Nicola Hotel: Jetzt oder Nils

Wer mal wieder so richtig herzhaft über eine gute Story und echten Sprachwitz lachen möchte, der muss Nikola Hotels wirklich gelungenen Roman mit dem witzigen Titel „Jetzt oder Nils“ lesen.

Dabei lädt einen der Anfang des Buches fast dazu ein, es gleich wieder wegzulegen. „Zu kitschig“, denkt man. „Zu weit hergeholt“ und „Schon wieder einer DIESER Romane“. Wenn man dann aber noch ein paar Seiten dabeibleibt, dann wird man richtig belohnt. Auch, wenn die Geschichte selbst nicht die Prickelnste ist (kleine Blumenverkäuferin trifft mächtigen Mann und selbstverständlich und so weiter), Frau Hotel schafft es, sie zu der Geschichte zu machen, die man nicht mehr aus der Hand legen möchte.

Ein Buch für jede Gelegenheit und eines zum Verschenken. Für alle Frauen, die gern lachen und die sich dabei auch selbst nicht zu ernst nehmen. Und eines, das wieder einmal den guten Riecher des Aufbau-Verlages unterstreicht.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Stephania Jana/Ursula Kollritsch: Das Jahr des Rehs

Viele Jahre sind ins Land gegangen seit Bella und Bine das letzte Mal etwas voneinander hörten. Die früher unzertrennlichen Freundinnen hatten sich aufgrund unterschiedlicher Lebensentwürfe komplett aus den Augen verloren. Bella, freie Journalistin, unglücklich liiert mit einem Russen mit gewaltiger Bindungsangst, lebt in der tobenden Hauptstadt – gemeinsam mit ihrem Sohn. Bine dagegen ist Architektin und hat mit ihrem Mann und den gemeinsamen Kindern die Ruhe des hessischen Heimatortes Engbach (!) vorgezogen – mit einem Plastikreh im Garten. In Wahrheit Zeichen Ihrer Auflehnung und nicht ihrer Anpassung. In dieser Lebensumbruchphase kommen sich die beiden Frauen – angeregt durch ein paar alte Briefe auf dem Dachboden – wieder näher. Und merken, dass sie neben all den Differenzen auch einen großen gemeinsamen Nenner haben. Die Fragen „Was machst Du und mit wem?‘ stehen permanent im Raum. In ihrem nun folgenden E-Mail-Verkehr sind sie von Anfang schonungslos ehrlich mit sich und der anderen. Und erleben ein Jahr des Umbruchs auf diese Weise gemeinsam.

Die Freundinnen hinter den beiden Freundinnen sind Ursula Kollritsch und Stephania Jana. „Das Schreiben war wie eine heimliche Affäre. So konnten wir das Leben einer anderen Frau leben, gestalten, in ihrer Rolle lachen, weinen, lästern und lieben“, so die Autorinnen. Ihr Projekt war genau auf ein Jahr angelegt, die E-Mails der Frauen, in deren Rollen sie schlüpften, wurden wirklich geschrieben, auf diese Weise haben sie sich gegenseitig überrascht und obwohl das nur das Grundgerüst werden sollte, wurde genau dieser Briefverkehr das eigentliche Buch. Auch, wenn es etwas länger als ein Jahr dauerte.

Man merkt diesem Roman an, dass Profis dahinterstecken. Aber man merkt auch, dass sich gerade diese wohl schwertun mit dem Kürzen. Denn das hätte der Geschichte mehr Pfiff gegeben. Im Gegensatz zu den zwei etwas seichten Traummännern von Frauen in den Vierzigern, die sich noch mal sexuell und auf jede andre Art entfalten und bestätigt sehen wollen, bevor sie verblühen. Man könnte fast ein bisschen Mitleid haben mit Bella und Bine.
2.8 Stars (2,8 / 5)

