Chris Geletneky: Midlife Cowboy

Es sind reichlich traurige Figuren, die sich in diesem Roman rund um die Midlife Crisis versammeln – das liegt wohl vor allem am Thema. Hat man da doch automatisch so lächerliche Figuren vor sich wie Männer um die Fünfzig, die nicht mit dem zufrieden sind, was sie haben – obwohl sich das meist deutlich besser gehalten als sie selbst – und die sich stattdessen quer durch alle Betten vögeln. Männer, deren Wampe zwar bereits reichlich unsportlich über die Hose wächst, die sie aber versuchen mit Joggingrunden und sportlichen Wettkämpfen untereinander wieder in den Griff zu bekommen. Und Männer, die sich für klitzekleine Grundstücke riesige Rasenmähertraktoren kaufen, weil sie sich keinen Sportwagen leisten können. Solche Männer halt. Und genau so einer ist Tillmann. Eigentlich glücklicher Familienvater, Besitzer eines Eigenheims und Chef in einer Musterhaus-Siedlung. Doch plötzlich ist ihm das alles nicht mehr genug, er geht fremd und gerät von einer Katastrophe in die nächste. Bis er um Gnade winselnd wieder bei seiner Frau vor der Tür steht. Die nicht weniger als er gegen ihre eigene Midlife-Crisis gemacht hat, aber deutlich subtiler.

Man könnte sie als komisch bezeichnen, diese Geschichte, aber allerdings auch als lächerlich und völlig überzogen. Je nachdem, wie man es sehen will und je nachdem, mit wie vielen Männern in der Midlife-Crisis man es schon zu tun gehabt hat. Aber irgendwie will man dann trotzdem wissen, wie es ausgeht, mit Tillmann und seinen Kumpels, von denen keiner besser ist als der andere. Oder besser: kaum einer.

Guillaume Musso: Das Atelier in Paris – gelesen von Richard Barenberg

Beide suchen nur ein bisschen Ruhe und brauchen eine Auszeit. Dummerweise haben sowohl die englische Polizistin Madeline als auch der mürrrische amerikanische Schriftsteller, der nur effektiv schreiben kann, wenn er ins selbstgewählte Exil geht, die gleiche Wohnung gemietet: ein lichtdurchflutetes Atelier in Paris, am Ende einer Sackgasse. Es ist nicht irgendein Atelier, sondern das eines berühmten bereits verstorbenen Malers. Als Gaspard und Madeline dann auch noch hinter die tragischen Lebensumstände des Malers kommen, ist ihre Neugier geweckt und der Streit um die Wohnung schnell vergessen. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche – nach einem verlorenen Sohn, drei verschollenen Gemälden und der zum Teil grausamen Wahrheit.

Guillaume Musso ist einer der bedeutendsten französischen Schriftsteller der heutigen Zeit. Der Gymnasiallehrer veröffentlicht verhältnismäßig viele Romane, doch ausnahmslos alle sind so gut, dass sie in bis zu 40 Sprachen übersetzt werden und regelmäßig die Bestsellerlisten bevölkern. Mit „Das Atelier in Paris“ ist dem 1974 geborenen Musso wieder einmal ein Meisterwerk gelungen. Und noch dazu eins, mit dem er sich indirekt bei seinen Fans bedankt. Denn wer ganz aufmerksam ist, wird die eine oder andere sich in Paris tummelnde Figur wiederentdecken.

Der Schauspieler Richard Barenberg ist mit seiner tiefen und sonoren Stimme genau der richtige für diesen Roman mit kleinen Thrill-Elementen. Er vertont den Wechsel der Erzählfigur mit einer Selbstverständlichkeit, die nur wenige mit einer solchen Eleganz beherrschen. Chapeau!

