Theresa Thönnissen: Mein Jahr als Säugetier

Kein Zweifel: Wer zum ersten Mal ein Baby bekommt und nicht zufällig einen ganzen Stall vorher bei Verwandten oder Freunden betreut hat, der wird ziemlich überrascht werden. Denn ein Baby zu haben ist nicht das, was man sich gemeinhin drunter vorstellt. Mütter und auch Väter von heute, oft der Einzelkindgeneration entwachsen, haben heutzutage keine Ahnung von dem, was auf sie zukommt. Learning by doing ist angesagt und meist dauert es nur wenige Wochen, bis sich die kleine Familie aufeinander eingespielt hat. Besonders geschockt war Theresa Thönnissen, selbst ein Kind der Fläschchen-Generation, vom Stillen und allem, was dazugehört: Brüste wie Melonen, Milchpumpen, bei denen man sich vorkommt wie gemolken, Stillhütchen, Brust geben in der Öffentlichkeit mit all seinen netten Facetten, nasse Flecken auf dem Shirt, wenn nur ein schreiendes Baby im Fernsehen kommt und dem dann folgenden Möhrchenmassaker.

Dieses Buch kann Illusionen rauben und gleichzeitig vermitteln, wie zauberhaft es ist, mit einem neugeborenen Wesen die Welt zu entdecken. Mit viel Humor setzt sich die Autorin mit diesen ersten Monaten ihres Mutterdaseins auseinander. Man kann jetzt nicht sagen, dass sie sich wirklich von all den anderen Autoren bzw. Autorinnen dieser Art Literatur gravierend unterscheidet, aber sie ist auch lang nicht so langweilig wie viele unter ihnen. Was wohl daran liegt, dass Sprache ihr Metier ist.
2.4 Stars (2,4 / 5)

Sophia Rauchberg: ausgehoppelt

Anna liebt ihren Chef Marc und geht davon aus, dass diese Liebe auf Gegenseitigkeit beruht. Doch dem scheint nicht so zu sein. Statt ihr den langersehnten Heiratsantrag zu machen, schickt er sie in den Urlaub und das nicht ganz ohne Hintergedanken – er versucht, ihre Lorbeeren einzuheimsen und sie dafür aus dem Weg zu schaffen. Anna entscheidet sich für Österreich, sie will sich Marcs Familie mal genauer ansehen und gibt sich dort als dessen Assistentin aus. Nicht nur, dass das Land für sie ein Ort mit sieben Siegeln ist, es herrscht auch eine die ihr immer wieder Rätsel aufgibt. Doch nicht nur die Sprache ist rätselhaft, auch die Situation vor Ort ist verzwickt. Wer ist denn nun wer, und wer gehört zu wem, und welche Rolle spielt hier eigentlich Marc?

Dieses Buch fällt eindeutig unter die Kategorie unterste Schublade. Die Geschichte ist an den Haaren herbeigezogen, die Sprachwitze flach wie eine Flunder und die Ausdrucksweise der Autorin alles andere als sprachlich ansprechend. Da mag Sophia Rauchenberg, die in der Literaturwelt noch viele andere Namen hat, noch so viele gute Rezensionen bekommen haben, ein guter, humorvoller Roman sieht trotzdem anders aus.
0.8 Stars (0,8 / 5)

Renate Ahrens: Seit jenem Moment

Es geht um Paula. Die, als sie die Nachricht vom Selbstmordversuch ihres Vaters hört, zum ersten Mal so richtig aus der Bahn geschmissen wird. Ist ihr Leben sonst doch eher ruhig und zufrieden. Sie malt die immer wieder gleichen Auftragsbilder für eine Galerie, lebt mit dem liebevollen Journalisten Jakob zusammen und hat sich gegenüber der Probleme ihrer Familie immer erfolgreich verschlossen. Doch jetzt kann sie das nicht mehr. Einmal an der Oberfläche gerüttelt, kommt Entsetzliches zutage: Paulas Tante Luise ist im Alter von drei Jahren ums Leben gekommen und wurde danach totgeschwiegen. Dieses Tabu und die Nichtverarbeitung der Trauer hatten gravierende Folgen für jedes einzelne Familienmitglied und legen sich nun auch wie ein Schatten über Paulas Seele. Sie kann nicht mehr malen, entwickelt regelrecht Abscheu gegenüber ihrer Arbeit und zieht sich völlig in sich selbst zurück. Doch dann kommt der Wendepunkt und Paula beginnt, an dem Tabu zu rütteln. Was für sie nicht nur künstlerisch gravierende Folgen hat, sondern auch menschlich.
Dieser Roman reiht sich perfekt ein in die bisherigen der Schriftstellerin Renate Ahrens. Und könnte typischer für sie gar nicht sein. Es sind die seelischen Abgründe, die diese Frau interessieren. Das, was unter einer nach außen glatten Oberfläche brodelt und jahrelang mit Gewalt heruntergedrückt wird. Besonders gut zeigt sich das in der Figur des Vaters, der durch seine vermeintliche Schuld am Tod der kleinen Schwester sein Leben lang depressiv war. Nicht ganz so gelungen dagegen ist die Figur des kaltherzigen Großvaters bzw. deren Auflösung. Renate Ahrens verpasst ihm eine Demenz, die sein Wesen sich öffnen lässt und in rasender Geschwindigkeit für Aufklärung und Aussöhnung sorgt. Die Facetten, die gerade hinter dieser Figur stecken, kommen ein wenig zu kurz. Der trauernde Vater hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Genauso wie die Tatsache, warum er sich dem Willen seiner gramgebeugten Frau unterordnete, die Luises Tod auslöschen will durch die Geburt eines weiteren Mädchens, die grausam den Buben seelisch vernachlässigt und herrisch versucht, alle unter Kontrolle zu halten. Und der es fast gelungen wäre, nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Nachkommen auf einer inneren Ebene total zu zerstören.
4.1 Stars (4,1 / 5)

