Peter Härtling: Hallo Opa, liebe Mirjam

‚Eine Geschichte in E-Mails‘ lautet der Untertitel dieses bezaubernden Buches. Dabei ist es so viel mehr. Es ist eine Geschichte der Generationen, eine Geschichte der Errungenschaften der Neuzeit, eine Geschichte über ein pubertierendes Mädchen und ihren kranken Opa, über Frechheiten und Grenzen und eine Geschichte über Abschiede.
Mirjam und ihr Opa schreiben sich E-Mails. Mirjam in ihrer rotzigen und für die Jugend kompromisslosen, Opa in seiner altmodischen und manchmal unbequemen Art und doch finden beide einen Konsens, der sie immer näher zueinanderbringt. „Der Unterschied in der Verrücktheit von vierzehnjährigen Mädchen und beinah achtzigjährigen Männern ist, dass die Mädchen an ihr leiden und die alten Männer sich an ihr vergnügen“, fasst Opa es zusammen und erwartet, wie es zu erwarten ist, Widerspruch. Beide finden Gefallen daran, sich verbal zu duellieren und wie es in unserer schnelllebigen Zeit so üblich ist, hasst Mirjam es, wenn Opas Antwort auf sich warten lässt. Doch eines Tages hat der Großvater einen guten Grund dafür….

Dieses Buch ist eines der schönsten und zugleich traurigsten Bücher der Saison. Glücklich, wer sowohl ein pubertierendes Mädel als auch einen alten Herrn um sich hat – ist er doch nach der Lektüre von „Hallo Opa, liebe Mirjam“ noch tausendmal besser in der Lage, das Überbrücken der Generationenkluft zu bewundern.
Der Autor Peter Härtling ist einer der bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit – lang nicht nur im Bereich der Kinderliteratur bzw. der Umsetzung von Literatur für Kinder.
4.8 Stars (4,8 / 5)

Albert Espinosa: Marcos und der Zauber des Augenblicks

Marcos verfügt über eine besondere Gabe – er kann die zwölf wichtigsten Erinnerungen eines Menschen sehen, wird, wenn er die Gabe aktiviert, regelrecht überflutet von der schlimmsten und der schönsten. Und diese Fähigkeit macht sich die Madrider Polizei regelmäßig zunutze. So auch diesmal, als man vermutet, einen Außerirdischen aufgegriffen zu haben. Und irgendetwas stimmt mit diesem Jungen tatsächlich nicht, denn es gelingt Marcos nicht, in seine Seele zu sehen. Stattdessen dreht der Fremdling den Spieß um.

Espinosas neuester Roman ist nicht umsonst bereits ein Bestseller in Spanien. Es steckt eine ganze Menge guter Ideen in diesem Buch. Und denkt man sich bei vielen, hier und da hätten sie ruhig ein wenig kürzen können, so ist es hier genau andersherum. So manch ein Nebenstrang hätte sogar noch ein paar Seiten mehr verdient – denn das Buch ist eine Fundgrube für Liebhaber des Reinkarnationsgedankens. Die Sprache des spanischen Autors, der bereits mit zwölf Jahren erfolgreich eine Krebserkrankung besiegte und vielleicht auch daher eine etwas andere Sicht auf die Dinge hat, verliert übrigens auch in der Übersetzung nicht an Qualität.
4.3 Stars (4,3 / 5)

Jackie Asadolahzahdeh: Apple zum Frühstück

Jackie A. ist das, was man ein Berliner Original nennt. Eine Königin der Nacht, die sich mit diversen Jobs über Wasser hält – frei nach dem Motto: Lieber Disco als Dispo, deren Haarfarbe genauso häufig wechselt wie ihre Männer und die noch in einer Zeit geboren wurde, als es weder Internet noch Handy gab. Analog geboren – digital erwachsen verbindet sie altertümliche Tagebucheinträge mit Blogs. Was sie beschreibt, ist teilweise skurril und spiegelt doch immer wieder den biederen Kern wider, der selbst in den verrücktesten Nachtschattengewächsen schlummert. Eindrücklich zeigt Jackie A. dem Leser die Welt, in der man noch vor ein paar Jahren weder Geld noch Statussymbole brauchte, um jemand zu sein und die sich heute nicht unbedingt zu ihrem Vorteil verändert.

In einem Interview hat die in zwischen nicht mehr ganz so junge Dame einmal gesagt, dass sie, wie alle Kreativen vom Kind in sich lebt und das Nachtleben ihr Spielplatz sei. Trotzdem lässt sie keinen Zweifel daran, wie schnell selbst dort das Spiel zum Ernst des Lebens werden kann.

