Emily Rodda: Elfenzauber – das goldene Armband

Lena ist die Enkelin eines ganz besonderen Paares. Ihre Großmutter, Magdalena, ist eigentlich eine Elfenkönigin und ihr Großvater der einzige Mensch, der den Zugang zur Elfenwelt gefunden hat, sich verliebte und die Elfin mit sich nahm. Doch das weiß Lena gar nicht. Sie weiß nur, dass ihr Großvater vor seinem Tod wunderschöne Bilder malte mit kleinen, feinen Wesen darauf und dass ihre Großmutter immer ein Armband bei sich trug, das sie an etwas Wichtiges erinnern sollte.

Doch die Großmutter stürzte über eine Katze und die klaute ihr das Armband. Und seitdem geht alles drunter und drüber. Lena kommt hinter das Geheimnis der Elfenwelt, sie erfährt, dass es unbedingt notwendig ist, dass ihre Großmutter genau jetzt mit ihr für kurze Zeit dorthin zurückgeht und sie versucht alles, um den Frieden in der Welt ihrer Vorfahren zu erhalten und sie gegen die bösen Trolle und Kobolde von jenseits der Hecke zu verteidigen.

Es ist eine schöne Geschichte über Wesen, die es vielleicht doch gibt, über Zugehörigkeitsgefühl und Loyalität. Gesprochen wird das Hörbuch von Claudia Jahn, die das Thema allerdings manchmal einen Tick zu herb angeht.

Die 1948 geborene Emily Rodda gilt als die erfolgreichste Autorin Australien. Sie gewann inzwischen bereits fünfmal den Preis „Book of the year“. Und damit ist sie die Einzige, der so etwas bis jetzt gelungen ist.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Andrea Maria Schenkel: Tannöd

Auf einem einsam gelegenen Bauernhof geschieht ein grauenvolles Verbrechen. Alle, die dort wohnen, werden ausgelöscht. Mit der Spitzhacke erschlagen. Kleine Kinder, eine Magd, die gerade erst einen Tag da ist, die Bauersleut…. Alle. Autorin Andrea Maria Schenkel, deren auf Tatsachen beruhendes Debüt mehrfach preisgekrönt ist, zieht einen mitten hinein in Klatsch und Tratsch….

Und Monica Bleibtreu setzt das als Sprecherin perfekt um. Der schnoddrige Erzählstil liegt der Schauspielerin. Man hat das Gefühl mittendrin zu sein, im Kramerladen zu stehen und sich mit Gänsehaut die schaurigen Details zusammenzureimen. Der Hörer ist in der Funktion des Gesprächspartners, immer neugierig, nie den Blick für den Zusammenhang verlierend, aber auch nicht wissend, wer von all denen denn nun der Mörder oder die Mörderin ist.

Monica Bleibtreu schlüpft in all die Personen, die rund um den Dannerhof etwas wissen oder gesehen haben könnten. Ihre Art, die jeweiligen Persönlichkeiten und Charaktere sprechtechnisch rüberzubringen, kommt extrem authentisch an. Die das Ganze immer wieder unterbrechenden Gebete lassen Schauerstimmung aufkommen.

Menschliche Abgründe sind die tiefsten. Den Hörer davon zu überzeugen, fällt dem Duo Autor/Sprecher nicht schwer. Die Scheinheiligkeit, das vermeintliche Idyll, die Boshaftigkeit – nichts kommt zu kurz.

Als „Beste Interpretin“ bekam die rund sechzigjährige Sprecherin den Deutschen Hörbuchpreis 2007 verliehen. Begründung der Jury: „Sie vergegenwärtigt die düstere Atmosphäre des Gehöfts (…). Niemals drängte sie sich als Erzählerin in den Vordergrund, sie bleibt stets Dienerin der Geschichte. (…) Grandios.“

„Grandios!“ Dem ist nichts hinzuzufügen!
4.8 Stars (4,8 / 5)

Claudia Schreiber: Ihr ständiger Begleiter

Religiöser Eifer und Gottesfürchtigkeit im wahrsten Wortsinne umgeben Johanna schon ihr ganzes Leben lang. Sie ist Mitglied einer strengen Gemeinde, ihr Vater deren Oberhaupt. Lange dunkelblaue Röcke, hochgeschlossene Blusen, zusammengebundene Haare und weder Schmuck noch Schminke, ganz züchtig und unterwürfig – das ist die eine Johanna. Rebellisch, lüstern und mit weltlichen Wünschen ausgestattet, die andere. Zwei Seelen wohnen in ihrer Brust und zwar genau seit dem Moment, in dem Rob, der Holländer auftaucht. Doch das passt Gott, ihrem ständigen Begleiter, überhaupt nicht!

