Möbest, Korthues: Als Mama nur noch traurig war

Anja Mörbes wagt sich hier an ein Thema, das nur sehr schwer zu erklären gelingt und an das sich auch nur wenige Kinderbuchautoren wagen: die psychische Erkrankung eines Elternteils. Jan ist fünf Jahre alt und manchmal kommen die Grummelgrame. Nicht zu ihm, sondern zu seiner Mama. Er merkt es jedesmal daran, dass sie ihm nicht zuhört, wenn er ihr etwas gaaaaaanz Wichtiges erzählen möchte. „“… und dann hat Lena gesagt, dass ich ihr allerbester Freund bin“ – Aber Mama reagiert nicht, sie starrt auf den Boden. Aber da ist nichts Interessantes, das hat Jan schön überprüft. Da ist gar nichts zu sehen.“
Manchmal geht sie auch einfach aus dem Zimmer, statt ihm abends etwas vorzulesen und mit ihm zu schmusen. Ist zu müde, sagt sie. Sie findet es zu laut, wenn er mit seiner Freundin spielt und weint scheinbar ohne Grund, sagt, dass er und Papa gar nichts verstehen. Und das stimmt, Jan versteht das wirklich nicht. Aber er gibt sich alle Mühe. Und die Schuld. Auch Papa wird immer stiller und lacht kaum noch. Doch dann überredet Papa die Mama zum Ritter zu gehen. „Jan sagt nichts. Aber er ist froh, dass es einen Ritter gibt, der Mama helfen kann.“ Dass der nicht in einer Burg wohnt und auch gar nicht so kräftig scheint, um mit den Grummelgramen fertigzuwerden, verwundert Jan zunächst. Aber dann erklärt Herr Ritter ihm, dass er ein „Seelenklempner“ ist und seiner Mama helfen wird, das Loch in ihrer Seele, in dem die Grummelgrame wohnen zu reparieren und sie so zu vertreiben …

Eine psychische Erkrankung hat immer auch eine Auswirkung auf das Umfeld. Und am schlimmsten ist es, wenn Kinder noch klein sind und nur sehr schwer verstehen können, warum sich Mama oder Papa so seltsam verhalten. Sie beziehen es auf sich und es entsteht, zusätzlich zur sowieso schon schwierigen Situation ein enormer Druck. Umso wichtiger ist es, dem Kind kindgerecht zu erklären, was vor sich geht und dass es nichts, absolut nichts dafür kann. Und leider auch nichts dagegen. Denn helfen muss sich der betroffene Elternteil selbst. Und zwar, indem er sich Hilfe holt. So wie die Mama von Jan.
4.5 Stars (4,5 / 5)

Foccroulle/Masson: Opas geheimnisvoller Garten

Lina muss in den Ferien zu Opa aufs Land und etwas noch langweiligeres kann sie sich überhaupt nicht vorstellen. Sie beneidet ihre Freundin, die jetzt am Strand liegen darf. Und als Opa sie bittet, im Garten zu helfen, ist sie zunächst nicht sonderlich begeistert. Zwiebeln brennen in den Augen, Kohl stinkt. Ätzend findet sie das. Und den Dreck unter den Fingernägeln, den kriegt man auch nicht mehr raus. Aber dann beginnt das Gemüse, mit ihr zu sprechen und der kleinen Lina tun sich völlig neue Welten auf: vom Hegen und vom Pflegen, vom Wachsen und Vergehen…

Da sieht man mal wieder, was man von Opas alles lernen kann.
Dieses Bilderbuch ist ausnehmend schön. Das Zusammenspiel zwischen Zeichner und Texter ist optimal, kindgerecht und auch für Erwachsene schön anzusehen. Der prahlende, dicke Kürbis, der kluge Lauch und die spendable Bohne – würde das Verspeisen derselben nicht ebenfalls ausführlich thematisiert, würde man in den nächsten Tagen wohl kein Gemüse mehr herunterbringen. Aber so schmeckt es gleich noch viel besser!
4.0 Stars (4,0 / 5)

Sonne im Bauch

“Eine Geschichte über die Liebe“ ist der Untertitel dieses Bilderbuchs, in dem sich das kleine Eichhörnchenjunge Toni fragt, was das eigentlich ist, die Liebe. Und weil die Eltern wieder einmal mit den kleinen Geschwistern beschäftigt sind, macht sich Toni auf den Weg zu Sokrates, der weisen alten Eule. Die entdeckt in ihm den Philosophen-Nachwuchs und nimmt sich Zeit für die Beantwortung der Frage. Langsam tasten sich die beiden an die Liebe heran. Wie fühlt sie sich an, wann taucht dieses Gefühl nach Sonne im Bauch auf, welche verschiedenen Formen der Liebe gibt es, wie zeigt man Liebe am besten? Toni lernt, wie wichtig es ist, so geliebt zu werden, wie man ist.

