Francesca Sanna: Die Flucht

Das Bilderbuch »Die Flucht« von Francesca Sanna wurde von der Kritikerjury des Deutschen Jugendliteraturpreises 2017 in der Sparte Bilderbuch nominiert. Die Nominierungen wurden heute im Rahmen der Leipziger Buchmesse bekanntgegeben.

Die Begründung der Jury:
Francesca Sannas Buch über eine Familie, die aus der Heimat flieht, basiert auf Gesprächen mit Flüchtlingsfamilien und erzählt aus der Perspektive der betroffenen Kinder. Gekonnt hat sie gezeichnete Bilder am Computer bearbeitet und verdeutlicht mit Farben, Formen, Wellen und Symbolen die Kraft und Not von Menschen auf der Flucht. Sie arbeitet mit wenigen Worten, Gesichter wirken schemenhaft, die Personen haben keine Namen und so gibt die Illustratorin ihrer individuellen Geschichte eine universelle Bedeutung.
Die Bedrohung durch Krieg und Tod dringt in die anfangs heile Welt der Familie ein, und was schwarz in das bunte Zuhause schwappt, verändert durch den Tod des Vaters dieses Leben dramatisch. „Eines Tages nahm der Krieg uns Papa weg“ steht auf einer schwarzen Doppelseite, die von ihm nur noch ein paar kleine Besitztümer wie eine Brille oder Schuhe übrig lässt.
Welchen Mut und wie viel Kraft der Aufbruch vor allem von der Mutter verlangt, die versucht, ihren Kindern ein Gefühl von Geborgenheit zu geben, erzählt die Autorin durch das Motiv von deren wallenden Haaren, die den Kindern ein Nest in der Fremde sind. Die Bilder versprechen ein besseres neues Zuhause, ohne Angst, hell und farbig. Aber der Weg dahin ist weit und birgt viele Gefahren. Ob der Wunsch in Erfüllung geht, bleibt offen. Berührend ist, dass die Geschichte in einem Zuhause beginnt, das auch unseres sein könnte – Bücherregale, eine Stadt am Meer, ein Ausflug mit den Eltern an den Strand. Also ein ganz normales Leben von dem am Ende nur noch die Umarmung der Mutter bleibt.

Karin Gruß/Tobias Krejtschi: Was würdest du tun?

“Was WÜRDEst du tun?“ ist die zentrale Frage, die symbolisch über jedem Bild steht. Auf den ersten Blick sind solche Entscheidungen ja immer ganz klar, aber wenn man anfängt, nachzudenken, ob man wirklich dem Obdachlosen sein Smartphone leihen würde, ob man wirklich andere vor Cybermobbing schützt und wie man sich tatsächlich fühlen würde, wenn man hilflos wäre – dann wird es schwierig.

Obwohl Bilderbuch ist es natürlich keines, das man abends vor dem Einschlafen liest. Aber es ist ein Buch, das sich ganz wunderbar eignet für Gespräche. Auch, um zum Beispiel Probleme im Rahmen des Unterrichts anzusprechen. Die Zeichnungen sind sehr einfach gehalten, nichts lenkt vom Wesentlichen ab. Und auch der Text ist kurz und prägnant. Doch manchmal würde man sich vielleicht doch lieber auch für schwierige Themen eine Aufmachung wünschen, die das Kind nicht schon von Vornherein abschreckt. Lässt es sich aber darauf ein, dann ist es sehr eindrucksvoll zu beobachten, wie die Szenen ihm durch den Kopf gehen, wie es überlegt, sich einfühlt – und dann gilt es, schnell das Ruder wieder herumzureißen, bevor sensible Kinder wirklich traurig werden.

Dieses Buch ist typisch für Tobias Krejtschi, der sich bewusst immer wieder den schwierigen Themen zuwendet. Und auch vor dem Krieg nicht zurückschreckt. Gemeinsam mit der Autorin hat er u.a. ein Kinderbuch gemacht, das den Titel „Der rote Schuh“ trägt und das bereits preisgekrönt ist.
3.5 Stars (3,5 / 5)

Frauke Nahrgang: Roboter Sam – der beste Freund der Welt

“Ich heiße Sam. Bei Jakob klingt das wie Säm.“ So stellt sich die Smart Action Machine vor – der kleine Roboter, den Jakob und sein Vater Justus erfunden haben. Und erzählt, wie es war, als er zum ersten Mal ein Bewusstsein verspürte, wieso er den kleinen Erfindersohn gerne hat und was mit seinen Vorgängern passiert ist. Jakob und Sam werden echte Freunde, erleben viel zusammen und kämpfen gemeinsam gegen den fiesen Dr. Zimperling. Bei dem Sams Gefühlsscanner gleich darauf hingedeutet hat, dass etwas nicht stimmt.