Am besten an dem ganzen Hörbuch sind die von Ulrike Grote und Dietmar Mues verkörperten Zwiegespräche zwischen Johanna und Gott höchstpersönlich. Davon hätte es ruhig etwas mehr sein dürfen. Die Unterhaltung entbehrt nicht einer gewissen Bissigkeit. Und es bleibt auch nicht bei der Kommunikation auf der verbalen Ebene, was das Ganze noch brisanter macht.

Besonders gelungen ist der Part, in dem sich Gott darüber beschwert, dass zwar am Anfang das Wort war, am Ende aber die Sprachlosigkeit steht – Sprachlosigkeit deswegen, weil ihm alle das Wort im Mund rumdrehen. Sein Vorschlag für ein elftes Gebot wäre daher: Ruhe im Stall! Gott hat die Nase gestrichen voll von den Menschen. Manche, die seinen Namen im Munde führen, würde er nicht mal mit der Kneifzange anfassen und er sagt von sich selbst, er habe eine Meise – eingestellt als Pressesprecherin.

An diesen Stellen ist das Hörbuch wirklich witzig, und so, wie Dietmar Mues Gott vertont, genau so könnte man ihn sich vorstellen, alt, knurrig, egoistisch und doch liebenswert – irgendwie. Johannas Zwiespalt, ihre Zweifel und ihre Verzweiflung fügen sich in die Schicksale der Menschen um sie herum, alle geprägt von ihrem Vater und seinem strengen Gemeindelebenregiment. Hinter dem wiederum die eigenen seelische Abgründe vertuscht werden.

Die Autorin, übrigens selbst lange Jahre Mitglied einer Baptistengemeinde und vor allem durch „Emmas Glück“ bekannt geworden, liest ihr Hörbuch zum großen Teil selbst und es ist sehr angenehm, ihr zuzuhören. Kein Wunder, Claudia Schreiber kommt unter anderem aus dem Hörfunkbereich.
3.8 Stars (3,8 / 5)

Mark Kuntz: Der letzte Raucher

Raucher können einem derzeit wirklich leid tun. Jede gemütliche Nische wird ihnen weggenommen, niemand will sie haben und gerade die, die selbst früher geraucht haben, schwingen manchmal die intolerantesten Reden. Für all diejenigen, die sich trotz aller Hetzkampagnen ab und zu einen Glimmstängel anzünden und auch für die, die nur aus Vernunftsgründen aufgehört haben und wehmütig an die „gute, alte Zeit“ zurückdenken, gibt es jetzt ein Hörbuch auf dem Markt, dessen Thematik nur für echte (Ex-)Raucher verständlich ist – und die werden ihren Spaß haben. Garantiert.

Man kann es wirklich übertreiben mit den rauchfreien Zonen und am schlimmsten sind eben leider genau die, die eigentlich selbst noch süchtig sind, es aber niiieeee zugeben würden. So wie der Dirk, bei dem der Held des Hörbuchs eingeladen ist. Gerade mal ein paar Wochen Nichtraucher und dermaßen selbstgefällig, dass einem der Protagonist wirklich leid tun kann. Da geht er halt erst mal eine rauchen, um seine Nerven zu beruhigen und wird von der illustren Nichtrauchergesellschaft des Abends auf dem Balkon vergessen. Man zieht „um die Häuser“ und unser Held steht draußen. Mit 27 Zigaretten und einer Menge Gedanken, die es zum Thema zu denken gilt.