Die Aufmachung und Gestaltung des Buches zeugt auch von Liebe und zwar von einer Liebe zu Bilderbüchern und davon, dass die Macher wissen, welche (Bild-)Sprache Kinder brauchen. Etwas irritierend ist das Rezept hinten im Buch, den Kindern erschließt sich der Zusammenhang nicht recht – aber ein gutes Sonnenpfannkuchenrezept kann man ja immer brauchen.
3.5 Stars (3,5 / 5)

Holzwarth/Jeschke: Guck mal, wie die gucken!

Sie popeln in der Nase, verhalten sich teilweise ziemlich affig, schmusen mit ihren Kleinen, scheinen irgendwie zu grinsen, machen Faxen, bekommen, wenn sie älter werden, eine Glatze – und eigentlich ist es ganz gut, dass sie hinter Gittern sind. Finden die Zootiere, wenn es um die Menschen geht. Dieses Bilderbuch lebt, wie es sich für ein Bilderbuch gehört, von seinen Zeichnungen. Leider ist das in letzter Zeit nicht mehr wirklich selbstverständlich. Immer öfter lassen sich Bilderbuchmacher dazu hinreißen, politisch und auch sonstwie korrekt zu agieren, versteckte Botschaften einzuarbeiten und den Moralapostel zu spielen. Nicht so hier. Dieses Bilderbuch ist erfrischend „old style“ und erfüllt damit optimal seinen Zweck. Es soll unterhalten und zum Nachdenken anregen – aber kindgerecht.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Paolo Fritz: Ein Weiser, ein Kaiser und viel Reis

Es ist eine alte Legende und mal spielt sie in Indien, mal im arabischen Raum, mal im asiatischen – die ältesten Belege für das Schachspiel finden sich im Persien des 6. Jahrhunderts. Paolo Fritz hat ihr die chinesische Kulisse gegeben und mit seinen ausdrucksstarken Bildern einen wunderbar zu betrachtenden roten Faden gezogen.

Den Bauern geht es schlecht. Der Kaiser nimmt ihnen zu viel von dem Reis ab, den sie erwirtschaften, sie bekommen ihre Familien nicht mehr satt. Beschweren sie sich, reagiert er grausam. Also holen sie sich Rat bei einem Weisen und der möchte dem Kaiser mithilfe eines Spiels klar machen, wie wichtig die Bauern für einen Herrscher sein können: Er erfindet Schach.
Der Kaiser ist begeistert, nicht zuletzt deswegen, weil der Weise ihn immer gewinnen lässt. Dann aber wettet er mit ihm und verlangt, sollte er gewinnen, für jedes Feld die doppelte Menge an Reis. Der Kaiser ist fast schon beleidigt aufgrund des vermeintlich geringen Wetteinsatzes, lässt sich aber auf das Spiel ein. Als ihm sein Finanzminister später klarmacht, welche Menge Reis er verloren hat, geht ihm ein Licht auf und er lässt sich notgedrungen auf einen Deal mit dem Weisen ein.

Das wohl Schönste an diesem Buch ist, wenn die Kinder anfangen, nachzurechnen. Und auch man selbst kaum weiter als sie kommt, denn spätestens ab der dritten Reihe braucht man einen Taschenrechner und am Schluss kommen unter dem Strich tatsächlich die 18 Trillionen Reiskörner heraus. Ein Buch, das zum Nachdenken und zum Betrachten anregt. Und das den einen oder anderen neugierig macht auf das Spiel der Könige.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Petz/Jackowski: Der Dachs hat heute schlechte Laune – jetzt auch auf arabisch

Neu ist es eigentlich nicht, dieses Bilderbuch. Aber neu aufgelegt. Wobei aufgelegt auch die Hauptperson ist. Schlecht aufgelegt nämlich. Sozusagen richtig schlecht gelaunt. Und diese miese Laune gibt der kleine Dachs systematisch an alle weiter, die ihm begegnen. Egal ob Waschbär, Hirsch oder Eichhörnchen, sie werden angesteckt, bis zum Schluss der ganze Wald schlecht gelaunt ist. Ausgenommen die Amsel, die dem Dachs hilft, sein egoistisches Verhalten wieder gutzumachen und spielerisch die schlechte Laune aller zu verscheuchen.