Ein Buch, das sich hervorhebt aus der Masse. Das aber auch genau für die gar nicht gedacht ist.
2.7 Stars (2,7 / 5)

Renate Ahrens: Seit jenem Moment

Es geht um Paula. Die, als sie die Nachricht vom Selbstmordversuch ihres Vaters hört, zum ersten Mal so richtig aus der Bahn geschmissen wird. Ist ihr Leben sonst doch eher ruhig und zufrieden. Sie malt die immer wieder gleichen Auftragsbilder für eine Galerie, lebt mit dem liebevollen Journalisten Jakob zusammen und hat sich gegenüber der Probleme ihrer Familie immer erfolgreich verschlossen. Doch jetzt kann sie das nicht mehr. Einmal an der Oberfläche gerüttelt, kommt Entsetzliches zutage: Paulas Tante Luise ist im Alter von drei Jahren ums Leben gekommen und wurde danach totgeschwiegen. Dieses Tabu und die Nichtverarbeitung der Trauer hatten gravierende Folgen für jedes einzelne Familienmitglied und legen sich nun auch wie ein Schatten über Paulas Seele. Sie kann nicht mehr malen, entwickelt regelrecht Abscheu gegenüber ihrer Arbeit und zieht sich völlig in sich selbst zurück. Doch dann kommt der Wendepunkt und Paula beginnt, an dem Tabu zu rütteln. Was für sie nicht nur künstlerisch gravierende Folgen hat, sondern auch menschlich.
Dieser Roman reiht sich perfekt ein in die bisherigen der Schriftstellerin Renate Ahrens. Und könnte typischer für sie gar nicht sein. Es sind die seelischen Abgründe, die diese Frau interessieren. Das, was unter einer nach außen glatten Oberfläche brodelt und jahrelang mit Gewalt heruntergedrückt wird. Besonders gut zeigt sich das in der Figur des Vaters, der durch seine vermeintliche Schuld am Tod der kleinen Schwester sein Leben lang depressiv war. Nicht ganz so gelungen dagegen ist die Figur des kaltherzigen Großvaters bzw. deren Auflösung. Renate Ahrens verpasst ihm eine Demenz, die sein Wesen sich öffnen lässt und in rasender Geschwindigkeit für Aufklärung und Aussöhnung sorgt. Die Facetten, die gerade hinter dieser Figur stecken, kommen ein wenig zu kurz. Der trauernde Vater hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Genauso wie die Tatsache, warum er sich dem Willen seiner gramgebeugten Frau unterordnete, die Luises Tod auslöschen will durch die Geburt eines weiteren Mädchens, die grausam den Buben seelisch vernachlässigt und herrisch versucht, alle unter Kontrolle zu halten. Und der es fast gelungen wäre, nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Nachkommen auf einer inneren Ebene total zu zerstören.
4.1 Stars (4,1 / 5)

Barbara Ruscher: Fuck the Möhrchen

„Bin noch im Bauch.“ Mit diesen Worten beginnt der erste Roman der Kabarettistin Barbara Ruscher. Erzählt ist er aus der Sicht von Baby Mia und ihrer ersten Zeit auf Erden. Fängt schon alles irgendwie blöd an: Der Mutterkuchen bockt, der eigene Vater wird mit dem Krankenhausclown verwechselt und alle heulen . Alle bis auf die Anthroposophen-Hebamme. Mia fühlt sich hässlich, schreit und bekommt von „Du hast es geschafft mein Schatz“ erst mal eine fette Brustwarze in den Mund gestopft – um ihr diesen zu stopfen. Mia zieht es vor, erst einmal zu schlafen, um dann beim Aufwachen gleich den nächsten Schrecken zu erleben: liegt doch neben ihr eine fürchterlich behaarte Gestalt, der sie nicht entfliehen kann. Was sich letztendlich als positiv herausstellt, ist der leicht pervers veranlagte klugscheißernde Teddy zunächst doch der einzige, der sie mit ihrem Babygegurgle verstehen kann.

Grundsätzlich hätte das ein richtig gutes Buch werden können. Müttergezicke, Schnullervergleiche, der Kampf gegen Teppichmilben, die klassische Kurssituation und die damit zusammenhängende obligatorische „Ich schau dann mal in anderen Betten vorbei bis du abgestillt hast“-Nummer des holden Vaters hätten etwas hergeben können. Wobei die Betonung auch hier eindeutig auf dem Konjunktiv liegt. Denn geworden ist es im Großen und Ganzen eine Ansammlung von möglichen Babyerlebnissen. Aus der Sicht eines Kindes, das nachvollziehbarerweise zwar die einfachsten Dinge nicht kennt, sich aber andererseits auf Gebieten als Spezialist ausweist, die wohl den meisten Erwachsenen fremd sein dürften. Und eines muss noch gesagt sein: Selbst, wenn man offen ist für neue Wege bei der Titelfindung, dieser Titel hätte besser sein können. Das Ordinäre passt nicht im Geringsten zu dem Buch. Wobei, es ist eher bedingt witzig und damit hat es dann doch einiges mit diesem Roman gemeinsam.
1.3 Stars (1,3 / 5)