Bei diesem Hörbuch hat man ein Dauergrinsen im Gesicht. Mark Kuntz trifft es dermaßen auf den Punkt und ab und zu hätt ich mich gerne mit ihm auf den zugigen Balkon gestellt und aus Solidarität eine mitgequalmt.

Schön auch die Umsetzung von Schauspieler Peter Jordan. Seine Stimme liegt irgendwo zwischen entspannt und arrogant – absolut genial und perfekt für diesen Text! Am besten finde ich seine Betonung des Namens Dirk. Sofort kommen einem Assoziationen zu Menschen im Bekanntenkreis, die genau so sind und bei denen man auch nicht wirklich weiß, warum man immer noch Kontakt zu ihnen hält.
4.5 Stars (4,5 / 5)

Thomas Glavinic: Die Arbeit der Nacht

Es ist ein Albtraum, ein absoluter Albtraum – doch ist es wirklich ein Traum, ist es Realität, ist es nur seine Realität? Jonas wacht auf am Morgen des 4. Juli, alles scheint wie immer, bis er irgendwann merkt, dass er allein ist, ganz allein. Alle anderen sind verschwunden, Menschen, Tiere – alle weg.

Der Protagonist bleibt erstaunlich cool. Er arrangiert sich mit seiner Situation. Und entwickelt Strategien, um mit ihr fertig zu werden. Eine davon ist, sich selbst beim Schlafen zu filmen. Und festzustellen, dass der „Schläfer“ eine ganz eigene Identität hat. Das erklärt auch, warum Jonas zwar sehr lange schläft, aber nie wirklich Ruhe findet. Seltsame Dinge geschehen, Nachrichten, Zeichen – undeutbar und doch fühlbar relevant. Nichts ist mehr vertrauenswürdig – nicht mal er selbst – nichts ist mehr vertraut. Er beobachtet, wie der Schläfer immer mehr ein Eigenleben entwickelt, wie er Dinge tut, die Jonas völlig unerklärlich sind. Gepeinigte Schreie aus dem Off, Messer, die plötzlich in der Betonwand stecken, Puppen, die sich genau an dieser Stelle in der Wand befinden. Jonas, der früh aufwacht, das Kopfkissen voller Blut und mit vier Zähnen weniger im Mund. Auf dem Film plötzlich alles weiß, inklusive dem Schläfer selbst, seine Augen auf die Kamera gerichtet – starr, kalt, leblos und doch durchdringend bis ins Mark. Die Zeiten, die Orte verschieben sich. Seine überall postierten Kameras verschwinden teilweise, Bänder tauchen wieder auf – darauf bereits Verstorbene, quietschlebendig.

Jonas flüchtet, er will seine Freundin suchen, die am 3. Juli nach England abgereist war. Auf dieser Reise wird ihm klar, dass er nicht mehr schlafen darf. Dass er den Schlaf überlisten muss. Mithilfe von Medikamenten versucht er, sich dem Kampf zu stellen. Doch jeder, der das bereits einmal probiert hat, weiß, dass es letztendlich sinnlos ist. Der Schlaf siegt und als Jonas wieder aufwacht, findet er sich in einem vermeintlichen Sarg wieder. Er nimmt den Kampf gegen den Schlaf erneut auf. Da er und der Schläfer dieselbe Person sein müssen, muss es auch einen Weg hinaus geben….

Jonas Leben ist ein Käfig. Als er versucht, sich daraus zu befreien, wird ihm klar, was Himmel und Hölle bedeuten. Wird ihm klar, welche Dimension die Zeit hat… Jonas kämpft, doch der Schlaf ist stärker als er und letztendlich gibt er ihm nach….

