Jutta Treiber/Maria Blazejovsky: Die Blumen der Engel

Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn das eigene Kind vor einem stirbt. Das Leid, das diese Eltern durchmachen, ist mit nichts zu vergleichen. Doch auch für die Geschwister, die zurückbleiben ist eine solche Situation unglaublich schwer. Und manchmal auch mit heftigen Schuldgefühlen verbunden. Jutta Treiber und Maria Blazejovsky haben sich mutig eines Themas angenommen, das normalerweise nicht zu denjenigen eines bunten Bilderbuches gehört….

Die Geschichte der kleinen Sonja, die durch einen Autounfall ihre jüngere Schwester Mara verloren hat und die sich in ihrer Trauer alleine gelassen fühlt, geht unglaublich zu Herzen. Der schreckliche, alles verändernde Anruf, der Schock, der die Familienmitglieder erfasst, die Gedanken, die Sonja durch den Kopf gehen, das verlassene Gefühl, die Erinnerungen, die unfassbare Traurigkeit und das ganze Zeremoniell, mit dem sie sich überfordert fühlt – man kann gar nicht anders, man leidet mit. Und bekommt sofort das unbändige Bedürfnis, die eigenen Kinder ganz fest in den Arm zu nehmen, zu beschützen und nie mehr loszulassen.

Es hat aber auch etwas Tröstliches, dieses Buch und es ist sicher wunderbar geeignet für Familien, die sich in einer solchen oder ähnlichen Situation befinden. Und wahrscheinlich auch für diejenigen Kinder, die sich mit dem Thema entweder nur am Rande oder noch nie befasst haben, befassen mussten. Dann allerdings muss man sehr behutsam vorgehen, um nicht unnötig Ängste zu wecken. Und zwar die Ängste, die einen selbst befallen, wenn man sich mit dem Thema ‚Tod eines Kindes‘ auseinandersetzt und die man selbst kaum in den Griff bekommt – sie können bei Kindern ausufern und müssen gut eingedämmt, bewacht und bearbeitet werden….
4.8 Stars (4,8 / 5)

Daniel Glattauer: Gut gegen Nordwind

“Gut gegen Nordwind“ – was für ein langweiliger Titel. Das ist wohl der erste Gedanke, der einem durch den Kopf fliegt. Doch das Buch bzw. Hörbuch von Daniel Glattauer ist alles andere als langweilig….

Sehnsüchtig auf ein Mail desjenigen Menschen zu warten, der gerade im Begriff ist, sich von einem zu trennen und dem man bis gerade jetzt Zeit gegeben hat, es sich anders zu überlegen ist schon schlimm genug. Das Bauchgrimmen, das einen überfällt, wenn die Mailbox piepsend frisch eingetroffene Post ankündigt, ist fast noch schlimmer. Aber dann eine Sammelmail vorzufinden von jemandem, den man nicht mal im Entferntesten kennt, das ist das Allerschlimmste. Doch der banale Weihnachtsglückwunsch von Emmi Rothner verändert Leos Leben….

Im Laufe von Monaten entwickelt sich ein E-Mail-Kontakt zwischen der quirligen Emma und dem zurückhaltenden Sprachpsychologen Leo Leike. Ein Dialog gespickt mit Wortwitz, mit Ein- und Zweideutigkeiten, voller Hoffnung, voller Träume – beide machen sich ein Bild vom anderen, keiner ist wirklich bereit, die Realität an sich herankommen zu lassen.

Es gibt sogar Rezensenten, die das Werk des österreichischen Schriftstellers und Kolumnisten Glattauer mit Goethe und Dumas vergleichen. Das, finde ich, geht vielleicht ein bisschen weit, aber es ist – definitiv – ein außergewöhnliches Werk. Ein Briefroman der heutigen Zeit. Ein E-Mail-Roman.