Nathan Filer: Nachruf auf den Mond

The Evening Standard spricht von einem Meisterwerk, soweit würde man hier vielleicht nicht gehen, aber beeindrucken ist das Werk auf seine Weise. Das Cover allerdings führt einen ein bisschen auf die falsche Fährte, denn im Gegensatz zum miesen Karma ist hier nichts lustig. Nicht mal annähernd. Eher dramatisch. Wie Matthew Homes, Patient der Psychiatrie in Bristol erzählt aus seinem Leben, mit und ohne seinen behinderten Bruder Simon. Matthew gibt sich die Schuld an dessen Tod und kann sein Fehlen nicht verkraften. Die Folge: Wenn er seine Medikamente absetzt, dann hört er ihn und sieht sein fröhliches Lachen. Um endlich etwas für Simon tun zu können, startet Matthew ein großes Projekt. Hauptdarsteller: Ameisen.

„Dreh- und Angelpunkt des Romans ist, dass Matt seine Geschichte quasi in Echtzeit zu Papier bringt, dass dieser Prozess eine gewisse Zeit braucht und an verschiedenen Orten stattfindet, und dass sein Leben während des Schreibens weitergeht“, so der Autor in einem Interview. Er selbst hat während des Schreibens das Gefühl gehabt, erst dann Matthew überhaupt erst kennenzulernen und genauso geht es den Lesern ja auch.

Aber dann, wenn sie seinen Plan verstehen, dann verstehen sie auch ihn.
3.8 Stars (3,8 / 5)

Hannah Kent: Das Seelenhaus

Das raue Island im Jahre 1828. Agnes ist Magd. Die verschlossene, aber sehr selbstbewusste Frau wird des Mordes verurteilt. Der Landrat will ein Exempel statuieren. Die Zeit bis zur Hinrichtung soll sie auf einem Hof verbringen, was die Bauersleut nicht sonderlich begeistert. Wieder arbeitet die Magd hart, versucht zu vergessen, dass der Mann, den sie über alles liebte, nicht nur tot ist, sondern auch noch sie für seinen Tod sterben soll. Schließlich vertraut sie sich einem Vikar an und so langsam kommt ans Licht, dass die Wahrheit vielleicht gar nicht die Wahrheit ist.

Es ist das Debüt der Autorin und es ist außerordentlich gut gelungen. Die bewegende Geschichte, bis ins kleinste Detail recherchiert, basiert auf einer wahren Begebenheit, die die Autorin während eines Schüleraustauschs in Island zu Ohren kam und sie buchstäblich nicht mehr losließ und so weltweit mal schnell die Bestsellerlisten eroberte.
Das Buch ist schon gut, die, leider gekürzte Lesung noch viel besser. Allein das Timbre der Stimme von Tobias Kluckert – wenn man die Augen zumacht, glaubt man Joaquin Phoenix spreche mit einem – gibt schon die entscheidende Würze. Besonders gut hier aber auch Vera Teltz.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Daniel Glattauer: Die Wunderübung

Wenn man einmal beim Paartherapeuten landet, ist in der Regel schon einiges im Argen. So wie bei Joana und Valentin, deren Ehe an einem absoluten Tiefpunkt angelangt ist und die sich nur noch in Form von extrem bissigen und sarkastischen Kommentaren begegnen. Der Therapeut tut sein Bestes, um die beiden Streithähne in den Griff zu bekommen. Doch keine Chance. Valentin und Joana sind zu sehr eingespielt, zu intelligent, um auf die psychologischen Tricks hereinzufallen. Doch dann wandelt sich das Blatt und der Therapeut zeigt sich von einer ganz anderen Seite. Verletzlich, angegriffen, negativ – die beiden bohren ein bisschen nach und finden heraus, dass seine Frau ihn verlassen hat. Just in der Pause der Therapie. Und das, obwohl er, so die Worte der Gegangenen, nichts falsch gemacht hat. Sich immer wie ein perfekter Mann und Partner verhalten hat. Oder besser gesagt, nicht obwohl, sondern gerade deswegen. Was soll Valentin daraus für Schlüsse ziehen und wie geht Joana mit der Situation um?

