Wiebke Lorenz: Alles muss versteckt sein

Marie befindet sich in der geschlossenen forensischen Psychiatrie. Und von dort aus erzählt sie im Wechsel zwischen Rückblick und Gegenwart ihre Geschichte. Die Geschichte einer Frau, die zu ermorden schien was sie über alles geliebt hat.

Marie erinnert sich nicht daran, was sie getan hat. Dass sie es aber getan hat, daran scheint kein Zweifel zu bestehen. Schließlich wurde ihrem Liebsten, Patrick, die Kehle durchtrennt und zwar als er neben ihr geschlafen hat.
Die Sachlage scheint klar: Marie leidet seit einiger Zeit unter Zwangsvorstellungen. Ihren Job in einem Kindergarten hat sie bereits aufgegeben, aus Angst sie könnte die fürchterlichen Gewaltfantasien, die sie quälen und die weder die Kinder noch sonst jemand verschonen, je einmal in die Tat umsetzen. Hilfe findet sie nur in speziellen Foren im Internet, in denen sie sich mit anderen Zwangserkrankten austauschen kann und sogar eine Freundin findet. Einen Menschen, der sie durch und durch zu verstehen scheint.

Gemeinsam mit Dr. Jan Falkenhagen, ihrem Psychiater, einem sympthatischen Charakter, versucht Marie zu verstehen, was vorgefallen ist. Doch den beiden kommen immer mehr Zweifel daran, dass sie tatsächlich die Mörderin ist.
Wiebke Lorenz gelingt es, selbst den skeptischsten Leser sofort in ihren Bann zu ziehen. Ihr Plot schlägt gekonnte Haken, trickst geschickt all diejenigen aus, die sich schnell sicher fühlen und bereitet das Thema handwerklich so gut auf, dass das Lesen reinstes Vergnügen ist. Gepaart mit der richtigen Portion Spannung, die man durchaus als absolut fesselnd bezeichnen könnte.

Wiebke Lorenz hat sich im Vergleich zu ihrem bereits schon erstaunlichen Vorwerk ‚Allerliebste Schwester‘ noch einmal literarisch gesteigert. Die Autorin, eine ausgebildete Journalistin, arbeitet neben der schriftstellerischen Tätigkeit bei Magazinen und Zeitungen wie Cosmopolitan, Bild oder Die Welt.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Thomas Sautner: Der Glücksmacher

Sebastian Dimsch hat eine Frau, Nachwuchs und einen Job bei einer Versicherung. Aber warum ist er nicht glücklich? Genau wie Millionen andere in seiner Situation findet er keine Antwort auf diese brisante Frage. Und als seine Chefin ihn degradiert und in einem entfernten Trakt des Unternehmens unterbringt, läuft er bei seiner Suche nach dem Glück zu Hochformen auf, studiert alle Philosophen, beginnt Ratschläge an die Kollegen zu verteilen und prädestiniert sich damit für ein neues Produkt: die Glücksversicherung. Die allerdings ursprünglich lediglich geschaffen wurde, um ihn in sein persönliches Unglück zu stürzen.
Wie das Blatt sich immer wieder wendet und welche entscheidende Rolle Fortuna dabei spielt, erschließt sich dem Leser erst im Lauf der Lektüre, die vielleicht nicht glücksbringend erhellend, aber immerhin heiter ist. Und wie sagt man in Japan so schön: Glück kommt denen zu, die lachen.