Dieser E-Mail-Kontakt zwischen Emmi und Leo geht unter die Haut. Man könnte sie beneiden, die beiden. Emmi, die im „normalen“ Leben verheiratet ist und zwei Kinder hat. Emmi, die eine so genannte „harmonische“ Ehe führt und die ganz tief in ihrem Inneren nach Aufregendem, Anregendem und aufregend anregendem Erotischen sucht. Dinge also, die es in einer „harmonischen“ Ehe entweder schon lange nicht mehr gibt oder vielleicht sogar nie gegeben hat. Diese Frau möchte nicht mehr nur Emma, sie will wieder Emmi sein. Begehrenswert, geheimnisvoll, jung und ohne Anhang. Frei das zu tun, was sie in dem Moment tun will. Und auf der anderen Seite Leo. Cool nach außen, manchmal sogar abweisend, verletzt tief drinnen. Der typische „raue Schale, weicher Kern“ – Mann. Die Art, wie die beiden sich schreiben, wie es immer intimer wird, wie Gefühle teilweise mit nur ein, zwei Wörtern zur Sprache gebracht werden und wie man genau diese ein, zwei Wörter auch komplett falsch interpretieren kann… die Faszination und die Problematik der heutigen Kontaktformen wird von Glattauer wunderbar dargestellt und von Andrea Sawatzki und Christian Berkel optimal umgesetzt. Eine E-Mail ist schnell geschrieben, manchmal zu schnell. Es kann wie ein Gespräch sein – ohne Mimik, ohne Gestik und immer mit der Gefahr aufgrund dieses Mangels falsch verstanden zu werden. Aber gerade dieses Falsch-Verstehen, dieses zu schnelle Abschicken, diese Ehrlichkeit und Verwundbarkeit, die da dahinter steckt, fasziniert.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Ulrich Wickert: Gauner muss man Gauner nennen

Der wohl beliebteste und auch bekannteste Journalist Deutschlands sinniert vier CDs lang über die Sehnsucht nach verlässlichen Werten. Über Zivilcourage, über die Deutschen an sich und über ihr Verhältnis zu ihrer Vergangenheit – Ulrich Wickert fordert auch diesmal wieder den realistischen Umgang mit der Ehrlichkeit.

„Alt ist nicht altmodisch“, „Lob der Höflichkeit“ und „Die Macht des Einzelnen“, das sind nur wenige Überschriften der Themenkapitel, mit denen sich der Kommentator beschäftigt. Ulrich Wickert lässt sich in gewohnt zynischer Manier über Dinge aus, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, es aber leider nach wie vor nicht sind. Es macht Spaß, ihm zuzuhören. Er bringt genau das auf den Punkt, was man sich schon lange mal gedacht hat, aber entweder nie aussprach oder auch nie wusste, dass man es genau so gerne mal aussprechen wollen würde. Und ganz egal, wo er anfängt zu denken, er landet immer wieder bei einem Fazit: Gauner muss man auch Gauner nennen dürfen!

Der Mittsechziger Wickert bringt seine Lebens- und Welterfahrung komplett ein und zwar mit seiner bewundernswert rotzigen Art, bei der die kompliziertesten Zusammenhänge ganz einfach erscheinen. So ist es, genau so – denkt man beim Zuhören. Und man fragt sich, warum das nicht jeder erkennt, vor allem die nicht, die in Deutschland immer noch einen „Sanierungsfall“ sehen.
3.1 Stars (3,1 / 5)

Jörg Fauser: Der Schneemann

Dem halbseidenen Kleinkriminellen Siegfried Blum fallen mehr oder weniger durch Zufall fünf Pfund Kokain in die Hände. Er versucht es loszuwerden. Anfangs zu einem guten Preis, irgendwann überhaupt. Doch der „Schneemann“ hat dabei nicht wirklich viel Glück.

Malta, Frankfurt, Amsterdam – das sind noch lange nicht alle Stationen, auf denen der Hörer Herrn Blum begleiten kann. Überall versucht er sein Glück und nirgendwo findet er es. Weder emotional noch finanziell. Dieser knapp 40-jährige Typ, der versucht, ein bisschen am Wohlstand mitzumischen und doch immer wieder nur in heruntergekommenen Hotelzimmern landet und von billigen Frauen flankiert ist, kann einem irgendwie leid tun. Er erinnert an diesen ganz speziellen selbstgefälligen und schmierigen Typ mittleren Alters, der noch nicht erkannt hat, dass das Leben ihn links liegen gelassen hat und der im Brustton der Überzeugung in einem schlecht sitzenden Anzug und mit etwas zu viel Promille im Blut stets verkündet, das Leben hätte ihn auf der Sonnenseite gebettet.