David M. Barnett: Miss Gladys und ihr Astronaut

Man kann eigentlich im ersten Moment gar nicht sagen, wen es beschissener getroffen hat. Den Astronauten Thomas Major, auch Major Tom genannt, der mehr oder weniger aus Versehen auf dem One-Way Richtung Mars ist oder Miss Gladys, die liebe, aber leider ziemlich demente Oma, die die Verantwortung für ihre zwei Enkel trägt, weil ihr Sohn im Gefängnis ist. Vielleicht ist die wirklich tragische Person der Geschichte aber auch Ellie, die trotz ihrer Jugend die ganze Familie am Laufen hält und dafür sorgt, dass niemand merkt, dass die Oma nicht mehr alle Tassen im Schrank hat und eigentlich nicht in der Lage ist, sie und ihren kleinen Bruder James zu versorgen.
Natürlich glaubt die Familie Gladys zunächst nicht, als sie von einem Telefonat mit dem Astronauten berichtet. Doch der hat sich im All mit seinem Satellitentelefon verwählt und landete bei ihr. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Art Freundschaft, von der auch James profitiert. Nur Ellie ist äußerst skeptisch und ahnt, dass die Sache nicht gut ausgehen kann. Doch dann wird sie eines Besseren belehrt.

Gerade die Rolle der Ellie, die so viel zu tragen hat und doch eigentlich selbst noch ein Kind ist, die pessimistisch ist und meistens recht behält erfährt das größte Wunder in diesem Roman. Lernt, dass es sich lohnt, an etwas zu glauben und wenn es noch so unwahrscheinlich erscheint. Spannend aber auch die Sichtweise auf den Unglücksraben im All, auf die Story, die dazu geführt hat, dass er heute der ist, der er ist und die Art und Weise, wie er versucht, der kleinen Familie zu helfen und dabei – im wahrsten Sinne des Wortes – den Überblick behält. Ein leichter Roman mit schweren Momenten.

Nicole Zepter: Der Tag, an dem ich meine Mutter wurde

Mütter und Töchter haben ein sehr spezielles Verhältnis zueinander. Zum einen ist es meist eine sehr innige Beziehung, zum anderen, zumindest in bestimmten Entwicklungsphasen, auch eine Konkurrenz. Diese Abgrenzung führt dazu, dass kaum eine junge Frau später mal so sein möchte wie ihre Mutter und fest davon überzeugt ist, auch nie so zu werden. Um irgendwann eines Tages in den (inneren) Spiegel zu sehen und festzustellen: Ich bin meine Mutter geworden.

In diesem Buch, das den Untertitel „Tochtersein zwischen Liebe und Befreiung“ trägt, setzt sich die Autorin Nicole Zepter ausführlich mit ihrer Tochterrolle auseinander und damit, was ihre Mutter zu der Person gemacht hat, die sie war. Und was dazu geführt hat, dass sie selbst ein ähnliches Muttermodell gewählt hat. Scheinbar unbewusst und anscheinend doch von irgendetwas gesteuert. On top versucht sie, das Gewirr aus Familiengeheimnissen zu verstehen, das sie viele Jahre umgeben hat und das heute noch Nachwirkungen zeigt.

Die Autorin begibt sich auf die Suche nach Erklärungen, setzt sich mit ihrer Mutter selbst, mit ihrer Familie aber auch mit Therapeuten auseinander und findest schließlich zu dem inneren Frieden, der es einem erlaubt, viel zu verstehen, einiges zu verzeihen und manches anders zu machen.

Nicole Zepter ist eine Frau, die sich aufs Schreiben versteht. Chefredakteurin von Neon und Nido und Autorin des Spiegelbestsellers „Kunst hassen“. Und das führt dazu, dass sich dieser „Selbstbericht“ im Gegensatz zu sehr vielen anderen tatsächlich gut liest. Mit dem Thema an sich beschäftigt sie sich schon seit einer Weile. Bereits 2014 gab es eine Reportage im Zeit-Magazin, die sich mit der Frage beschäftigte: „Bin ich wie meine Mutter?“

Christian Morgenstern: Ein Wiesel saß auf einem Kiesel

Der Schnupfen hockt auf der Terrasse, auf dass er sich ein Opfer fasse – und stürzt alsbald mit großem Grimm auf einen Menschen namens Schrimm. Paul Schrimm erwidert prompt. „Pitschü!“ und hat ihn drauf bis Montag früh.

Typischer kann ein Christian-Morgenstern-Gedicht kaum sein. Und von dieser Sorte gibt es reichlich kindergeeignete in diesem Buch. Das zudem witzig, farbenfroh und phantasievoll von Christine Sormann illustriert ist.