Der Autor schafft es, den Leser bei der Stange zu halten. Es hat irgendetwas, dieses Buch. Nur leider kann man nicht so genau sagen, was es ist. Thomas Sautner ist noch nicht alt, verfügt aber mit über 40 über genug Lebenserfahrung, um ein Buch wie dieses zu schreiben. Der Österreicher ist ursprünglich Journalist und hat bereits mehrere Romane veröffentlicht.
3.8 Stars (3,8 / 5)

Der Weg nach Oobliadooh

oobliadooh

Bei diesem Buch handelt es sich, so sagt man, um eines der ungewöhnlichsten Werke der Nachkriegszeit. Und mit Sicherheit um eines, das man nicht so nebenbei lesen kann. Der Schreibstil mag genial sein, er ist aber reichlich gewöhnungsbedürftig. Der Roman erzählt von zwei Jugendlichen, den  jazzbegeisterten Freunden Arlecq und Paasch, deren Hauptbeschäftigung es ist, sich gedanklich aus ihrem Leben im Arbeiter- und Bauernstaat wegzuträumen und die sich noch vor dem Mauerbau zu einem Count-Basie-Konzert im Westen aufmachen. Schließlich gelten Bebop und Jazz Ende der Fünfziger Jahre als Symbole einer freien, ungebundenen Lebensweise. Mit Worten fast schon überladen, fantasie- und niveauvoll erzählt, enthält alleine schon der Titel eine ganze Menge Anspielungen. Er ist abgeleitet aus einem Lied. „Im Song bei Gillespie heißt es ‚I knew a wonderful princess‘ und als er die Prinzessin zum Traualtar führt, entdeckt er, man hat sie ihm ausgetauscht. Also sie ist keine Prinzessin und wenn Sie wollen, ist ja da drin eine Anspielung eigentlich auf die Utopie des Kommunismus“, sagt der Autor selbst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

„Oobliadooh, der utopische Ort, der von Gillespie mit mäandrierenden Notenlinien umspielt wird, er ist für Fries das Land der Literatur. Der Autor baut sein System aus Anspielungen und literarischen Orten dabei auf wie die Bebopper ihre Themen. Ein Kunstgeflecht, das sich immer mehr von der vorgegebenen Realität abhebt und in die Unabwägbarkeiten der Lüfte entschwebt (…)“, heißt es im Nachwort des Buches.

Fritz Rudolf Fries, 1935 in Spanien geboren, lebte lange im Randgebiet der DDR. Sein Debütroman, auf Umwegen im Westen bei Suhrkamp veröffentlicht, kostete den inzwischen berühmten und dann wieder schnell vergessenen Schriftsteller seine Stelle bei der ostdeutschen Akademie der Wissenschaften.  Ab sofort musste er sich mit Übersetzungsarbeiten über Wasser halten. Und nicht nur das, auch die Stasi hatte ihn in ihr Blickfeld gerückt. Wenige Jahre später gelang es ihnen, einen Deal mit Fries einzugehen. Der, wie er heute selbst sagt, dem Pakt mit dem Teufel gleichkommt. Fries wurde abgestempelt und hat bis dato keinen wirklichen Fuß mehr auf den literarischen Boden bekommen. Ein tragisches Ende für einen Schriftsteller seiner Klasse.

Doch das könnte sich jetzt ändern. ‚Der Weg nach Oobliadooh‘ ist neu aufgelegt worden, erschien als dreihunderteinundreißigster Band in der ‚Anderen Bibliothek‘. Seit 1984 bringt der damals von Hans Magnus Enzensberger mitbegründete Verlag Bücher heraus, die den Status des ganz besonderen haben. „Das Programm der Anderen Bibliothek folgt inhaltlich seit Anbeginn nur einem Maßstab: Genre-, epochen- und kulturraumübergreifend wird entdeckt und wiederentdeckt, die branchenübliche Einteilung in Sachbuch und Literatur hat nie interessiert, der Klassiker zählt so viel wie die Neuerscheinung. Wir folgen dem »Kanon der Kanonlosigkeit«, nur Originalität und Qualität sollen zählen.“ Das und die Verbindung zwischen intellektuellem und visuellem Anspruch.