Der Schneemann fühlt sich im Laufe der Zeit verfolgt, ist sich nicht sicher, ob seine Paranoia dem Genuss des weißen Pulvers oder der realen Bedrohung entspringt. Setzt auf falsche Pferde und merkt nicht, dass er von Anfang an nur eine Spielfigur im Leben anderer war.

Der Autor Jörg Fauser, 1987 an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben, hatte mit dem Roman „Der Schneemann“ seinen literarischen Durchbruch. Ich persönlich habe weder das Buch gelesen noch den Film gesehen. Ich kenne nur das Hörbuch, aber nachdem es sich um eine ungekürzte Fassung handelt, macht das wohl kaum einen gravierenden Unterschied. Sprecher Heikko Deutschmann ist professionell wie immer – wobei das „wie immer“ hier der Knackpunkt ist, denn auf Dauer ist es ziemlich langweilig, grundsätzlich die gleichen Stimmen im Hörbuchbereich zu verwenden. Aber am Sprecher lag es nur bedingt, dass mich das Werk nicht ganz überzeugen konnte. Ganze sechs CDs lang – und das ist lang! – hab ich mich gefragt, wann die Geschichte ein bisschen an Tempo gewinnt. Und das, obwohl die jeweiligen Milieustudien gut gelungen sind: Hier hat man tatsächlich teilweise das Gefühl, die schmierige Gesellschaft eines pornosüchtigen Pakistanis ertragen zu müssen, die Gedanken Blums direkt einzusaugen oder seine billigen Gespielinnen riechen zu können. Auch die immer wieder auftauchenden überzogenen Krimi-Elemente und die Grundtraurigkeit, die die Hauptfigur umspielt, sind gelungen. Doch trotzdem: Ich hatte mir von einem so hochgelobten Werk mehr erwartet. Viel mehr.
1.9 Stars (1,9 / 5)

Stephenie Meyer: Seelen

Man ist versucht, zu glauben, dass der Erfolg der Biss-Saga nicht zu toppen ist. Ist er vielleicht auch nicht, aber dieses Buch einer jungen Autorin schlägt richtig Wellen – in der eigenen Seele.

Man nennt die Außerirdische ‚Wanderer‘, weil sie bereits so viele Welten durchreist hat, diese Seele, die noch nirgends ein Zuhause gefunden hat. Und das scheint auch auf der Erde so zu bleiben, die gerade von den extraterrestrischen Seelen übernommen wird. Denn sie und ihr Wirtskörper der 17-jährigen Mel kommen nicht wirklich miteinander klar. Mel ist eine Rebellin und lässt sich nicht mal einfach so zum Schweigen bringen, schon gar nicht zum Verlöschen. Sie überlässt dem Wanderer nicht kampflos ihren Körper. Stattdessen quatscht sie dauernd dazwischen und bringt die sie besetzende Seele letztendlich dazu, etwas zu tun, was einer Seele absolut zuwider ist: Vertrauen missbrauchen. doch Mels Grund ist nachvollziehbar. Sie sucht ihren Lover und ihren kleinen Bruder, denen sie versprochen hat, dass sie zurückkommen wird.

Die Menschen machen es der friedfertigen Seele nicht leicht. Entgegen aller Vernunft machen sich Wirt und Seele auf den weg, mit Erfolg. Doch als die beiden Jamie und Jared auftreiben, die mit einigen anderen Menschen versteckt in unterirdischen Höhlen nter der Wüste leben, wird es schwierig. Denn abgesehen von der Abneigung und manchmal auch dem Hass der Gruppe gegen die Seele an sich, machen Wanda, wie sie hier nach einiger Zeit genannt wird, auch die seltsamen Gefühle für Jared zu schaffen. Ihr Körper, dessen Chemie wie verrückt reagiert, sobald er in ihre Nähe kommt, will so gar nicht einsehen, dass die Seele selbst sich eigentlich eher zu Ian hingezogen fühlt.