In diesem Stück von Daniel Glattauer kommen alle Höhen und Tiefen zum Tragen. Eigentlich als Komödie bezeichnet ist es eher eine Form humoristischer Tragödie. Im Hörspiel unter anderem grandios gesprochen von Andrea Sawatzki und Christian Berkel, auch im echten Leben ein Paar und vielleicht gerade deshalb so geübt darin, sich kräftig anzugiften?
Ein Werk, das dem Autor wieder einmal voll und ganz gerecht wird. Keiner kann die Stimmungen der Menschen besser und wirklichkeitsgetreuer zeichnen als Daniel Glattauer. Keiner schafft es besser, seinen Lesern und Hörern ein Dauergrinsen ins Gesicht zu zaubern. Ein echter Meister seiner Kunst – das hat der Österreicher hier wieder einmal bewiesen.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Guillaume Musso: Lass mich niemals gehen

Ethan hat keinen Bock darauf, sein Leben als Arbeiter zu verbringen, nur weil das Schicksal ihm das vorzugeben scheint. Bei einem Ausflug nach New York, den er mit seiner Verlobten und seinem besten Freund Jimmy unternimmt, taucht er von einem Moment auf den anderen unter und beginnt ein neues Leben. Ziemlich erfolgreich. 15 Jahre später hat er in Manhattan eine steile Karriere als Psychologe hingelegt, veröffentlicht zahlreiche Bücher und wird als Lebensberater gebucht. Dass die Frauen dem attraktiven Mitdreißiger zu Füßen liegen, gefällt ihm zwar, aber seine große Liebe Céline, die er auf seinem Weg nach oben getroffen und wieder verlassen hat, kann er nicht vergessen. Als Céline ihn an einem schicksalsträchtigen Tag zu ihrer Hochzeit einlädt und unübersehbar hofft, dass er diese verhindert, versaut es Ethan. Doch er bekommt eine neue Chance. Und nicht nur eine. Er darf den Tag nochmal und nochmal erleben, trifft dabei auf Schicksal und Karma.

Das Muster ist bei Guillaume Musso oft das Gleiche. Der Franzose liebt es, starre Zeitschienen aufzulösen und seine treuen Leser damit immer wieder aufs Neue zu überraschen. Das ist ihm auch diesmal ziemlich gut gelungen. Das Buch ist spannend bis zur letzten Seite. Was nicht zuletzt mit der Rolle eines jungen Mädchens zu tun hat und damit, dass es fast nicht möglich ist, sein Schicksal auszutricksen. Aber eben nur fast nicht möglich.

Wer Lust hat, das Original zu lesen: Es ist 2008 unter dem Titel „Je reviens te chercher“ erschienen.
4.8 Stars (4,8 / 5)

Selma Lagerlöf: Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden

„Es war einmal ein Junge. Er war vielleicht vierzehn Jahre alt, lang und schlacksig und flachshaarig. Viel taugte er nicht: Am liebsten schlief oder aß er, am zweitliebsten trieb er Unfug.“ So beginnt eines der berühmtesten Kinderbücher der Welt, neu herausgeben von „Die Andere Bibliothek“, einem Garant für schöne und lesenswerte Bücher. Das Besondere am Besonderen hier: Denn zum ersten Mal liegt dieser Weltbestsellererfolg auf Deutsch in der vollständigen Übertragung der Erstausgabe von 1906/1907 vor. Wobei sich dem geneigten Leser ziemlich schnell erschließt, dass in den bisherigen Übersetzungen teilweise, so der Verlag, „skandalös“ gekürzt wurde.