Lori Sunshine/Jeffrey Ebbeler: Ich bin wirklich noch nicht müde

Toni plagt der Gedanke, was seine Eltern treiben, wenn er ins Bett muss. Es könnte ja sein, dass dann der Bär tanzt und der Spaß erst richtig losgeht. Also nimmt er sich vor, der Sache auf den Grund zu gehen und gemeinsam mit seinem Teddy Pitt herauszufinden, was wirklich vor sich geht, abends wenn in seinem Zimmer die Lichter gelöscht werden. Vielleicht findet ein Zirkus in der Küche statt, mit Mama und Papa auf dem Trapez oder die beiden reiten auf Dinosauriern durch den Garten, beherbergen Astronauten, die gerade auf Papas Parkplatz gelandet sind oder lassen Fische im Badezimmer schwimmen. Wer weiß? Doch was Toni und Pitt dann herausfinden, übersteigt ihre kühnsten Vorstellungen…

Lori Sunshine und Jeffrey Ebbeler greifen ein Thema auf, das viele Kinder beschäftigt. Die Lösung aber, die sie den Kleinen mit ihrem sehr phantasievollen Bilderbuch anbieten, lässt zumindest die Eltern, deren Kinder bis jetzt keine Zweifel hatten an der Richtigkeit der Dinge im abendlichen Wohnzimmer, ein wenig erschaudern. Trotzdem: eine pfiffige Geschichte.
2.5 Stars (2,5 / 5)

Louise Millar: Allein die Angst

Ein guter Thriller bringt unsere verborgensten Ängste zum Klingen. Und das hier ist ein verdammt guter Thriller für Mütter – denn nichts ist schlimmer, als die Vorstellung, sein eigenes Kind in falsche Hände gegeben zu haben.
Allein die Angst ist das, was immer bleibt.

Callie ist alleinerziehend. Und hat niemand außer Suzy von gegenüber. Denn die anderen Frauen wollen nichts mit ihr zu tun haben. Warum, weiß Callie nicht. Noch nicht. Aber sie leidet sowieso weniger für sich als vielmehr für ihre herzkranke Tochter Rae, die so gerne eine Freundin hätte. Als Callie, die von Beruf Sounddesignerin ist, von ihrem ehemaligen Chef ein Topangebot bekommt, greift sie zu. Und kämpft von nun an mit den typischen Problemen vieler berufstätiger Mütter: die Zerrissenheit zwischen Job und Kind, das gehetzte Gerenne zwischen Arbeitsplatz und Hort, das Angewiesensein auf andere und nicht zu verachten: dieses unglaublich schlechte Gewissen, das sich zu bestätigen scheint, als Rae, betreut von einer Nachbarin, auf der Straße stürzt und ins Krankenhaus muss. Und das ist nur der Anfang.
Wem kann man das Leben seines Kindes wirklich anvertrauen?

So viel zur Grundlage der Geschichte. Aber Louise Millar hat sich damit nicht zufrieden gegeben. Und einen Plot erschaffen, der nicht nur von einer Angst, sondern gleich von mehreren lebt. Von Abhängigkeiten, Bedürfnissen und Vertrauen. Denn, was ist, wenn man nicht mehr weiß, wem man trauen kann, wenn vertraute Personen offensichtlich Geheimnisse vor einem haben, wenn die Verrückten letztendlich die Normalen sind und wenn sich die gesamte Realität als verzerrt herausstellt. Gänsehaut und man weiß nicht, warum!

Noch viel besser als das Buch ist das Hörbuch. Denn der für diese Fassung geschickt gekürzte Psychothriller lebt vor allem von den Stimmen der Schauspielerinnen Caroline Peters, Andrea Sawatzki und Stefanie Stappenbeck, denen es gelingt, die Geschichte, die in verschiedenen Erzählformen geschrieben ist, so subtil vorzutragen, dass man sich ganzer Gänsehautschwärme kaum erwehren kann. Das Geniale an ‚Allein die Angst‘ ist, dass der Text an sich eigentlich nichts Beängstigendes hat. Er ist mehr wie Spannung erzeugende Hintergrundmusik zu harmlosen Bildern. Man fühlt sich beunruhigt, weiß aber nicht genau, warum.