Das alles klingt jetzt wie eine süße kleine niedliche Lovestory. Ist es, aber nur am Rand. Denn die Handlung dieses Science-Fiction-Romans ist nicht nur spannend, sondern bis ins letzte Detail durchdacht. Auch wenn die Idee der Übernahme des menschlichen Körpers durch Aliens wahrlich nicht neu ist. Doch der Kampf zwischen dem Wanderer und Melanie, der zu Zuneigung und ja gar Aufopferung wird zwischen Wanda und Mel, die Flucht vor der Sucherin, die es – entgegen den Gepflogenheiten ihrer Leute – aus gutem Grund nicht lassen kann, die verlorene Seele zu jagen und die Gefühle zu Ian, die zu einem erneuten inneren Kampf führen – echter Filmstoff. Und weil das so ist, hat Stephenie Meyer ein Zusatzkapitel verfasst, das die Perspektive wechselt. Hut ab vor dieser Story.

Helga Bansch: Ein schräger Vogel

Der Rabe Robert ist anders als andere Raben. Er mag Schwarze nicht, er mag lieber bunt. Er liebt es zu singen, auch wenn es falsch ist, er erzählt Witze und er verkleidet sich. Dass da einer aus der Reihe tanzt, das sehen die anderen Raben nicht gern und jagen ihn fort.

Traurig zieht er davon. Weit weg. Und weil er sich so einsam fühlt, singt er. Und alle in diesem Weit-weg sind begeistert und feiern Robert als wahren (Lebens-)Künstler. Und die Raben daheim: Die haben gemerkt, dass es ohne den bunten Außenseiter ganz schön langweilig geworden ist….

Dieser Rabe Robert hat was von einem Travestie-Künstler. Seine Outfits sind ausgesprochen phantasievoll und sein Gesicht drückt all seine Emotionen ganz deutlich aus. Es ist Helga Bansch, eigentlich eher Illustratorin als Autorin, gut gelungen, die Charaktere mit relativ wenigen Strichen zu unterstreichen. Ein Buch, das man sich sehr lange und sehr genau ansehen muss, um all seine Besonderheiten zu entdecken. Wenig Text, viel Bildrelevanz. Besonders schön für Kinder, die sich gerne in ein Bilderbuch vertiefen.

Es ist nicht das erste von Helga Bansch illustrierte Kinderbuch, und normalerweise sind ihre Bilder oft eher erdrückend, beängstigend. Hier bei dieser Geschichte aber passen sie optimal. Und dieser kleine durchgeknallte bunte Vogel mindert das Bedrohliche, das die Zeichnungen oft begleitet.

Gut gewählt ist auch die Thematik des Außenseiters, der nur deshalb ein Außenseiter ist, weil er anders und nicht, weil er schlechter ist. Ein wichtiger Gedanke, mit dem man Kinder früh vertraut machen sollte.
4.9 Stars (4,9 / 5)

A. J. Jacobs: Britannica & ich – Von einem, der auszog, der klügste Mensch der Welt zu werden

Wer weiß schon genau, welche Form ein Zwergenhintern hat, aus wie vielen Billionen Zellen der menschliche Körper besteht und dass eine Abalone weit entfernt ist von einer Melone, vor allem, was ihr Stuhlgangsverhalten angeht? Zweifelsohne: Der ein oder andere weiß das ein oder andere bestimmt, aber alles?? Doch alles zu wissen, was man wissen kann, ist das Ziel von A.J. Jacobs, leitendem Redakteur beim Esquire. Er hat sich vorgenommen, der klügste Mensch der Welt zu werden. Von A bis Z kämpft er sich durch die Encyclopaedia Britannica. Das bedeutet 65.000 Einträge, 44 Millionen Wörter und zehn Milliarden Jahre Geschichte komprimiert auf rund 400 goldenen Seiten, deren Anblick bereits Vorfreude auslöst.