Alexandra Maxeiner: Ich , Lilly und der Rest der Welt

Hannah und Lilly sind fast gleich alt, Frida ist die Kleinste in der Familie, Cora die Größte – voll in der Pubertät. Die vier Schwestern ziehen mit ihren Eltern und Katze Billy in ein neues Haus. Das, ganz der Demokratie folgend, lila gestrichen wurde. Wie der Alltag der Siebenjährigen aussieht, warum die neue Nachbarin unter Verdacht steht, ein Vampir zu sein und wieso Fantasiepferde in einem Kaufhaus für reichlich Wirbel sorgen können, erfährt man in diesem äußerst kurzweilig geschriebenen Buch.

Alexandra Maxeiner ist es gelungen, ein Buch zu verfassen, das sich nicht nur zum Selbstlesen prima eignet (große Schrift, einfache Sätze, kurze Kapitel), sondern das man auch mit einem Riesenspaß dabei vorlesen kann. Niedlich auch die Gestaltung von Martina Badstuber, deren Illustrationen die entscheidenden Momente perfekt einfangen.
Die Autorin schreibt nicht nur Bücher, sondern auch Drehbücher und Theaterstücke. 2011 wurde ihr der Deutsche Jugendliteraturpreis verliehen. Sie ist Teil der Frankfurter Ateliergemeinschaft labor.
4.9 Stars (4,9 / 5)

Gail Parent. Sheila Levine ist tot und lebt in New York

Eigentlich ist “Sheila Levine ist tot und lebt in New York” der Abschiedsbrief einer Selbstmörderin, der aus Versehen, den Umständen Rechnung tragend, etwas länger geworden ist. Und in dem sie nicht nur Barbra Streisand ihren Make-up-Spiegel vermacht, sondern auch Thomas Brown das Pessar und der Frau von der Arbeitsvermittlung die Schmutzwäsche. Sheila ist Jüdin, eines von hunderttausend jungen New-Yorker Mädchen mit geglätteten Haaren, Nasen, die operiert werden wollen und dem verzweifelten Scanner-Blick, wenn ein heiratsfähiger Mann in der Nähe auftaucht. Sheila ist überzeugt davon, dass sie auf dem Heiratsmarkt keine Chance mehr hat. Und das, obwohl sie bei der schlimmsten Kälte an Friedensmärschen teilnimmt, keine Versammlung und keinen Abendkurs ausließ. Grund genug für die Stadtneurotikerin, den eigenen Tod genau vorauszuplanen und dabei vor lauter Vorfreude das Leben wieder zu genießen.

Dieser Roman aus der Feder der „Golden Girls“-Erfinderin Gail Parent könnte der 1972 zum ersten Mal erschienene Vorläufer der heutigen Sex-and-the-City-Folgen sein. Ihre Einstellung zu Männern, das Wahrnehmen ihrer selbst, die Beziehung zu anderen, vor allem ihren Eltern, die eminente Wichtigkeit der Außenwirkung und dann wieder das loyale Darüberhinwegsehenkönnen: Sheila ist in ihren „letzten“ Aufzeichnungen gnadenlos. Mit sich und mit der Welt.
3.1 Stars (3,1 / 5)

Georg Kohler, Claudia de Weck: Jakob, das Krokodil

Man kann es kaum glauben, aber diese Geschichte ist wahr. Eine Schweizer Familie lebte 42 Jahre mit einem Krokodil in einer Wohnung. Als es einzog, war es noch ein Krokodil-Baby. Der Vater hat es von einer Reisemitgebracht. So wie vorher schon Spinnen, ein Chamäleon und andere exotische Tiere. Doch Jakob wächst – auch mit der Familie mit. Handzahm und fast wie ein Hund Teil der Menschenwelt. Als die Kinder ausziehen, bekommt er sogar ein eigenes Zimmer mit Pool und als er die Mutter aus Versehen beim Füttern einmal leicht beißt, verweigert er danach tagelang das Fressen vor lauter Kummer.