Louise Millar ist selbst Mutter zweier Kinder, hat auch einen Mann und man kann nur hoffen, dass sie eine Freundin hat, auf die sich wirklich verlassen hat.

Christiane Tilly, Anja Offermann und Anika Merten: Mama, Mia und das Schleuderprogramm

Das Leben mit einem psychisch kranken Menschen, speziell einem Borderliner ist die reinste Achterbahnfahrt der Gefühle, auf die man mitgerissen wird. Ist das für Freunde oder Partner schon wirklich schlimm, so ist das für ein Kind völlig unverständlich. Und teilweise auch sehr verletzend. Seelisch gesehen. Dieses kleine Büchlein vergleicht den Borderline-Zustand mit einer Waschmaschine, in der Gefühle, Gedanken, Ängste und Wünsche im Schleuderprogramm durcheinanderwirbeln.

Kinder brauchen Erklärungen, um sich nicht schuldig zu fühlen an der Situation. Entlastung und Ermutigung sind genauso wichtig wie altersgerechte Information. Kriterien, dieses Buch von Christiane Tilly und Anja Offermann.

Ein Titel, nicht nur für die Arbeit in Praxen und Kigas, sondern für alle, die nicht wegsehen und erkennen, wie wichtig es ist, ein Kind wie Mia emotional aufzufangen und ihm den Halt zu bieten, den der psychisch kranke Elternteil nicht geben kann.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Lissa Price: Starters

Ausrottung und Aussterben sind genauso Thema der meisten Zukunftsvisionen in Romanform wie ungleiche Verteilung, Angst und Elend bei den Übriggebliebenen. Lissa Price allerdings kam mit der gleichen Basis auf eine ganz neue Idee.
Sind es in Stephenie Meyers Science Fiction mit dem Titel „Seelen“ Außerirdische, die die Körper der Menschen übernehmen, so werden sie in ‚Starters‘ von Alten ersetzt. Sporen haben dafür gesorgt, dass Menschen zwischen zwanzig und vierzig von der Bildfläche verschwunden sind. Überlebt haben vor allem die schwachen Mitglieder der Gesellschaft. Diejenigen, die zuerst geimpft wurden. Inzwischen gibt es fast nur noch Teenager, wenige Kinder und eine ganze Menge Alter. Die locker bis zu 200 Jahre alt werden können. Die sogenannten ‚Enders‘ fühlen sich zwar nicht so, sehen aber entsprechend aus. Mit all den Zipperlein, die so dazugehören. Wen wundert es da, dass sie sich nichts sehnlicher wünschen als einen jungen Körper für ihr erfahrenes Bewusstsein.
Und hier kommen die ‚Starters‘ ins Spiel. In Ermangelung von Bezugspersonen leben viele von ihnen auf der Straße. Immer auf der Flucht vor den Häschern, die sie, wenn sie sie erwischen, bis zu ihrem 18. Lebensjahr in Heime stecken, die mehr lieblosen Kasernen denn einem Zuhause gleichen. Hier beginnt die Geschichte von Callie. Das junge Mädchen, das sich hingebungsvoll um seinen kleinen Bruder kümmert, ist verzweifelt. Tyler ist lungenkrank und braucht teure Medikamente und er braucht dringend ein warmes Dach über dem Kopf. Um ihm dies zu bieten, wählt sie den Weg zur Body Bank. Das Unternehmen Prime Destinations bietet eine Menge Geld für einen zu mietenden jungen Körper. Versehen mit einem im Gehirn implantierten Neurochip kann das Bewusstsein eines alten Menschen, eines Enders, den Körper übernehmen. Sex ist nicht erlaubt, gefährliche Sportarten auch nicht und nach ein paar Tagen, vielleicht einem Monat ist der Spuk vorbei. Die Sechzehnjährige lässt sich trotz aller Zweifel auf den Deal ein, wacht aber dummerweise zu früh auf und findet sich wieder im Leben einer reichen alten Frau, die sich zur Aufgabe gemacht hat, ihre verschwundene Enkelin zu suchen und dabei den Kampf gegen Prime Destinations aufnehmen will. Zwei Seelen wohnen nun in dieser Brust und nachdem sich die beiden zunächst bekämpfen, gehen sie später eine Allianz ein.
Lissa Price hat mit diesem futuristischen Thriller ein ganz beachtliches Debüt abgelegt, das – vor allem in der Hörbuchfassung gelesen von der Synchronstimme des jungen Vampirlieblings Bella – ziemlich unter die Haut geht. Abgesehen von ein paar wenigen, überschaubaren Nebenschauplätzen konzentriert sich die Autorin auf den eigentlichen Plot und hält den Leser so bei der Stange.
Das Ende allerdings kommt zu abrupt und lässt dabei doch auch der Phantasie zu wenig Spielraum. Was dazu führt, dass der Roman so eigentlich nicht für sich selbst stehen kann. Welch ein Glück für die Leser und Hörer, dass Lissa Price bereits an einer Fortsetzung arbeitet. Mit dem wenig erstaunlichen Titel „Enders“.
Lissa Price: Starters, erschienen als Hörbuch bei Osterwold im März 2012, gelesen von Annina Braunmiller, der Preis für sechs CDs liegt bei rund zwanzig Euro.
4.8 Stars (4,8 / 5)

