Christiane Schwarz: Wie spät ist zu spät?

Frauen, die natürlich entbinden wollen und über den errechneten Zeitpunkt hinaus sind, bekommen vom Arzt nur noch wenige Tage Zeit. Und wenn das Baby partout nicht kommen will, dann wird die Geburt eingeleitet, damit das Kind – so das Argument – keinen Schaden davonträgt, dadurch dass es übertragen ist. Von Behinderungen ist da die Rede und sogar von drohendem Tod. Das kann passieren, ist aber extrem unwahrscheinlich und viele werdenden Mütter wären bereit, das Risiko zu tragen, weil sie spüren, dass ihr Kind noch nicht soweit ist. Vielleicht auch manchmal, weil sie selbst noch nicht so weit sind. Dieses Risiko hingegen wollen die Ärzte aber nicht tragen und greifen oft zu schnell zur Einleitung einer Geburt. Das betrifft inzwischen jede fünfte Geburt in Deutschland.

Das Einleiten einer Geburt ist weder für die Mutter noch für das Baby einfach. Die Wehen sind häufig viel stärker und kommen unvorbereitet, das Kind ist noch nicht bereit und wird durch einen künstlichen Cocktail mit Nachdruck auf die Welt befördert. Die Lektüre richtet sich daher eigentlich an Fachleute: an die Hebammen, Geburtshelfer und Ärzte, die die Entscheidung letztendlich treffen müssen. Aber auch an Frauen, die sich wissenschaftlich damit auseinandersetzen möchten, bevor sie sich für eine Einleitung entscheiden.

Dieses Buch ist die Dissertationsschrift der Autorin und damit nichts, was man mal so nebenbei auf der Sonnenliege genießt und das einem die wichtigsten Daten in kleinen, leichtverständlichen Häppchen bietet. Stattdessen ist es echte Fachliteratur, die sich mit Daten und Zahlen, mit Statistiken und Folgen auseinandersetzt, das Für und Wider gründlich abwägt und niemandem die Entscheidung abnimmt. Was auch gar nicht geht, denn jede Geburt ist ein einmalige Erlebnis. Und niemals mit einer anderen zu vergleichen.

Inés Brock: Wie die Geburtserfahrung unser Leben prägt

Die letzten Jahrzehnte können wir uns in vielen Dingen nicht gerade auf unsere Fahnen schreiben und die Geburtshilfe gehört zweifelsohne dazu. Wir haben verlernt auf unsere innere Stimme zu hören und gehorchen stattdessen regelrecht dem Diktat von außen. Beziehungsweise dem der Medizin. Dabei ist auch ein ganz elementares Wissen fast verlorengegangen: Das Wissen um die Relevanz von Schwangerschaft und Geburtserlebnis und um deren Auswirkungen auf unser weiteres Leben. Der Kaiserschnitt ist zum Alltag geworden, jede kleine vermeintliche Schwierigkeit lässt so manchen Arzt schon zögern. Allein die Tatsache, dass Ärzte statt Hebammen gefragt werden, sagt alles. Doch langsam drängt eigentlich sehr altes Wissen wieder an die Oberfläche und wir erkennen, dass unser Leben nicht erst dann beginnt, wenn wir unseren ersten Schrei von uns geben. Und dass es durchaus ausschlaggebend sein kann, unter welchen Umständen dies geschieht. Stärkt man das Selbstvertrauen einer Frau im Vorfeld und lässt sie dann während der Geburt selbst entscheiden, welche Position sie zum Beispiel einnimmt, dann spürt man, das sie intuitiv weiß, was sie tut.

Das Angenommen-, das Willkommensein ist enorm wichtig für einen Menschen. Erwachsene, die schon als Ungeborene nicht gewollt waren, kämpfen in ihrem Leben häufiger mit Ängsten und Depressionen, mit Suchtproblemen und Kriminalität. Nicht grundlos gehen Therapeuten in ihrer Arbeit immer weiter zurück im Leben eines Menschen, oft bis zur Zeugung. Denn die pränatale Phase kann, genau wie die ersten Lebensmonate, entscheidend prägend sein.

„Das neue Wissen um die lebensgeschichtliche Bedeutung von Schwangerschaft und Geburt und früher Entwicklung stellt also die Gesellschaften vor neue Verantwortlichkeiten im Umgang mit Schwangerschaft und Geburt“ heißt es in einem der Artikel. Eine Verantwortung, die wir alle ernst nehmen sollten: Schwangere Frauen genauso wie Hebammenschüler von heute und morgen, Wissenschaftler, Psychologen und Therapeuten und vor allem Ärzte.

Inés Brock ist Kinder- und Jugendpsychotherapeutin, Supervisorin und Erziehungswissenschaftlerin und hat in diesem Buch zahlreiche Beiträge von unterschiedlichen Berufsgruppen zum Thema zusammengefasst. Bei allen kristallisiert sich heraus: Die Geburt ist ein zentrales Ereignis für den Menschen und die Autoren thematisieren durchaus auch die Einwirkungen der medizinischen Möglichkeiten, das Nicht-Abwartenkönnen der heutigen Zeit und die Folgen, die ein negatives Geburtserlebnis auf einen Menschen haben kann.

Nicola Schmidt: artgerecht

“Das andere Babybuch“ lautet der Untertitel dieses allein schon optisch hervorragenden Buches, geschrieben von jemanden, der wirklich Ahnung von Babys hat. DAs merkt man schnell. Nicola Schmidt fragt sich hier, warum wir immer nur von artgerecht in Zusammenhang mit Hühnern und Schweinen sprechen, aber nie in Zusammenhang mit Babys. Denn gerade diese brauchen zum Teil etwas ganz anderes als sie heute bekommen. Und vor allem in den letzten Jahrzehnten bekommen haben.

