geht, verstrickt er sich in die abstrusesten Geschichten.

Und fast stellt er sich dabei selbst ein Bein. Gerade mit dem Studium fertig und sozusagen auf einer Strecke zwischen dem Larifari der letzten Jahre und dem Ernst des Lebens widmet er sich seinem Seelen- und Liebesleben. Schließlich ist da eine Ex-Freundin, ein Two-Nightstand, der mehr will und ein Mädel, in das sich Alex unsterblich verliebt. Und bei dem er sich täglich neu zum Affen macht. Nicht zu vergessen, seine beste Freundin und seine Mutter. Eine Sternenkonstellation, die dem armen Alex, der seine Tage derzeit bevorzugt mit etwas Hochprozentigem in der Badewanne sitzend und sinnierend verbringt, ziemlich zu schaffen macht.

Christian van der Ploeg, der übrigens in Tokio lebt und arbeitet, gibt uns Frauen hier einen netten und wortwitzigen Einblick in die Männerseele. Und an so mancher Stelle erkennen wir in Alex unseren Derzeitigen, unseren Ex, unseren Bruder oder unseren besten Freund wieder – also den ganz normalen Mann. Macho und Softie in einem , ziemlich komisch und gleichzeitig tragisch und einfach irgendwie liebenswert.

Besonders gelungen ist das stilistische Mittel, jedes Kapitel mit einem Rezept für ein gelungenes Bad à la Alex zu beginnen. Vom ‚Im –Siebten-Himmel-Bad‘ über das ‚Der-Morgen-danach-Bad‘ bis hin zum ‚Frustbad‘, das allerdings nicht zum Nachahmen empfohlen werden kann.
3.4 Stars (3,4 / 5)

Nicolas Fargues: Nicht so schlimm

J’étais derrière toi – so lautet der Originaltitel des französischen Bestsellers. Und der trifft den Inhalt und die Aussage des Buches deutlich besser. Ero dietro di te – mit diesen Worten fängt es nämlich auch an….

Und gleich dieser erste Satz zieht einen hinein ins Geschehen. Der Ich-Erzähler unterhält sich mit dem Leser. Und zwar dermaßen authentisch, dass man das Gefühl hat, in einer verrauchten Bar zu sitzen, einem gutaussehenden Freund gegenüber, der verloren in der Kaffeetasse rührt und sich einfach einmal alles von der Seele reden muss.

Schließlich hat er echt Probleme. Er ist mit Alexandrine verheiratet, einer dominanten, temperamentvollen Farbigen, die ihre eigenen Unsicherheiten durch Gepolter überspielt. Er hat zwei Kinder und er hat seine Frau betrogen. Und die hat sich gerächt. Etwas, das weder an den beteiligten Personen noch an der Beziehung spurlos vorübergehen kann. Etwas, das man trotzdem als fast alltäglich bezeichnen könnte. Und das zwangsläufig zum „Rosenkrieg“ führen muss.

Der Mann braucht eine Auszeit und findet doch prompt in Italien eine neue Liebe. Alice ist das Gegenteil seiner Frau und sie wird zu seiner Seelenverwandten. Doch wer hat gesagt, dass es einfach sei, seine Familie zu verlassen?

Mann, der kann einem echt leid tun. Zwischendrin mal. Ansonsten schwankt man – zumindest als weiblicher Leser – zwischen Fassungslosigkeit, Mitleid mit den Frauen und einem gewissen „Ätsch“ hin und her. Und das „Ätsch“ gilt abwechselnd allen drei Protagonisten. Dem Mann, der Ehefrau und der Geliebten. Denn sie alle sind Charaktere, die von Nicolas Fargues so geschaffen wurden, dass keiner von ihnen der absolute Sympathieträger ist.

Es ist – wie es auf dem Umschlag so schön heißt – „Nichts als die banale Geschichte einer Trennung und einer neuen Begegnung“. Stimmt. Vielleicht ist es aber genau deswegen so lesenswert.
4.3 Stars (4,3 / 5)

Sarah Weeks: Jamies Glück

Jamie hat nicht nur kein Glück, er hat eine ganze Menge Pech. Und nicht nur er, sondern auch seine Familie. Sein Vater haut ab, seine Tante, bei der er und seine Mutter leben, hat einen Unfall, bei der sie das Gedächtnis verliert, seine Katze wird überfahren. Schlimmer kann es eigentlich nicht kommen. Denkt Jamie.