Morris Gleitzman: Einmal

Einmal – da rettete Felix ein kleines Mädchen aus einem brennenden Haus. Einmal – da brachte er einen Nazi mit Zahnschmerzen zum Lachen. Und einmal – da gab es eine Zeit, in der Felix ein Kind sein durfte. Felix ist neun und lebt seit fast vier Jahren im Waisenhaus. Was draußen vor sich geht begreift er nicht. Auch nicht, warum seine Eltern ihn wirklich hierher gegeben haben. Ahnt aber, dass etwas nicht in Ordnung ist. Dass die Eltern, Buchhändler von Beruf, nicht nur ihre Geschäfte ordnen müssen. Und er weiß, dass niemand etwas darüber wissen darf. Ganz besonders nicht die Männer in Uniform, denen es sogar gelingt, die sonst so felsenstarken Nonnen zum Weinen zu bringen. Anfangs hat Felix sich die Zeit mit Geschichten vertrieben. Geschichten, in deren abenteuerlichem Mittelpunkt seine Eltern als Helden dastanden. Doch als Männer mit merkwürdigen Armbinden auftauchen und jüdische Bücher verbrennen, weiß er, was er zu tun hat. Er reißt aus, um Mama und Papa zu helfen, ihre Bücher vor der Verbrecherbande zu schützen. Und gerät mitten ins Warschauer Ghetto. Was der kleine Junge dann in den vom Krieg gezeichneten Straßen erleben muss – kein noch so guter Psychothriller könnte mehr Gänsehaut erzeugen.

Der Roman, geschrieben aus der Sicht und mit den einfachen, oft schon naiven Worten des kleinen Jungen, zeigt die Sinnlosigkeit und die grausame Wahrheit der Judenverfolgung aus einer ganz anderen Perspektive. Aus einer noch erschreckenderen Perspektive. An manchen Stellen ist man sogar versucht, das Hörspiel wieder auszumachen. So bedrückend ist die Stimmung, untermalt von Musik, die direkt in den Bauchraum geht. Durchzuhalten aber lohnt sich, denn hier handelt es sich um eines der Bücher, die man nie wieder vergessen wird. Und genau aus diesem Grund sollten Kinder „Einmal“ auch nicht zu früh und vor allem nicht ohne Vorbereitung hören. Mit dreizehn dürfte das Mindestalter gut eingeschätzt sein.