Jetzt also kann er reisen mit den Wildgänsen, der kleine Nils Holgersson, geschaffen von der Literaturpreisträgerin Selma Lagerlöf, kann seine Abenteuer als Däumling erleben und seine wunderbare und spannende Reise durch Schweden und zum eigenen Ich.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Augusto Cury: Der Traumhändler

Da kommt einer und verkündet Botschaften. Und kaum einer nimmt ihn richtig ernst. Das kommt uns irgendwie bekannt vor. „Die Gedanken, mentalen Bilder und Fantasien, die die Kreativität beflügeln können, stutzen auch deren Flügel und blockieren, wenn sie überhand nehmen, Intuition und Einfallsreichtum“ – so seine Botschaft. Dieser Mann im Hier und Jetzt, der die Kunst der Gedankenlosigkeit im positiven Sinne beherrscht, streift durch die Straßen einer Großstadt und verkauft Träume an Menschen, die es schon lange nicht mehr gewagt haben, von irgendetwas zu träumen. Ein Meister? Ein Weiser? Oder doch ein Psychopath und Betrüger?

Auf eine sehr pathetische und teilweise sehr stark christlich angehauchte Weise lässt der Autor, ein brasilianischer Arzt, Psychiater und Psychotherapeut seine Figur entstehen.

Seine Bücher haben sich in Brasilien über 15 Millionen Mal verkauft, wobei „Der Traumhändler“ sein erstes belletristisches Werk ist. Und das erste, das in Deutschland erschien.
3.2 Stars (3,2 / 5)

Ivonne Keller: Hirngespenster

„In dem Moment, als ich mit dem Kopf auf den Beton aufschlug, bereute ich, Anna niemals gesagt zu haben, wie sehr ich sie bewunderte.“ Doch dafür war es nun zu spät. Sylvies Schwester Anna scheint wie vom Erdboden verschluckt, sie kommt nie zu Besuch, kann möglicherweise nicht ertragen, dass Silvie gefangen ist in ihrem eigenen Körper, sich nur schwer verständlich machen kann und darunter leidet. Vor allem, weil sie ausgerechnet bei der Frau lebt, die ihr Mann schon immer geliebt hat. Sabrina kümmert sich aufopferungsvoll. Um Silvie, ihre Söhne und um Johannes.

Dieser Roman wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, jede mit ihrem eigenen Blickwinkel. Es rollt auf, wie die Dinge zusammenhängen, was das Schicksal geplant hat. Besonders spannend, vor allem beim zweiten Lesen, ist die Sicht Silvies. Und das Ende, das einen wirklich umhaut. Ein Buch, das nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Und ein unglaubliches Debüt. Ivonne Kellers zweites Buch, Lügentanz, hat seine ebook-Premiere am 15.12.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Riikka Pulkkinen: Die Ruhelose

“Die Ruhelose“ ist Riikka Pulkkinens Debütroman. Die Finnin beschreibt das ganz ähnliche und sich doch enorm unterscheidende Schicksal zweier miteinander verwandter Frauen: Anja, deren Mann schwer an Alzheimer erkrankt ist und die mit sich hadert, ob und wie sie ein gegebenes Versprechen einhalten kann und ihre Nichte Marie, die eine äußerst heikle Beziehung zu einem jungen Lehrer eingegangen ist und sich dabei leidenschaftlich in eine Liebe stürzt, die aussichtslos ist. Zwei Frauen, die vor der entscheidenden Frage ihres Lebens stehen: Wie weit darf und will und soll und muss man gehen für die Liebe?

Die Universitätsprofessorin Anja scheint zunächst an dieser Frage zu verzweifeln und findet doch, genau wie Marie ihren ganz eigenen Weg, damit umzugehen.

Riikka Pulkkinen, Jahrgang 1980, ist eine der erfolgreichsten jungen Autorinnen Finnlands. Doch auch, wenn ihr Debüt dort bereits etliche Preise einheimsen konnte, so ganz überzeugend ist es doch nicht. Ob das an der deutschen Übersetzung liegt? Denn das Buch hat etwas, keinen Zweifel, die Thematik ist interessant und entspricht komplett dem Zeitgeist unserer Gesellschaft und doch fehlt etwas. Das entscheidende Etwas, das den Leser so richtig in seinen Bann zieht.
3.4 Stars (3,4 / 5)