Dass er in der Schule keine Freunde findet, gehänselt wird und auch die Lehrerin nicht wirklich begeistert ist von ihm und seinen Leistungen – und ihn das täglich spüren lässt – ist eigentlich nur Staffage. Jamie schwankt zwischen totaler Resignation und immer wieder aufkeimender Hoffnung auf ein bisschen Zuneigung. Und genau das macht ihn anfällig für den schmierigen Hausmeister. Der Junge ist über die Vorfälle so entsetzt, dass er mit niemandem darüber reden kann. Mit niemandem außer mit Tante Sapphy, denn deren Gehirn vergisst seit dem Unfall alles innerhalb von Minuten…

Diese Geschichte ist eine Geschichte über das Glück – das man genau da finden kann bzw. nur da finden kann, wo man am wenigsten damit rechnet. Und es ist eine Geschichte über Vertrauen, Freundschaft und die Tatsache, dass oft Menschen, von denen man es nie im Leben gedacht hätte, die besten Freunde werden. Und dass die Lösung für ein schwieriges Problem oft näher ist als man denkt. Großen Raum nimmt aber auch das Unglücklichsein in diesem Werk ein. Denn damit Jamie realisieren kann, was Glück bedeuten kann, muss er seelisch ziemlich tief fallen…

Der Sprecher Stefan Wilkening fängt die Stimmungen Jamies gut ein, verliert aber zwischendrin immer wieder ein bisschen an Tempo. Das liegt vielleicht auch daran, dass man für den Mittelteil der Buchvorlage etwas Durchhaltevermögen braucht, um dann das durchaus gut gelungene Ende wieder genießen zu können. Sarah Weeks beschreibt sehr detailgenau die jeweiligen Szenen, sie führt den Leser und in diesem Fall den Hörer gekonnt hinein in die triste Wohnwagensiedlung am Rande der Gesellschaft.
3.0 Stars (3,0 / 5)

Daniel Glattauer: Alle sieben Wellen

Wer „Gut gegen Nordwind“ kennt, kennt auch Leo Leike. Und der ist jetzt zurück aus Boston. Damit haben zwar leider Emmis witzige Dialoge mit dem automatischen Systemadministrator ein Ende, aber die Geschichte nimmt wieder an Fahrt auf. Und kaum stehen die beiden nach der monatelangen Pause erneut in Kontakt, schon knistert es wieder auf dem Computerbildschirm. Und bald nicht nur auf diesem. Dass Leo inzwischen eine Lebensgefährtin hat und auch Emmis Privatleben einer massiven Veränderung unterzogen wurde, ändert daran nichts. Im Gegenteil sogar…

Es gibt kaum ein besseres (Sprecher-)paar als Andrea Sawatzki und Christian Berkel. Die Spannung und positive Energie, die zwischen beiden herrscht, kommt optimal rüber und dieses Buch ist tatsächlich eines der wenigen, das man als Hörbuch unbedingt gehört haben sollte, weil man sonst etwas verpasst, eines also, das den – sowieso schon genialen – Text des Autors erst so richtig zum Leben erweckt. Und die Tatsache, dass die Sache jetzt beendet scheint – man mag es kaum glauben. Denn bestimmt fällt Herrn Glattauer erneut eine interessante Lebenswendung für Emmi Rothner und Leo Leike ein.
4.7 Stars (4,7 / 5)

Anne Tyler: Tag der Ankunft

Zwei Familien: eine iranischer Herkunft, eine amerikanisch – zwei Welten. Die sich verbinden durch zwei koreanische Mädchen. Die ersehnten Adoptivkinder. Für die frischgebackenen Eltern, vor allem für die Mütter Ziba und Bitsy, bekommt die Welt wieder Farbe – und sie verändert sich, durch den Einfluss der jeweils anderen.

Hier die Donaldsons – amerikanischer geht’s nicht. Und dort die Yazdans, die sich zwar auf der einen Seite dem amerikanischen Leben angepasst haben, auf der anderen Seite aber stolz darauf sind, immer Iraner zu bleiben. Und die ihre Außenseiterposition nie aus dem Blickwinkel verlieren. Selbst dann nicht, wenn es dafür gar keinen Grund gibt. Teile der Familie Yazdan tragen diese Außenseiterrolle wie ein Schutzschild vor sich her und sind doch gezwungen, es fallen zu lassen – gezwungen durch zwei kleine, miteinander aufwachsende Mädchen und durch die Veränderungen, die sich durch die beiden in den jeweiligen Familien ergeben. Das zeigt sich am deutlichsten bei der jährlichen „Tag der Ankunft-Feier“, die von Bitsy konsequent durchgezogen wird – auch gegen den Willen der anderen.

„Maryam sagte:“Oh, die … Ankunftsparty.“

„Dad meinte, du kämst vielleicht.“

„Naja, ich habe gesagt, dass ich darüber nachdenken werde“, sagte Maryam. „Aber dieser Sommer ist so vertrackt; ich bin mir nicht sicher, ob…“ (…) Die Ausreden, die ihr auf der Zunge lagen – New York, Farahs Besuch -, kamen ihr plötzlich so fadenscheinig vor.“

Maryam, Zibas Mutter, wehrt sich am heftigsten gegen das Verschmelzen der beiden Familien – und doch ist sie es am Schluss, die am meisten darin aufgeht.