Eine schöne Art, Kindern den Zugang zu Lyrik zu ebnen. Vielleicht sind sie dann später auch eher in der Lage, Gedichte über das Knie zu interpretieren.

Christiane Schwarz: Wie spät ist zu spät?

Frauen, die natürlich entbinden wollen und über den errechneten Zeitpunkt hinaus sind, bekommen vom Arzt nur noch wenige Tage Zeit. Und wenn das Baby partout nicht kommen will, dann wird die Geburt eingeleitet, damit das Kind – so das Argument – keinen Schaden davonträgt, dadurch dass es übertragen ist. Von Behinderungen ist da die Rede und sogar von drohendem Tod. Das kann passieren, ist aber extrem unwahrscheinlich und viele werdenden Mütter wären bereit, das Risiko zu tragen, weil sie spüren, dass ihr Kind noch nicht soweit ist. Vielleicht auch manchmal, weil sie selbst noch nicht so weit sind. Dieses Risiko hingegen wollen die Ärzte aber nicht tragen und greifen oft zu schnell zur Einleitung einer Geburt. Das betrifft inzwischen jede fünfte Geburt in Deutschland.

Das Einleiten einer Geburt ist weder für die Mutter noch für das Baby einfach. Die Wehen sind häufig viel stärker und kommen unvorbereitet, das Kind ist noch nicht bereit und wird durch einen künstlichen Cocktail mit Nachdruck auf die Welt befördert. Die Lektüre richtet sich daher eigentlich an Fachleute: an die Hebammen, Geburtshelfer und Ärzte, die die Entscheidung letztendlich treffen müssen. Aber auch an Frauen, die sich wissenschaftlich damit auseinandersetzen möchten, bevor sie sich für eine Einleitung entscheiden.

Dieses Buch ist die Dissertationsschrift der Autorin und damit nichts, was man mal so nebenbei auf der Sonnenliege genießt und das einem die wichtigsten Daten in kleinen, leichtverständlichen Häppchen bietet. Stattdessen ist es echte Fachliteratur, die sich mit Daten und Zahlen, mit Statistiken und Folgen auseinandersetzt, das Für und Wider gründlich abwägt und niemandem die Entscheidung abnimmt. Was auch gar nicht geht, denn jede Geburt ist ein einmalige Erlebnis. Und niemals mit einer anderen zu vergleichen.

Michael Schulte-Markwort: Kindersorgen

Professor Dr. Schulte-Markwort ist ein bekannter Kinder- und Jugendpsychiater, ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Universitätsklinikum Hamburg und steht tagtäglich vor der Herausforderung, Kindern und Jugendlichen zu helfen, denen sonst keiner mehr helfen will oder kann. Dabei behält er sich den „Kinderblick“, versucht, Situationen nicht als Erwachsener zu betrachten, sondern sich in den jungen Menschen hineinzuversetzen und kann so vieles erklären, was für andere unerklärlich ist. Wie ein Dolmetscher übersetzt er ausgewählte Situationen und öffnet dem Leser so den Blickwinkel, den er einnehmen muss, wenn er verstehen will.
Kindersorgen sind etwas ganz Normales, nur die Sorgen sind andere als die der Erwachsenen. Und ein Kind, das Sorgen hat, wird nicht zwangsläufig zum Sorgenkind. Das unterstreicht der Autor ganz deutlich. Und zwar auch dann nicht, wenn ein Kind mit Sorgen seinen Eltern Sorgen macht. Stattdessen kann mit Hilfe von außen und dem richtigen Blickwinkel die Welt des Kindes wieder geradegerückt werden. Es fühlt sich ernst genommen und verstanden. Damit uns das auch im Alltag – im Kleinen – immer wieder aufs Neue gelingt, ist diese Lektüre eine gute Unterstützung.
Schulte-Markwort hat sich bereits mit mehreren Titeln einen Namen gemacht, ist der Autor der Burnout- und der Superkids. Er schreibt leicht verständlich und hilft dem Leser, zu erkennen, was Kinder belasten kann und wie wir ihnen helfen können.