Heike Abidi: Wahrheit wird völlig überbewertet

Friederike gerät in einen weiblichen Albtraum: Ihr Wohlfühlbäuchlein wird mit den ersten Anzeichen einer Schwangerschaft verwechselt und ihr gelingt es nicht, das Missverständnis schnellstmöglich wieder aus der Welt zu schaffen und den Ball der Peinlichkeiten zurückzupassen. Die Lawine, die daraufhin ins Rollen kommt, lässt den Leser fast 400 Seiten lang in einem Zustand zwischen Fremdschämen und Dauergrinsen verweilen. Das Lügengeflecht, das sich um die junge Marketingfachfrau spinnt, die ja eigentlich schon mit ihrem bevorstehenden vierzigsten Geburtstag und ihrem durchgeknallten ererbten Papagei genug zu tun hat, wird immer enger. Doch jedes Mal, wenn man glaubt, jetzt kommt sie da nicht mehr raus, findet die Autorin Heike Abidi einen tatsächlich glaubwürdigen Weg, sich noch mehr in die Bredouille zu reiten.

Endlich mal wieder ein Buch, das man als wirklich witzig empfehlen kann. Die Hauptfigur eignet sich ganz wunderbar zur Identifikation. Wobei gerade der krasse Gegensatz zwischen der schonungslosen Ehrlichkeit mit sich selbst und dem Verstricken der Wahrheit anderen gegenüber den Reiz des Buches ausmacht. Chapeau!
Quer durch alle Altersgruppen und Verlage hat Heike Abidi, die auch unter dem Pseudonym Emma Conrad schreibt, übrigens noch einiges vor in den nächsten Monaten und Jahren: Frauenromane, Krimis, Kinder- und Jugendbücher – auf den weiteren Werdegang dieser Autorin darf man gespannt sein.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Markolf H. Niemz: Lucy im Licht

Was geschieht beim Übertritt vom Leben zum Tod? Gibt es überhaupt ein Jenseits? Die Beantwortung dieser Fragen war bisher immer Glaubenssache. Doch jetzt hat sich ein reiner Naturwissenschaftler mit diesem heiklen Thema auseinandergesetzt – und er kommt zu interessanten Schlüssen.

Prof. Dr. Markolf H. Niemz ist Medizintechniker und Physiker an der Universität in Heidelberg und neben seinen Forschungen zur Lasermedizin interessiert ihn ganz besonders ein bestimmter Grenzbereich zwischen Theologie, Medizin, Philosophie, Psychologie und Naturwissenschaft: der Tod, bzw. genauer gesagt das Sterben an sich.

Man kennt die typischen Nahtoderfahrungen: das gleißende Licht am Ende eines Tunnels, der schnelle Durchlauf des eigenen Lebens, das Wiedersehen mit bereits Verstorbenen – Aussagen klinisch toter Menschen nach dem Wiedererwachen, die sich interessanterweise rund um die Welt und durch alle Kulturkreise gleichen. Man kennt aber auch wissenschaftliche Annahmen darüber, dass es sich sozusagen um die „letzten Zuckungen“ des Gehirns handelt, um Halluzinationen also.

Beweisen lässt sich hier erst mal gar nichts, aber das ist bei den Naturwissenschaften ja nicht zum ersten Mal so. Man stellt eine These auf, eventuell sogar mit ein oder zwei Unbekannten und überprüft sie soweit es geht. Das hat Herr Niemz getan. Bzw. nicht er selbst, sondern seine Kunstfigur Lucy, eine junge Wissenschaftlerin, die man bereits aus dem Buch „Lucy mit c“ kennen könnte. Lucys Axiom: Mit dem körperlichen Tod wird unsere Seele (unser geistiges Ich, unser Bewusstsein) auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, damit sie ins Jenseits übergehen kann. Auf Basis dieser Annahme verbindet der Autor theologische Begriffe (Ewigkeit und Omnipräsenz), Erkenntnisse der modernen Sterbeforschung (Tunnelerlebnis) und Effekte der modernen Physik (spezielle Relativitätstheorie). Die Inhalte verschiedenster Fachgebiete verzahnen sich und ergeben nur zusammen das vollständige Bild, das Niemz malt.

Einigermaßen verständlich erklärt er die notwenigen Grundlagen – vor allem die der Physik, anschaulich untermalt mit zahlreichen Graphiken und ergänzt durch kleine Experimente. Aber genau hier rutscht das Buch etwas ab vom eigentlichen Niveau. Mir persönlich gefällt schon die Kunstfigur Lucy nicht, sie wirkt albern und macht bisweilen aus einem ernsten Thema Slapstick. Ich habe auch keine Lust, Alufolie auf eine bestimmte Seite in einem Buch zu kleben, um mir auf diese Weise das Phänomen eines Spiegels bewusst zu machen. Hier bekommt das Ganze dann doch eher den schalen Geschmack eines schlechtens Meditationswochenendes.

Aber: Der Inhalt des Buches an sich ist super-interessant. Niemz gelingt es, interdisziplinär zu argumentieren und so gut zu „beweisen“, dass man glauben möchte, was er sagt. Bzw. dass man für das, was man glaubt, endlich meint, wissenschaftliche Beweise gefunden zu haben. Je nachdem.
4.4 Stars (4,4 / 5)