Anne Tyler ist eine der erfolgreichsten Romanschriftstellerinnen Amerikas. Ausgezeichnet mit dem Pulitzerpreis und hochgelobt auch bei uns.

Mit „Tag der Ankunft“ ist ihr ein sensibles Buch über das Miteinander verschiedener Kulturen gelungen. Ohne überzeichnen zu müssen, fängt sie die Stimmungen einer Multikulti-Gesellschaft ein, die vorgibt, gar keine zu sein. Sie beschreibt die Probleme von Einwanderern, die sich selbst Jahrzehnte nach ihrem eigenen Tag der Ankunft nicht an das neue Leben gewöhnt haben, behandelt aber auch die Schwierigkeiten gerade der Kinder, die in einer solchen Familie aufwachsen, eigentlich aber zu dem Land gehören, in dem sie geboren wurden und die mit der Diskrepanz zwischen Draußen und Zuhause lernen müssen zu leben.
2.9 Stars (2,9 / 5)

Daniel Glattauer: Gut gegen Nordwind

“Gut gegen Nordwind“ – was für ein langweiliger Titel. Das ist wohl der erste Gedanke, der einem durch den Kopf fliegt. Doch das Buch bzw. Hörbuch von Daniel Glattauer ist alles andere als langweilig….

Sehnsüchtig auf ein Mail desjenigen Menschen zu warten, der gerade im Begriff ist, sich von einem zu trennen und dem man bis gerade jetzt Zeit gegeben hat, es sich anders zu überlegen ist schon schlimm genug. Das Bauchgrimmen, das einen überfällt, wenn die Mailbox piepsend frisch eingetroffene Post ankündigt, ist fast noch schlimmer. Aber dann eine Sammelmail vorzufinden von jemandem, den man nicht mal im Entferntesten kennt, das ist das Allerschlimmste. Doch der banale Weihnachtsglückwunsch von Emmi Rothner verändert Leos Leben….

Im Laufe von Monaten entwickelt sich ein E-Mail-Kontakt zwischen der quirligen Emma und dem zurückhaltenden Sprachpsychologen Leo Leike. Ein Dialog gespickt mit Wortwitz, mit Ein- und Zweideutigkeiten, voller Hoffnung, voller Träume – beide machen sich ein Bild vom anderen, keiner ist wirklich bereit, die Realität an sich herankommen zu lassen.

Es gibt sogar Rezensenten, die das Werk des österreichischen Schriftstellers und Kolumnisten Glattauer mit Goethe und Dumas vergleichen. Das, finde ich, geht vielleicht ein bisschen weit, aber es ist – definitiv – ein außergewöhnliches Werk. Ein Briefroman der heutigen Zeit. Ein E-Mail-Roman.

Dieser E-Mail-Kontakt zwischen Emmi und Leo geht unter die Haut. Man könnte sie beneiden, die beiden. Emmi, die im „normalen“ Leben verheiratet ist und zwei Kinder hat. Emmi, die eine so genannte „harmonische“ Ehe führt und die ganz tief in ihrem Inneren nach Aufregendem, Anregendem und aufregend anregendem Erotischen sucht. Dinge also, die es in einer „harmonischen“ Ehe entweder schon lange nicht mehr gibt oder vielleicht sogar nie gegeben hat. Diese Frau möchte nicht mehr nur Emma, sie will wieder Emmi sein. Begehrenswert, geheimnisvoll, jung und ohne Anhang. Frei das zu tun, was sie in dem Moment tun will. Und auf der anderen Seite Leo. Cool nach außen, manchmal sogar abweisend, verletzt tief drinnen. Der typische „raue Schale, weicher Kern“ – Mann. Die Art, wie die beiden sich schreiben, wie es immer intimer wird, wie Gefühle teilweise mit nur ein, zwei Wörtern zur Sprache gebracht werden und wie man genau diese ein, zwei Wörter auch komplett falsch interpretieren kann… die Faszination und die Problematik der heutigen Kontaktformen wird von Glattauer wunderbar dargestellt und von Andrea Sawatzki und Christian Berkel optimal umgesetzt. Eine E-Mail ist schnell geschrieben, manchmal zu schnell. Es kann wie ein Gespräch sein – ohne Mimik, ohne Gestik und immer mit der Gefahr aufgrund dieses Mangels falsch verstanden zu werden. Aber gerade dieses Falsch-Verstehen, dieses zu schnelle Abschicken, diese Ehrlichkeit und Verwundbarkeit, die da dahinter steckt, fasziniert.
5.0 Stars (5,0 / 5)