Ein Buch wie dieses ist optimal für etwas geübtere Erstleser, die bereits mit direkter und indirekter Rede umgehen können. Man merkt, dass hier eine Grundschullehrerin zugange war. Frauke Nahrgang kennt die Zielgruppe und deren Bedürfnisse. Die Sätze sind kurz und in relativ einfachen Worten gehalten, die Kapitel überschaubar, die Schrift groß genug, um schnell das Gefühl von Leseerfolg zu vermitteln. Die zahlreichen bunten Illustrationen, gezeichnet von Markus Spang, laden zum optischen Verweilen ein und sind so gemacht, dass der kleine Leser sich bei ihrem Betrachten innerlich noch einmal mit der gerade gelesenen Szene auseinandersetzen kann. Einziges Manko: ein bisschen mehr Spannung hätte das Thema schon hergegeben.
3.0 Stars (3,0 / 5)

Linda Wolfsgruber: Fisch!

Dass die Bilderbücher aus dem Nord-Süd-Verlag nicht zum Mainstream gezählt werden können, ist nichts Neues. Und dieses hier reiht sich ganz typisch in die von dort herausgegebenen Titel ein. Mit ‚Fisch!‘ ist der Autorin ein Buch gelungen, das fast ausschließlich durch seine Bilder lebt. Wobei diese sich erst auf den zweiten Blick enorm voneinander unterscheiden. Es geht um eine kleine Otterbande, die sich gezielt auf einen großen Fischfang vorbereitet. Wasser bereitstellt, Gewürze sammelt und sich voller Vorfreude aufmacht, den dazugehörigen Fisch zu fangen. Aber dann kommt alles anders…

Zum Vorlesen ist dieses Bilderbuch kaum geeignet, es sind mehr Ausrufe als Sätze, auf die Linda Wolfsgruber hier zurückgreift. Dafür eignet es sich umso besser, um sich lange mit den Bildern und ihren Aussagen zu beschäftigen. Und mit diesem unerwarteten Ende, das gerade kleinere Kinder entzücken und trösten wird.
3.5 Stars (3,5 / 5)

Bob Dylan erhält Literaturnobelpreis

Kurzmitteilung

„Für die Schaffung neuer poetischer Ausdrucksformen“ – das war eines der Argumente, die laut Jury für den Preisträger sprachen. Und natürlich sein Einfluss auf die zeitgenössische Musik. Der amerikanische Folk- und Rockmusiker, übrigens der erste Musiker, der diesen Preis erhält, gilt als einer der einflussreichsten Songwriter des 20. Jahrhunderts. Der Literaturnobelpreis, weltweit wohl die wichtigste Auszeichnung in diesem Bereich, ist da nur die logische Konsequenz für den Songwriter, der mehr als 500 Lieder geschrieben hat. So sehen es die einen. Aber nicht alle: Der ein oder andere hat schon daran gezweifelt und sich gefragt, ob das nicht ein Scherz sein soll. Dabei ist es endlich mal ein Preisträger, den alle kennen. Nicht nur die, die sich täglich mit Literatur beschäftigen oder eben nicht mal die.

Die Nobelpreise werden in Stockholm überreicht. Am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel. Mal sehen, ob Bob Dylan sich bis dahin dazu äußert.