Höfer/Scholz: Meine Schwangerschaft

Es gibt zahlreiche Schwangerschaftsratgeber auf dem Markt und letztendlich sind sie alle gleich. Dieser hier aber ist anders. Besser. Es gibt wohl kaum eine Frage, die offen bleibt. Alles ist extrem anschaulich erklärt und an den richtigen Stellen bebildert. Zusätzlich zu den üblichen Fragen, die im Rahmen einer Schwangerschaft auftauchen, gibt es nützliche Tipps und auch schwierigere Themen werden angesprochen. Jeder Tag der Schwangerschaft wird behandelt, man kann sich also von Anfang bis Ende begleiten lassen und lernt dabei viel Zusätzliches.

Damit man sich in dem doch recht dicken Wälzer gut zurechtfindet, hilft ein Register dabei, die Orientierung zu behalten. Als altmodische Suchmaschine führt es den Leser von einem Thema zum anderen und dazu, dass man das Buch kaum aus den Händen legen kann und immer weiter darin herumschmökert. Sehr empfehlenswert, nicht nur für Erstlingsmütter. Kein Wunder, besteht das Autorenduo doch aus einer Hebamme und einer Frauenärztin, die in einer Berliner Geburtsklinik tätig ist.

Isabel Bogdan: Der Pfau

Ein verträumter Landsitz in den schottischen Highlands, eine Bankertruppe, die ein Teambuildingseminar machen muss. Und ein Pfau, der auf einmal alles, was blau war und glänzte als Konkurrenz ansieht – das ist das Szenario, das Isabel Bogdan für ihren Roman aufgebaut hat.

Die Truppe, die untereinander äußerst inhomogen ist, kommt von Tag zu Tag in schwierigere Situationen. Und als sie dann auch noch eingeschneit werden, spitzt sich die Lage zu. Und die wahren Charaktere kommen hinter den Fassaden hervor.

Die Frauenzeitschrift „Brigitte“ spricht von einem kolossalen Vergnügen, der „Spiegel“ hat das Buch auf seine Bestsellerliste gesetzt und trotzdem ist es alles andere als leichte Lektüre. Streckenweise zieht sich das Buch und man fragt sich, warum Hamish und Fiona McIntosh, die Besitzer des Cottages dem Ganzen nicht endlich ein Ende bereiten, doch als es endlich geschieht, ist das irgendwie auch nicht richtig befriedigend. Es ist kein Buch für zwischendurch, aber durchaus eines, das man mal gelesen haben sollte.

Kathrin Weßling: Super und dir?

Marlene Beckmann ist 31 Jahre alt und genau so, wie eine Frau in diesem Alter in unserer Gesellschaft sein soll: schön und gepflegt, strebsam, erfolgreich, immer online und vor allem: immer gut drauf.
Dass nur die wenigsten das wirklich erfüllen und die meisten mit einer Fassade leben, die es gilt, mit allen Mitteln aufrechtzuerhalten, das verrät sie nur in diesem Buch. Die Protagonistin zeigt schonungslos ehrlich, wie sie sich mit der Hilfe aller möglichen Substanzen am Laufen hält, was das mit ihr und ihrer Beziehung macht und was es bedeutet, den Traumjob halten zu müssen.

Es ist ein bisschen schwer zu lesen, dieses Buch. Nicht, weil der Stil schlecht wäre, das ist er nämlich nicht, sondern eher, weil man denkt, dass es doch durchaus wichtigere Dinge gibt als sich mit den Problemen der Marlene B. zu beschäftigen. Und dass es auch für Marlene B. durchaus wichtigere Dinge geben sollte, als sich im Selbstmitleid zu suhlen – sie könnte sich zum Beispiel am eigenen Schopf packen und aus dem Dreck ziehen. Man möchte hingehen, das Mädchen schütteln und ihr sagen, dass es durchaus Sinn machen kann, mal auf die innere Stimme zu hören und dass Karriere und Twitter nicht alles im Leben einer jungen Frau sein sollten.
Die Autorin ist übrigens im „echten“ Leben eine gefragte Social-Media-Redakteurin. Wen wundert’s?