Dieses Hörbuch über den Mann, den der Schlaf übermannte, ist krass. Beim Hören ist man völlig geschickt. Gefangen in dieser Geschichte zwischen den Realitäten und beeindruckt von der Coolness eines Mannes, an dessen Stelle die meisten mit ziemlicher Sicherheit bereits nach ein, zwei Tagen wahnsinnig geworden wären. Die Einsamkeit, die Unsicherheit über das Wie, das Warum und das Was, die Nächte, die sich verselbständigen und dieses unsägliche Schweigen um ihn herum – eine unerträgliche Vorstellung. Sechs CDs und keine Sekunde davon überflüssig, keine Sekunde auch nur ansatzweise langweilig. Das liegt unter anderem auch am Sprecher (der übrigens leider den Namen des Autors falsch ausspricht). Heikko Deutschmann liest dieses Hörbuch ohne große Emotion, ohne große Verwunderung über die Geschehnisse und genau das macht den Reiz aus. Es bleibt dem Hörer komplett selbst überlassen, die Phantasie spielen zu lassen, zu entscheiden, welche Stellen wirklich wichtig sind. Das bedeutet aber nicht, dass das Buch langweilig gelesen werden dürfte oder gelesen worden sei. Es ist – ganz im Gegenteil – dermaßen perfekt, dass es tatsächlich nichts mehr zu wünschen übrig lässt. Allerdings sind die persönlichen Anforderungen und Erwartungen an einen Sprecher durchaus sehr unterschiedlich. Wer sich darauf nicht einlassen möchte, ist sicher gut bedient, sich das 400 Seiten starke Buch zu besorgen. Auch weil die CDs eine gekürzte Fassung sind und das eine oder andere wohl doch etwas verloren geht.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Martin Suter: Small World

Dieses Hörbuch hat alles, was ein gutes Hörbuch haben muss. Eine wunderbare Geschichte aus leisen Tönen sowie einen Sprecher,der genau diese genau richtig zur Sprache bringt.

Sie ist die betagte Chefin eines renommierten Familienunternehmens, er ein distinguierter, eleganter, aber leicht heruntergekommener Mann um die sechzig. Zwischen Elvira Senn und Konrad Lang gibt es eine Verbindung, die nicht nur finanzieller Art ist. Doch warum Elvira Konrad großzügig und in doppeltem Wortsinn aushält, das ist dem Rest der Familie nicht wirklich klar. Koni – als Kind von Elvira aufgenommen – war doch eigentlich nichts weiter als ein Dauerspielgefährte ihres Sohnes…

Als Konrad Rosemarie kennenlernt, blüht er noch einmal so richtig auf. Er erlebt seinen zweiten Frühling und macht sich endlich unabhängig von der Familie Koch. Doch immer öfter ertappt Rosemarie ihn bei seltsamem Verhalten. Die Brieftasche im Kühlschrank, der doppelte Einkauf, der Zettel mit ihrem Namen und der gemeinsamen Adresse inklusive Wegbeschreibung – Konrad leidet an Alzheimer und die Krankheit nimmt zügig ihren Lauf – sie löscht Neues auf der Gehirn-Festplatte und lässt Erinnerungen aus dem Langzeitgedächtnis zu, die vermeintlich vergessen waren. Und so kommen Geheimnisse zutage, die Elvira Senn für immer mit ins Grab nehmen wollte. Und als Rosemarie vor der Krankheit kapituliert, setzt Elviras ungeliebte Schwiegertochter durch, dass Konrad im Gästehaus der Villa aufs Beste versorgt wird. Und sie verschafft ihm eine ganz neue und sich bis dato in der Testphase befindliche Therapie – mit weitreichenden Folgen.

Man könnte sagen, es sei ein Krimi. Man könnte auch sagen, es handle sich einfach nur um eine spannende und ausnehmend gut aufgebaute Geschichte, perfekt vorgetragen von dem Schauspieler Dietmar Sues. Seine Präsenz, seine Kunst, Stimmungen in Stimme zu fassen machen dieses Hörbuch zu etwas ganz Besonderem.
4.8 Stars (4,8 / 5)

James Krüss: Der Weihnachtspapagei

Mehr als 700 Kinderbücher gehen auf sein Konto, Unmengen von Auszeichnungen hat er dafür kassiert. James Krüss, der sich auch Markus Polder oder Felix Ritter genannt haben soll, war ein Meister der leisen Töne. Er äußerte einmal, dass Kinder das „anspruchsvollste Publikum“ seien. Ein Vermächtnis, das sich heute manch ein Kinderbuchautor mal zu Herzen nehmen könnte.