Die zehn besten Kriminalromane im September 2016 – frei nach der Zeit

Weil Kriminalromane hier immer wieder zu kurz kommen, klauen wir einfach bei der Zeit und geben hier die Auswahl wieder, die sich zusammensetzt aus dem Urteil von 21 Literaturkritikern und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

1. Donald Ray Pollock: Die himmlische Tafel
2. Giancarlo de Cataldo/Carlo Bonini: Die Nacht von Rom
3. James Grady: Die letzten Tage des Condor
4. Patricia Melo: Trügerisches Licht
5. Max Annas: Die Mauer
6. Friedrich Ani: Nackter Mann, der brennt
7. Eoin McNamee: Blau ist die Nacht
8. Jesper Stein: Bedrängnis
9. Iain Levison: Gedankenjäger
10. Denise Mina: Die tote Stunde

Das Erlanger Poetenfest zum 36. Mal ein Erfolg

Kurzmitteilung

Vom 24. bis zum 27. August findet das Erlanger Poetenfest statt und Tausende von Leseratten werden wieder von einer Lesebühne zur anderen flanieren. Der Erlanger Schlossgarten, das barocke Markgrafentheater, die Orangerie und andere Hugenottenstadtorte sind Schauplatz für Lesungen, Autorenportraits, Diskussionen über Neuerscheinungen, Literatur an sich – und die Kulturpolitik darf natürlich auch nicht fehlen. Die Stadt Erlangen, die wieder über 10.000 Besucher erwartet, spricht in diesem Zusammenhang vom traditionsreichsten Literaturfestival im deutschsprachigen Raum und wenn man an die Anfänge zurückdenkt, könnte sie sogar recht haben.

Barbara Iland-Olschewski: Dreh deinen Film

Was braucht man alles, um einen Film zu drehen, wie schreibt man ein Drehbuch, wie läuft ein Casting, was ist ein Greenscreen, welche Kameraeinstellungen sind möglich, was sind Zwischenschnitte und welche Rolle spielt die Postproduktion – über all das kann man sich mit diesem kleinen Büchlein, das man optimal mit zum Dreh nehmen kann, einen Überblick verschaffen. Man erfährt, wo man sich kostenlose Schnittprogramme herunterladen kann, wie man am besten das Licht setzt, was Zuckerrübensirup mit schlimmen Wunden zu tun hat und welche Aufgabe der Cutter hat.

Schöne Idee für alle, die statt Filmchen zu konsumieren, solche mal produzieren wollen. Ein Praxisbuch für Filmemacher von morgen – dieser Untertitel ist vielleicht ein kleines bisschen übertrieben, aber einen guten ersten Eindruck kann man sich auf alle Fälle verschaffen.
3.0 Stars (3,0 / 5)

Christine Nöstlinger: Florenz Tschinglbell

Sisi und Sigi sind Geschwister und eigentlich verstehen sie sich ja ganz gut. Was Sigi aber überhaupt nicht haben kann, ist, wenn er meint, seine Schwester beim Schwindeln und Übertreiben zu ertappen. Deswegen glaubt er ihr auch nicht mehr, als sie von ihrer neuen Freundin erzählt: Florenz Tschinglbell. Die soll grüne Haare haben, Schuhgröße 50 und Vampirzähne. Und sie soll in der Kanalisation wohnen, gemeinsam mit ihrem großen, gelben Hund. Also kommt es wieder mal zum Streit. Den der Vater mit viel Humor schlichten will. Doch als er anfängt, ins Klo zu rufen, damit Florenz hören kann, dass er sie mal sehen will, gräbt er sich sein eigenes Grab und nicht nur seins.

Die österreichische Schriftstellerin Christine Nöstlinger schreibt viele Kinderbücher und die meisten davon sind nicht nur gut, sondern auch ziemlich zeitkritisch, erziehungskritisch, hörigkeitskritisch. Sie beschreibt sich selbst als „wildes und wütendes“ Kind und so sind oft auch ihre Charaktere.

Mal abgesehen davon, dass man Sisi und Sigi kaum hintereinander aussprechen kann, eignet sich dieses Buch mal so grad überhaupt nicht zum Vorlesen. Zumindest nicht als Einschlaflektüre. Außer, man hatte sowieso vor, noch eines zu lesen, um sein Kind wieder zu beruhigen. Es ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass man ein Buch immer erst mal selbst unter die Lupe nehmen sollte, bevor man es einem Kind gibt, auch, wenn es ein Kinderbuch ist. Denn nicht jeder kann mit dem Schrecken gleich gut umgehen.
3.4 Stars (3,4 / 5)

Kurzmitteilung

Elie Wiesel ist tot. Als Überlebender des Holocaust hat er zeit seines Lebens dem Rassismus und der Diskriminierung den Kampf angesagt. Mit der Feder. Sein autobiographisches Werk „Die Nacht“ wurde ein Welterfolg. Der Friedensnobelpreisträger wurde 87 Jahre alt.