Geschickt verbindet Jacobs ausgewählte Stichworte der Enzyklopädie mit seiner eigenen Geschichte und führt so humorvoll durch teilweise durchaus schwer verdauliche Lesekost. Auch in diesem Werk tauchen Worte auf, die nicht unbedingt zum Allerweltssprachschatz gehören. Der Autor allerdings weiß um diese Tatsache und spielt damit. Denn auch ihm geht es nicht anders als dem Leser selbst. Und das, obwohl Jacobs ein Nachfahre des Jüdischen Gelehrten Elijah ben Salomon ist, den man als allwissend bezeichnete. Als leichte Lektüre getarnt, entpuppt sich „Britannica & ich“ schnell als ein Werk, das man nicht einfach so am Stück schmökern kann. Es eignet sich vielmehr dazu, es mehrmals am Tag zur Hand zu nehmen und seinem Wissen ein paar amüsant verarbeitete Stichworte hinzuzufügen. Besonders empfehlenswert ist der Absatz über das Denken, in dem Jacobs sich nicht nur mit dem Thema Intelligenz an sich beschäftigt, sondern sich auch außerordentlich kritisch mit dem von ihm als „Gesäßvioline“ bezeichneten Yale-Professor Dr. Sternberg auseinandersetzt – der US-amerikanischen Kapazität auf diesem Gebiet. Und auch wenn man nach der Lektüre von „Britannica & ich“ durchaus ein paar Fragen mehr bei Günther Jauch beantworten könnte, so weiß man doch am Schluss, dass man eigentlich nichts weiß.
2.9 Stars (2,9 / 5)

José Saramago: Eine Zeit ohne Tod

Es ist der erste Tag in einem neuen Jahr, irgendwo in einem Land, das Portugal ähnelt, aber nicht Portugal sein muss. Niemand ist gestorben. Und niemand wird morgen oder übermorgen sterben. Der Tod hat sich abgemeldet. Zunächst ein Grund zur Freude, doch Stück für Stück wird den Bewohnern des Landes das Ausmaß der Katastrophe bewusst. Die einen jubilieren noch ob des ewigen Lebens, das sie erwartet, andere stecken fest zwischen Leben und Tod und ihr Nichtsterbenkönnen führt nicht nur zu viel Leid, sondern auch zum Entsetzen. Dunkle Seiten der Gesellschaft machen ihre Geschäfte mit der plötzlich herrschenden Realität und die Regierung ist ratlos. Auch die Kirche ist in ihren Grundfesten erschüttert, versteht von der Angelegenheit genau so viel wie alle anderen, nämlich gar nichts. Was sie aber natürlich nie zugegeben hätte:

„Die katholischen Würdenträger, vom Bischof aufwärts, fanden die mystischen Witze einiger ihrer nach Wundern dürstenden Mittelständler keineswegs komisch und übermittelten dies den Gläubigern in einer recht entschiedenen Botschaft, in der sie, neben der unvermeidlichen Bezugnahme auf Gottes unergründliche Wege, vehement jene Überzeugung vertraten, die der Kardinal bereits in den ersten Stunden der Krise spontan in dem Telefongespräch mit dem Premierminister geäußert hatte, als er, sich in die Rolle des Papstes versetzend, wobei er Gott für diese törichte Anmaßung um Verzeihung bat, die sofortige Verbreitung einer These vorschlug, nämlich der des verzögerten Tods, im Vertrauen auf die vielfach gepriesene Weisheit der Zeit, die uns versichert, dass es immer ein Morgen geben wird, das die Probleme löst, die heute noch unlösbar erscheinen.“

José Saramagos Stil zwingt den Leser nicht nur zur Konzentration, sondern verlangt auch Durchhaltevermögen. So gut die Geschichte ist, es ist schwer hineinzufinden. Von gliedernder Zeichensetzung hält der Schriftsteller wenig, von manchmal seitenlangen Sätzen dafür umso mehr. Ein linguistisches Meisterwerk und eine Freude für Syntaxliebhaber. Wahrscheinlich allerdings nur für diese.

Jeder Satz nicht nur ein Bild, sondern gleich eine ganze Ausstellung von Metaphern. Surreal und skuril ist diese Zeit ohne Tod und doch fasziniert sie, denn man wird gezwungen, etwas zu Ende zu denken und aus völlig anderer Perspektive zu betrachten, das man bis jetzt nie in Frage gestellt hat.