Nicola Schmidt ist eigentlich Wissenschaftsjournalistin. Doch seit der Gründung des artgerecht-Projekts vor einigen Jahren berät sie Eltern und bietet Fortbildungen zum Thema an. Ihr Buch beschäftigt sich ausführlich damit, wieso sich die Bedürfnisse von Babys seit der Steinzeit eigentlich nicht verändert haben und wie wir ihnen genau das Umfeld schaffen, das wir brauchen. Nicola Schmidt erzählt von Affenmamas, die, weil nur im Zoo aufgewachsen, erst lernen mussten, mit ihren Babys umzugehen und denen es damit nicht anders geht als uns: Wir alle lernen von Vorbildern und in Ermangelung der Sippe um uns herum wissen auch wir Menschenfrauen oft nicht, was zu tun ist, wenn wir zum ersten Mal ein Baby bekommen. Denn weder Geburt noch Stillen und selbst nicht das Schlafen sind selbstverständliche Dinge – und wenn man nicht weiß, wie man mit einem Baby umgehen muss, dann hat man anstrengende Wochen vor sich, bis sich alles eingespielt hat. Doch das kann man einfacher haben. Allein die Lektüre dieses Buches hilft schon bei der Vorbereitung. Und beim Entspanntbleiben – dem wichtigsten Aspekt.

Die Art und Weise, wie Nicola Schmidt mit dem Thema umgeht, hebt sich erfrischend von all den anderen Ratgebern auf dem Markt ab. Denn auch, wenn die Tendenz tatsächlich dahin geht, sich dem Thema Baby deutlich natürlicher zuzuwenden, mehr zu tragen, das Kind im Beibett bei sich zu haben und möglichst zu stillen, so ist noch ein weiter Weg, bis all dies wirklich selbstverständlich wird. Doch Nicola Schmidt verurteilt niemand, und auch das ist so gut an diesem Buch. Sie beschäftigt sich auch mit Themen wie Kaiserschnitt, Flaschennahrung oder Windeln, ohne etwas zu verteufeln.

Schön auch die Rubriken „Ammenmärchen“ und die kleinen, aber ausgewählten Fenster mit Tipps, Tricks und Zusatzinfos. Dieses Buch sollte jeder werdenden Mama mitsamt dem Mutterpass ausgehändigt werden.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Valérie D’Heur/Alexandra Kervyn: Herbert und der Bauchnabel

Früher oder später fällt jedem Kind einmal auf, dass es in seiner Körpermitte ein Loch hat, in dem es sich ganz wunderbar herumbohren lässt. Doch wo kommt dieses Loch her, ist es ein Grund, sich sorgen zu machen, warum haben Hühner und Kuscheltiere keines, Mama und Papa aber schon? Herbert ist sehr verwirrt: Könnte es eine Wunde sein? Aber warum tut es dann nicht weh?
Doch die Bärenmama erklärt ihrem Kleinen, was es damit auf sich hat und da ist er doch ziemlich erleichtert.

Ein schönes Bilderbuchbuch schon für ganz Kleine (ab drei Jahren) über die Natur der Dinge. Über den Zweck einer Nabelschnur und darüber, warum wir sie zuerst brauchen und dann nicht mehr.
3.0 Stars (3,0 / 5)

Uta Charlotte Stern/Manfred Tophoven: Meine Mama nur für mich

Zunächst ist Tim begeistert, als er erfährt, dass er ein Geschwisterchen bekommt. Aber bereits die ersten Gespäche mit anderen Kindergartenkindern, die schon einen Bruder oder eine Schwester haben, lassen ihn skeptisch werden….

Doch als es soweit ist, freut sich Tim sehr. Er hat jetzt einen kleinen Bruder und der findet ihn bereits neugeboren ganz toll. Stück für Stück aber schleicht sich die Realität ein. Seine Mama hat keine Zeit mehr für Tim, alles dreht sich nur um Jonas. Da wird Tim ziemlich eifersüchtig. Seine Mutter erklärt ihm aber sehr anschaulich, wie das ist mit dem Platz im Herzen und welche Rolle er für sie spielt und das beruhigt Tim dann doch.

Dieses Buch, getextet von Uta Charlotte Stern, ist gut gemacht, behandelt das Thema anschaulich, herausragend aber ist es nicht. Es ist wohl auch schwer, mit einem solchen Thema das Rad neu zu erfinden. Doch die Texte sind bereits für kleine Kinder schlüssig und auch tröstlich. Die Illustrationen von Manfred Tophoven sind von der Farbenwahl her fröhlich und detailgenau. Störend ist allerdings – und gerade bei solchen Dingen sind Kinder sehr kritisch – dass z.B. die Mutter fast durchgehend die gleiche Kleidung anhat. Bereits eine ganze Weile vor der Geburt, direkt danach und später auch noch. Mal ganz abgesehen davon, dass ihr Bauch ab dem dritten Monat nicht mehr zu wachsen scheint. Zusätzlich ist es nicht sehr realitätsnah, dass Mama am Abend fröhlich „Gute Nacht, ich geh jetzt in die Klinik“ sagt und am nächsten Morgen mit den gleichen Klamotten genauso fröhlich wieder auf der Couch liegt. Klar, sowas gibt es, aber die meisten kleinen Kinder müssen doch erst einmal damit klarkommen, dass Mama für ein paar Tage weg ist und sie sie in einem sterilen Krankenhauszimmer wiedersehen.
1.9 Stars (1,9 / 5)