Moritz Petz und Amélie Jackowski ist an sich schon ein Bilderbuch gelungen, das mit einfachen Mitteln zeigt, wie wichtig es ist, sich auch einmal zurückzunehmen. Nicht nur auf die eigenen Bedürfnisse zu hören, sondern sich auch Gedanken über die der anderen zu machen. Extrem goldig dabei der von mieser Laune gebeutelte Dachs, den die Französin ganz herrlich mit ihrem Pinsel einfängt. Aber besonders gut gelungen ist die Idee, genau dieses Bilderbuch ins Arabische zu übersetzen. Denn auch, wenn dieser Trend langsam zunimmt, kann man doch sagen, dass die Verlage, die sich beteiligen, hier wirklich als Vorreiter und Weiterdenker bezeichnet werden können.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Hendrich/Bacher: Yunis und Aziza

Für viele Erwachsenen ist das Flüchtlingsthema ein rein politisches. Bei unseren Kindern sieht es da oft ganz anders aus: Sie sind in Kindergarten oder Schule direkt konfrontiert mit den Themen Flucht und Trauma und brauchen die Hilfe Erwachsener, um Erlebnisse richtig einordnen zu können. Eine gute Gesprächsbasis bietet da ein sogenanntes Kinderfachbuch mit dem Titel „Yunis und Aziza“. Die beiden neuen Kindergartenkinder haben Krieg und Flucht hinter sich, haben Bomben erlebt, Zerstörung, Gewalt und Trauer. Sie haben ihre Heimat verloren, sind gerade mal erst drei Monate in Deutschland. Die Erinnerungen an das Erlebte sind noch ganz frisch, all das Neue um sie herum fremd. Und da das Spiel an sich nicht nur Vorbereitung auf das Leben ist, sondern auch der Verarbeitung dient, ist ihre Art zu spielen anders als die der anderen Kinder. Genau wie ihre Reaktion auf einen Hubschrauber. Doch gemeinsam mit den Erzieherinnen und den anderen Kindern lernen die beiden, die Seelen-Monster in Schach zu halten.

Es geht unter die Haut, dieses Buch. Die Illustrationen des Sozialpädagogen Ulrich Koprek lassen der Phantasie gerade so viel Raum, dass man sie noch bedenkenlos mit Kindern betrachten kann. Auch der Text ist kindgerecht, kann ab einem Alter von vier Jahren, eher aufwärts, gut eingesetzt werden. Allerdings sicher nicht bei gerade mal dreijährigen Kindern, wie empfohlen.
Besonders sinnvoll sind aber die Fragen, die immer wieder integriert sind. Die Fragen danach, was Yunis und Aziza fühlen, was sie wohl nachspielen und ob man auch schon einmal Angst hatte, helfen dabei, Zusammenhänge zu verstehen.

In einem zweiten Teil bekommen Eltern und Erzieher Informationen zu Flucht und Trauma und vor allem dazu, wie man zum einen ein traumatisiertes Kind unterstützt und zum anderen wie Kinder am besten mit traumatisierten Spielkameraden umgehen sollten.

Andrea Hendrich und Monika Bacher sind Diplom-Pädagoginnen und haben beide Erfahrung in Elternberatung. Ihr gemeinsames Werk passt gut zu anderen Kinderbüchern zu schwierigen Themen, die im Mabuse-Verlag erschienen sind. Aber gerade bei diesem hier merkt man den verpackten pädagogischen Ansatz teilweise zu stark. Möglicherweise wäre es daher besser, die Pädagogen den Input liefern und andere texten zu lassen.
2.0 Stars (2,0 / 5)

Andrej Usatschow und Anke Faust: Bin ich anders?