„Der Weihnachtspapagei“ ist eine wunderschöne Geschichte, die sehr nachdenklich macht.

Ein kleines Mädchen ist sterbenselendkrank – sein über alles geliebter sprechender Papagei ist verstorben. Der Arzt, ein einfühlsamer Mann, erkennt den Zusammenhang zwischen dem Zustand des Mädchens und seiner Trauer und er verspricht Leentje einen neuen Papagei. Doch das ist ziemlich viel versprochen, denn nirgendwo ist einer aufzutreiben und die einzige Hoffnung besteht darin, bei den schlimmsten Stürmen nach London zu segeln und dort einen zu erstehen. Eine schwierige Aufgabe für Hein und Pieter, die sich auf den Weg machen und einen Wettlauf mit der Zeit beginnen….

Er hat selbst drei Kinder und vielleicht kann er auch deswegen so gut vorlesen, aber Walter Kreyes Stimme passt auch optimal zu einem solchen Text. Unaufgeregt und doch nicht langatmig nimmt der Schauspieler den Hörer mit auf die Reise nach London.

Diese Reise wiederum führt, dank James Krüss, in eine längst vergangene Welt. Eine Welt, in der der Zylinder noch zum Alltagsbild gehörte, Droschken und Gehstöcke Tagesordnung waren. Und eine Welt, in der zwei gestandene Mannsbilder alles daran setzen, ein kleines Mädchen glücklich zu machen. Zauberhaft.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Alois Prinz: Lieber wütend als traurig

Die Diskussion um die RAF-Terroristen, um ihre eventuelle Freilassung, um Reue oder nicht Reue kocht derzeit so richtig hoch. Weder Brigitte Mohnhaupt noch Christian Klar haben je ihre Abkehr vom „Bewaffneten Krieg“ erklärt, im Gegenteil: Klars Statements sagen einiges aus über die Denkweise des Herrn, er scheint nach wie vor voller Hass auf den Staat zu sein. Was einen Menschen überhaupt so weit bringen kann, eine Institution zu hassen und welche Rolle Kindheit und Jugend dabei spielen, versucht Alois Prinz in seinem (Hör-)Buch „Lieber wütend als traurig“ darzustellen. Er verfolgt das Leben Ulrike Meinhofs bis zurück zu seinen Anfängen.

Ulrike wurde 1934 geboren und verlebte ihre ganze Kindheit vor der schrecklichen Kulisse des Zweiten Weltkriegs. Sie war ein gescheites, aber eher unscheinbares Mädchen, das todernst wirkte, selbst wenn es lächelte. Ein Mädchen, das die christlichen Werte seiner Erziehung verinnerlicht hatte. Zu früh verlor sie ihre Eltern, gewann aber mit der Pflegemutter und Professorin Renate Riemeck eine besonders kluge und emanzipierte Frau als weibliches Vorbild. Schülerzeitung, Studentenblatt – das waren ihre Möglichkeiten, ihre immer wohlüberlegte Meinung kundzutun. Sie wollte verändern, bewegen und sie hasste Gewalt. Klaus Rainer Röhl, Herausgeber der KPD-nahen Zeitschrift Konkret, entlockte der intelligenten jungen Frau die weiblichen Seiten. Sie heiratet ihn, wird Chefredakteurin von Konkret und erwartet Zwillinge, die Aufgrund einer unaufschiebbaren Gehirntumorentfernung allerdings zu früh auf die Welt kommen. Die lange Fehlzeit und die unsäglichen Kopfschmerzen, die Ulrike Meinhof nach wie vor plagen, lassen sie bei Konkret in die hintere Reihe rutschen. Doch Ulrike kann sich mit einer Rolle als Nur-Hausfrau und Mutter nicht abfinden, sie ist und bleibt Vollblutjournalistin und findet nie einen richtigen Zugang zu ihren Mädchen. Schon bald trennt sich Ulrike Meinhof von ihrem Mann, zieht mit ihren Töchtern nach Berlin und lernt dort Menschen kennen, die ihr ganzes Leben auf krasseste Weise beeinflussen….