Jakob, das Krokodil, erweist sich als das perfekte Haustier : genügsam, friedlich und manchmal sogar so etwas wie anschmiegsam.
Bei der Lektüre dieses Bilderbuchs kommt man ganz automatisch ins Staunen. Und Wundern. Und Bewundern. Dass Tiere fast schon menschliche Positionen in Bilderbüchern einnehmen, ist ja nicht neu. Dass diese Geschichten aber auf wahren Geschichten beruhen, schon. Besonders gut und pädagogisch wertvoll ist das Nachwort, das nicht nur eine ganze Menge Informationen liefert, sondern auch die ethische Frage der Haustierhaltung an sich nicht außer Acht lässt. Ein Buch, das seinen Reiz erst auf den zweiten Blick entwickelt, dann aber umso stärker und nachhaltiger.
3.7 Stars (3,7 / 5)

Georg Kohler, Claudia de Weck: Jakob, das Krokodil

Man kann es kaum glauben, aber diese Geschichte ist wahr. Eine Schweizer Familie lebte 42 Jahre mit einem Krokodil in einer Wohnung. Als es einzog, war es noch ein Krokodil-Baby. Der Vater hat es von einer Reisemitgebracht. So wie vorher schon Spinnen, ein Chamäleon und andere exotische Tiere. Doch Jakob wächst – auch mit der Familie mit. Handzahm und fast wie ein Hund Teil der Menschenwelt. Als die Kinder ausziehen, bekommt er sogar ein eigenes Zimmer mit Pool und als er die Mutter aus Versehen beim Füttern einmal leicht beißt, verweigert er danach tagelang das Fressen vor lauter Kummer.

Jakob, das Krokodil, erweist sich als das perfekte Haustier : genügsam, friedlich und manchmal sogar so etwas wie anschmiegsam.
Bei der Lektüre dieses Bilderbuchs kommt man ganz automatisch ins Staunen. Und Wundern. Und Bewundern. Dass Tiere fast schon menschliche Positionen in Bilderbüchern einnehmen, ist ja nicht neu. Dass diese Geschichten aber auf wahren Geschichten beruhen, schon. Besonders gut und pädagogisch wertvoll ist das Nachwort, das nicht nur eine ganze Menge Informationen liefert, sondern auch die ethische Frage der Haustierhaltung an sich nicht außer Acht lässt. Ein Buch, das seinen Reiz erst auf den zweiten Blick entwickelt, dann aber umso stärker und nachhaltiger.

Bionik

4.6 Stars (4,6 / 5)
Viele Dinge, die der Mensch erfunden hat, hat er eigentlich gar nicht erfunden. Er hat sie sich abgeguckt und zwar bei der Natur. Bionik nennt sich die Wissenschaft, die bei natürlichen Vorbildern nach Lösungen für technische Probleme sucht. Der Biologe Martin Zeuch erklärt in diesem neuesten „Was ist was“-Band, wie man sich den Ideenreichtum der Natur zu nutze macht.

Der Botaniker Raoul Francé sieht sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Begründer einer neuen Wissenschaft, der Biotechnik, die heute Bionik genannt wird. Er erfand unter anderem den Salzstreuer und zwar nach dem Vorbild der Samenkapsel einer Mohnpflanze. Fassadenfarbe, die sich wie eine Lotusblüte selbst reinigt, Roboter, deren Gang der Stabheuschrecke abgeschaut ist und Schwimmanzüge, die wie die Haut eines Hais aufgebaut sind – die Natur hat oft optimale Lösungen gefunden, um sich der Umgebung anzupassen. In der Bionik werden die beobachteten Vorgänge auf anderes übertragen. Letztendlich genau nach demselben Prinzip, nach dem die ersten Fluggeräte gebaut wurden – Imitation. Heute sieht man immer genauer hin und verfügt über Utersuchungsmethoden, die die Geheimnisse von Tieren und Pflanzen deutlich offen legen.

Anschaulich, kindgerecht und gewohnt übersichtlich verschafft auch Band Nr. 122 aus dieser bekannten Reihe einen guten Einblick ins Thema. Seit 45 Jahren sind die „Was ist was“-Bücher der Inbegriff der Wissensvermittlung. In den Themenbänden mit Titeln wie „Unsere Erde“, „Licht und Farbe“, „Die Zeit“ oder „Der Regenwald“ werden alle offenen Fragen zu beinahe jedem Thema ausführlich beantwortet. „Was ist was“ bietet gerade für diejenigen das Richtige, die sich etwas genauer mit einer Sache auseinandersetzen wollen. Aber auch als Anregung oder sogar als Hintergrundwissen für uns Erwachsene eignen sich diese Bücher optimal. Es macht immer wieder Spaß, darin herumzublättern und Neues zu entdecken und damit auch wieder in der Lage zu sein, Neues zu erklären.

Im Jubiläumsjahr 2006 werden alle Titel aktualisiert, zweimal jährlich erscheint ein neuer Band.