Ein Schnabeltier, das in Europa lebt, das hat es nicht einfach. Es sieht aus wie ein Maulwurf, hat einen Entenschnabel und legt Eier. Die anderen Tiere wollen nichts mit ihm zu tun haben, machen sich lustig über sein Aussehen und versuchen es gar soweit zu bringen, dass es sich etwas antut. Egal, was das Schnabeltier probiert, es ist und bleibt unbeliebt und ausgestoßen. Zuerst vergräbt es sich, taucht nur nachts im Fluss nach Würmern und Krebsen. Doch dann beschließt es irgendwann verzweifelt, vor der Situation davonzulaufen – bis ans Ende der Welt. Doch als es da ankommt, erwarten das kleine Schnabeltier eine ganze Menge Überraschungen.

Mal abgesehen davon, dass die Übersetzerin Simone Peil einen massiven Grammatikfehler eingebaut hat, der auch dem Lektorat entgangen zu sein scheint und mal abgesehen davon, dass so etwas bei einem Bilderbuch eigentlich nicht passieren sollte: Das Buch ist klasse. ‚Bin ich anders?‘ zeigt sehr schön, wie einsam und verzweifelt sich Menschen fühlen, die von anderen gemobbt werden, die keine Freunde finden und niemanden haben, dem sie sich zugehörig fühlen können. Der in Russland ziemlich bekannte Autor Andrej Usatschow hat die Angst und das Misstrauen des kleinen Tieres bei seiner Ankunft in Australien mit wenigen Worten eingefangen, perfekt unterstrichen durch die raffinierten Illustrationen von Anke Faust. Das Wort Toleranz bekommt hier eine ganz neue Bedeutung.

‚Bin ich anders?‘ ist ein Bilderbuch. Allerdings eines, das nicht nur die eigentliche Zielgruppe anspricht, sondern sich an jede Altersgruppe wendet. Es eignet sich als optimale Grundlage für Gespräche zum Thema Mobbing. Im Unterricht, aber sicher auch schon im Kindergarten.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Noelia Blanco/Valeria Docampo: Im Garten der Pusteblume

„Im Land der Windmühlen lebten Männer, Frauen und Kinder, genau wie sonst auch überall. Bis eines Tages die ‚Perfekten Maschinen‘ kamen.“ So beginnt ein Bilderbuch, das aus der Masse heraussticht. Es geht um einen Ort, an dem kein Wunsch offen bleibt, alles perfekt ist – vermeintlich perfekt. Denn die Bewohner verlieren den Blick fürs Wesentliche. Alle bis auf Anna, die Schneiderin, die sich so sehr wünscht, etwas ganz Besonderes zu nähen. Meeressaum, Sternspitzen oder Wolkenumhänge. Eines Nachts bemerkt sie, dass sie nicht die Einzige ist, der noch Herzenswünsche und Hoffnungen geblieben sind und bei der Suche nach einer Lösung für den Riesen, der gern fliegen möchte, erinnert sie sich an das Pusteblumenland.

Die Bilder dieses außergewöhnlichen Buches, gezeichnet von Valeria Docampo, sind wunderschön, zart, einfallsreich, anders als andere. Leider kann die Geschichte nicht ganz mithalten. Sie ist nicht hundertprozentig kindgerecht formuliert, es fehlt ihr genau die Leichtigkeit, die die Bilder ausströmen. Möglicherweise liegt das aber auch an der Übersetzung. Schade, denn sonst wäre dieses geradezu poetische Bilderbuch regelrecht preisverdächtig.
3.5 Stars (3,5 / 5)

Grosser/Hebrock: Opas Engel

Bei Opa Rudi ist es ruhig geworden, seitdem seine geliebte Frau Frieda gestorben ist. Ein Engel ist sie jetzt, da ist sich der alte Mann sicher. Kinder und Enkel sind weit weg, sein Weihnachten wird eher einsam werden. Denkt er. Denn plötzlich fällt ein Engel vom Himmel. Erst hält Rudi ihn für eine verunglückte Weihnachtsgans, aber schnell wird ihm klar, wen er da vor sich hat. Die beiden verbringen eine ganz wunderbare Vorweihnachtszeit zusammen – beziehungsweise auch mit Ruth, der netten Nachbarin, die Rudi sehr gerne mag. Und die natürlich nicht erfahren soll, mit welchem himmlischen Weihnachtsboten sie hier die Zeit verbringt…

„Opas Engel“ ist ein nach Coppenrath-Art aufgemachtes edles Bilderbuch – und genau das Richtige für die Tage rund um Weihnachten. Zum Runterkommen. Zum Nachdenken. Als Hoffnungsschimmer.