Morris Gleitzman, der inzwischen eine Fortsetzung des Buches auf den Markt gebracht hat, ist einer der bekanntesten Kinderbuchautoren Australiens – mehrfach ausgezeichnet. Auch ‚Einmal‘ schaffte es, wie es fast schon nicht anders zu erwarten war, auf Nominierungslisten und in Preiskategorien. Bei diesem nahegehende Roman aus der Position eines kleinen Jungen während der deutschen Besatzung in Polen, wurde der Autor inspiriert durch die Geschichte eines jüdischen Arztes, der sich heldenhaft für Kinder einsetzte.

Lissa Price: Starters

Ausrottung und Aussterben sind genauso Thema der meisten Zukunftsvisionen in Romanform wie ungleiche Verteilung, Angst und Elend bei den Übriggebliebenen. Lissa Price allerdings kam mit der gleichen Basis auf eine ganz neue Idee.
Sind es in Stephenie Meyers Science Fiction mit dem Titel „Seelen“ Außerirdische, die die Körper der Menschen übernehmen, so werden sie in ‚Starters‘ von Alten ersetzt. Sporen haben dafür gesorgt, dass Menschen zwischen zwanzig und vierzig von der Bildfläche verschwunden sind. Überlebt haben vor allem die schwachen Mitglieder der Gesellschaft. Diejenigen, die zuerst geimpft wurden. Inzwischen gibt es fast nur noch Teenager, wenige Kinder und eine ganze Menge Alter. Die locker bis zu 200 Jahre alt werden können. Die sogenannten ‚Enders‘ fühlen sich zwar nicht so, sehen aber entsprechend aus. Mit all den Zipperlein, die so dazugehören. Wen wundert es da, dass sie sich nichts sehnlicher wünschen als einen jungen Körper für ihr erfahrenes Bewusstsein.

Und hier kommen die ‚Starters‘ ins Spiel. In Ermangelung von Bezugspersonen leben viele von ihnen auf der Straße. Immer auf der Flucht vor den Häschern, die sie, wenn sie sie erwischen, bis zu ihrem 18. Lebensjahr in Heime stecken, die mehr lieblosen Kasernen denn einem Zuhause gleichen. Hier beginnt die Geschichte von Callie. Das junge Mädchen, das sich hingebungsvoll um seinen kleinen Bruder kümmert, ist verzweifelt. Tyler ist lungenkrank und braucht teure Medikamente und er braucht dringend ein warmes Dach über dem Kopf. Um ihm dies zu bieten, wählt sie den Weg zur Body Bank. Das Unternehmen Prime Destinations bietet eine Menge Geld für einen zu mietenden jungen Körper. Versehen mit einem im Gehirn implantierten Neurochip kann das Bewusstsein eines alten Menschen, eines Enders, den Körper übernehmen. Sex ist nicht erlaubt, gefährliche Sportarten auch nicht und nach ein paar Tagen, vielleicht einem Monat ist der Spuk vorbei. Die Sechzehnjährige lässt sich trotz aller Zweifel auf den Deal ein, wacht aber dummerweise zu früh auf und findet sich wieder im Leben einer reichen alten Frau, die sich zur Aufgabe gemacht hat, ihre verschwundene Enkelin zu suchen und dabei den Kampf gegen Prime Destinations aufnehmen will. Zwei Seelen wohnen nun in dieser Brust und nachdem sich die beiden zunächst bekämpfen, gehen sie später eine Allianz ein.

Lissa Price hat mit diesem futuristischen Thriller ein ganz beachtliches Debüt abgelegt, das – vor allem in der Hörbuchfassung gelesen von der Synchronstimme des jungen Vampirlieblings Bella – ziemlich unter die Haut geht. Abgesehen von ein paar wenigen, überschaubaren Nebenschauplätzen konzentriert sich die Autorin auf den eigentlichen Plot und hält den Leser so bei der Stange.
Das Ende allerdings kommt zu abrupt und lässt dabei doch auch der Phantasie zu wenig Spielraum. Was dazu führt, dass der Roman so eigentlich nicht für sich selbst stehen kann. Welch ein Glück für die Leser und Hörer, dass Lissa Price bereits an einer Fortsetzung arbeitet. Mit dem wenig erstaunlichen Titel „Enders“.
Lissa Price: Starters, erschienen als Hörbuch bei Osterwold im März 2012, gelesen von Annina Braunmiller, der Preis für sechs CDs liegt bei rund zwanzig Euro.