Interessant ist, dass nur der Tod der Menschen seinen Dienst in diesem Land eingestellt hat, denn Tiere und Pflanzen sterben nach wie vor. Tod ist also nicht einzigartig. Und wie sich schnell herausstellt, auch nicht maskulin. Und sie ändert nach einiger Zeit ihre Taktik. Indem sie die Bevölkerung zwar wieder sterben lässt, dieses Sterben aber exakt eine Woche vorher per Brief ankündigt. Damit löst sie noch mehr Angst und Schrecken aus. Bis einer ihrer violetten Briefe nicht zustellbar ist und sie selbst nach dem Rechten sehen muss. Was sie beim Adressaten erwartet, hätte sie nie erwartet…
5.0 Stars (5,0 / 5)

Geraldine Elschner/Jean-Pierre Corderoch: Hokuspokus Blumibus

Was soll Paul denn mit einem ganzen Kartoffelsack voll kleiner Körnchen machen? Dieses originelle Geburtstagsgeschenk des etwas durchgeknallten Onkel Willi ist mal wieder erklärungsbedürftig und bringt letztendlich eine ganze Stadt zum Strahlen…

Den Schulweg findet Paul fürchterlich, Mama nervt dauernd, er soll sich beeilen, der Weg durch die ganze Stadt ist sterbenslangweilig, bis Paul in der Schule angekommen ist, hat er regelmäβig schlechte Laune. Das weiβ Onkel Willi, nicht lange und es grünt und blüht im Städtchen. Alles sieht viel schöner aus, die Menschen haben plötzlich viel bessere Laune … und niemand weiβ, wer, „hokuspokus blumibus“, diesen Blumenzauber verursacht hat… niemand, bis auf den Bürgermeister, denn der kommt Paul auf die schliche…

Jean-Pierre Corderoch zeichnet verantwortlich für die detailreichen Bilder dieses Buches. Im ersten Moment empfindet man das Buch als überladen, wird aber schnell von den mitlesenden Kindern eines Besseren belehrt. „Guck mal hier und guck mal da“, und „Die sind ja toll bunt“, waren die typischen Reaktionen beim Durchblättern. Es dauert eine Weile, bis man weiterlesen darf, weil das Studieren der Bilder seine Zeit in Anspruch nimmt. Aber so soll es ja auch sein!

„hokuspokus blumibus“ ist eine Geschichte, die zeigt, dass man sich die kleine Welt um sich herum auch selbst ein wenig schöner machen kann.
5.0 Stars (5,0 / 5)

Stephenie Meyer: Biss zum Morgengrauen

Ein junges Mädchen, dessen Eltern getrennt sind, entscheidet sich – notgedrungen – für das Leben beim Vater. In einem langweiligen, dunklen, verregneten Kaff in Washington State. Bereits bei ihrem ersten Besuch in der neuen Schule fällt ihr Edward auf… und man denkt, man hätte ein seichtes Collegemärchen vor sich. Doch es ist deutlich mehr.

Edward und seine Familie sind Vampire. Da kommt Bella schnell dahinter. Und Edward ist von Bella genauso fasziniert wie sie von ihm. Er vertraut ihr seine Geschichte an und begibt sich damit voll und ganz in ihre Hände, genau wie sie sich ihm ausliefert – Vertrauen steht gegen Vertrauen. Bis eine zweite Vampirfamilie im Ort auftaucht und einer von ihnen es auf das Menschenmädchen abgesehen hat. Der Kampf kann beginnen….

Eigentlich ist das Buch mit dem besonders schönen (deutschen) Cover für Jugendliche geschrieben, aber es ist definitiv kein Jugendbuch im typischen Sinne. Das Hörbuch ist von der Schauspielerin Ulrike Grote übrigens eine Spur zu mädchenhaft vertont worden. Man hätte Edwards Charakter sicher auch mit einer Frauenstimme deutlich geheimnisvoller darstellen können. Doch trotzdem: Die Entwicklung der Beziehung zwischen Bella und Edward, die typischen und untypischen Momente, die die beiden miteinander erleben, der Spannungsbogen, der gegen Ende massiv erhöht wird – durchaus gelungen!

Das Nachfolgebuch ist bereits auf dem Markt. Doch über den Sinn von Fortsetzungsgeschichten lässt sich streiten. Irgendwann ist immer die Luft raus und dann bereut man es, den zweiten Band überhaupt noch in die Hand genommen zu haben. Doch manche Erzählung ist so dicht, dass sie durchaus noch Stoff für Hunderte von Seiten in sich trägt. Diese hier könnte eine davon sein. Schade ist allein, dass durch die Existenz des zweiten Buches das Ende des ersten lächerlich erscheint. Denn manches sollte man vielleicht doch lieber der Phantasie überlassen. Vor allem, wenn sie so gekonnt angeregt wurde.
4.6 Stars (4,6 / 5)