Wie kann aus einer gläubigen Christin und überzeugten Pazifistin eine Terroristin werden? Welche Rolle spielen Muttergefühle, wenn man seinen ganzen „Besitz“ aufgeben soll? Welchen Stellenwert hat in einem solchen Fall der Druck von außen? Der Einfluss durch andere? Wo liegt der Unterschied zwischen Wahrheit und Wirklichkeit?

Auch später, als Namensgeberin der Baader-Meinhof-Bande, galt die inzwischen deutschlandweit bekannte Journalistin als Stimme der RAF. Sie selbst sah sich eher als Drohne, als Arbeitsbiene der Roten Armee Fraktion. Immer wieder musste sie gegen ihre Sehnsucht nach den Kindern ankämpfen, immer wieder kamen ihr Zweifel an der Richtigkeit ihres Tuns und immer wieder spielten Gudrun Ensslin und Andreas Baader entscheidende Rollen in ihrem Leben. Dem Paar fiel es deutlich leichter, sich komplett mit dem „Staatshass“ zu identifizieren. Doch all das ist keine Entschuldigung und wird von Prinz auch nicht als eine solche dargestellt. Er polarisiert nicht, er versucht auch nicht, die Sympathien für Frau Meinhof zu wecken, er erklärt nicht – was er tut, ist ein Bild entstehen zu lassen…. Das Bild einer zerrissenen Frau, die statt des friedvollen einen gewaltsamen Weg wählt, um ihre Überzeugungen durchzusetzen. Die für den Tod vieler unschuldiger Menschen verantwortlich zeichnet, die in Deutschland über Jahre Angst und Schrecken verbreitet hat und deren Tod Fragen aufwirft.

Für Mitdreißiger und Ältere ist die RAF ein Begriff, sie war Thema in der Schule, in den Elternhäusern wurde darüber gesprochen, oft auch diskutiert, manchmal sogar sympathisiert, doch viele Jüngere wissen mit der jetzt wieder hoch gekochten Diskussion wenig anzufangen. Für all diejenigen, die mehr über die Hintergründe wissen wollen, ist dieses preisgekrönte Hörbuch gedacht, denn auch die RAF ist ein Stück deutscher Geschichte.

„Wir haben unsere Eltern nach Hitler gefragt, unsere Kinder werden uns nach Franz-Josef Strauß fragen“

Eva Mattes übernimmt mit ihrer sympathischen rauen Stimme die Zitate aus Meinhofs Leben, Axel Milberg die Erzählerrolle. Es wäre gelogen, wenn man von leichter Kost sprechen würde, selbst, wenn das Hörspiel durchaus auch schon Jugendliche als Zielgruppe im Auge hat. Diese Stunden, die man mit dem Leben und Sterben der RAF-Terroristin verbringt, ziehen viele andere Stunden des Nachdenkens nach sich. Parallelen und Gegensätze zu heutigen Terroristen, Ungläubigkeit gegenüber mancher von Meinhofs Reaktionen, Verständnis für einige ihrer Gedanken….

„Der beste Weg zu verstehen, ist für mich, eine Lebensgeschichte zu erzählen. Gerade für Jugendliche, die oft nicht mehr wissen, was die APO oder die RAF waren, ist das Leben der Ulrike Meinhof ein Stück deutscher Geschichte und eine Geschichte über Utopien – warum sie lebenswichtig sind und warum sie lebenszerstörend sein können.“

Alois Prinz hat bereits mehrere Biographien veröffentlicht, unter anderem über Hermann Hesse und auch die Auszeichnung, die er für „Lieber wütend als traurig“ erhalten hat, ist nicht seine erste. Das Werk ist gut recherchiert, der Autor legt Wert auf zunächst unbedeutend erscheinende Kleinigkeiten, die im Laufe der Zeit an Gewicht gewinnen, doch eines hätte er nicht tun sollen: Den Prolog selbst sprechen. Denn ein Sprecher ist er nicht und die Gefahr, dass das rein stimmlich auf den einen oder anderen abschreckend wirken könnte, ist bei einem Hörbuch doch reichlich groß.
4.1 Stars (4,1 / 5)