Die Auswahl: Cassia und Ky von Ally Condie

Wenn die Zukunft Geschichten schreibt, dann kann es schon mal unheimlich werden: Faszinierend, dabei aber eher erschreckend ist Cassias Welt, irgendwo in der Zukunft. Hier ist alles duchorganisiert. ‘Utopia’ und Huxleys ‘Schöne neue Welt’ lassen grüßen.
Modernes Utopia
Man lernt nur, was für die eigenen Fähigkeiten wichtig ist, man isst nur, was für den Kalorienhaushalt und die Gesundheit des Körpers notwendig ist und man stirbt genau an dem Tag, an dem man 80 wird. Wie, das hinterfragt keiner. Genau wie alles andere in diesem Jugendroman nicht hinterfragt, sondern einfach hingenommen wird. Die “Gesellschaft” in “Die Auswahl – Cassia und Ky” hat dafür gesorgt, dass alles seine Richtigkeit hat und: Sie macht keine Fehler – davon wird man von klein auf überzeugt.
Und dann scheint die Gesellschaft doch einen Fehler zu machen. Auf Cassias Hochzeitsbankett, dem Tag, an dem die jungen Leute erfahren, wer ihr optimaler Partner ist, stellt sich heraus, dass ihr bester Freund der Mann ihres Lebens sein soll. Selten, aber nicht unmöglich. Doch als sie sich seinen Chip ansieht, auf dem alle wichtigen Daten gespeichert sind über ihren Zukünftigen, da erscheint plötzlich ganz kurz ein anderes Gesicht: Ky. Auch ihn kennt sie, doch er ist eigentlich gar nicht für die Partnerwahl vorgesehen. Der vermeintliche Systemfehler bringt Cassia aus dem Tritt. Sie verliebt sich in Ky und beginnt zu rebellieren. Und langsam aber sicher durchschaut sie die Gesellschaft und erkennt, worauf das Ganze zusteuert. Doch die Gesellschaft durchschaut Cassia noch nicht…
“Die Auswahl – Cassia und Ky”: als Hörbuch ein Hörgenuss
Was die Autorin mit ihrer Dystopie zu verfolgen scheint, ist wie bei allen Dystopien verängstigend, scheint aber zu klappen, denn man kommt nach der Lektüre kaum umhin, über Missstände in der Gegenwart nachzudenken.
Dieses Buch ist das, was man durchaus als “spannend” bezeichnen darf. Allerdings ist die von Ally Condie erzeugte Spannung so subtil, gleitet so langsam und vorsichtig ins eigene Bewusstsein, dass man hinterher froh ist, jederzeit die Wahl zu haben. Und man kann es kaum erwarten, Band 2 der geplanten Trilogie in die Finger zu bekommen – auf den wir hier in Deutschland allerdings noch eine Weile warten werden müssen. Ein Jugendroman genau auf seine Zielgruppe zugeschnitten ist: ein bisschen Romantik, eine gute Story – fern ab von der Girlie-Buchwelt, die sich immer mehr durchzusetzen scheint. Hier handelt es sich nämlich noch um eine richtige Geschichte.
In der Hörbuchform, die erfreulicherweise ungekürzt ist, zeigt sich endlich mal wieder das ganze Können von Josefine Preuß. So brillant wie hier hat sie lange nicht mehr vertont. Chapeau!
Die Auswahl – Cassia und Ky, erschienen in Hörbuchform bei argon hörbuch im April 2011. 370 Minuten Laufzeit, 5 CDs für rund 14,99 Euro.