Franz-Joseph Huainigg : Von meiner Zeit und deiner Zeit

Für Kinder hat die Zeit eine ganz andere Bedeutung als für uns – nämlich gar keine. Wenn sie im Spiel versunken sind, dann gibt es nichts anderes und für sie ist es unverständlich, warum wir dauernd drängen, hetzen und mit Uhrzeiten gängeln. Ein besonders schönes Buch zu diesem Thema stammt aus der Feder von Franz-Joseph Huainigg und heißt „Von meiner Zeit und deiner Zeit“.

Kevins Eltern sind nah dran, die Krise zu bekommen. Schließlich wollen sie zum Flieger, das Taxi wartet und was macht Kevin? Er sitzt in aller Ruhe auf der Toilette und liest ein Buch. Und es dauert auch danach noch eine ganze Weile bis Kevin endlich im Taxi sitzt. Der Junge wundert sich, warum im Stau auf dem Weg zum Flughafen alle so ärgerlich schauen und warum, dort angekommen, alle so hektisch durcheinander rennen. Sein Vater schleift ihn hinter sich her zum Schalter, um dort festzustellen, dass er die Tickets daheim liegengelassen hat. Sieht so aus, als sei die Reise zu Oma Fidji bereits jetzt zu Ende. Dabei waren sich die Eltern doch so sicher, dass die beiden gut zusammen passen, schließlich ist seine Großmutter auch so eine Tagträumerin….

Dieses Buch ist eine gelungene Verpackung für alles rund ums Thema Zeit. Angefangen damit, welche Uhren es gibt und wie man ohne Uhr die Zeit messen kann, über die verschiedenen Zeitzonen der Erde bis hin zur Zeitreise – der Autor lässt sich auf das Thema ein, ohne die Kinder mit Informationen zu erschlagen.
4.0 Stars (4,0 / 5)

Christine Nöstlinger: Pudding Paul rührt um

Paul lebt bei seiner Mutter. Im Gegensatz zu dieser hat er Spaß am Kochen und lebt diesen Drang unter anderem aus, indem er seine Klassenkameradin Rosi mit Mahlzeiten versorgt – wofür sie ihm im Gegenzug die Matheaufgaben erledigt. Aber er kann nicht nur toll kochen, er hat auch detektivisches Talent. Pauli Pistulkas Hobby sind nämlich ungelöste „Kriminalfälle“.

Lea, einer Mitschülerin von Paul und Rosi, wird ein kleines goldenes Herz gestohlen. Einer nach dem anderen gilt als verdächtig und der Fall zieht weite Kreise über das Klassenzimmer hinaus. Doch Rosi und Paul gehen der Sache mit kühlem Kopf nach und finden des Rätsels Lösung.

Dieses Buch ist ein typischer Nöstlinger. Das beginnt bereits bei den Kapitelbeschreibungen, geht über den Stil bis hin zum Inhalt, in dem – ganz leise nur – ein bisschen Moral verpackt ist. Schön und mal etwas anderes ist auch die Kombination von Kriminalroman für Kinder kombiniert mit leicht nachkochbaren, aber schmackhaften Rezepten wie Erdäpfelpüree mit Würstelkraken. Und wer nicht weiß, was Erdäpfel sind, der schaut einfach im Glossar nach. Dort findet man unter anderem die verwendeten österreichischen Ausdrücke ins Deutsche übersetzt.
3.8 Stars (3,8 / 5)

Uta Charlotte Stern/Manfred Tophoven: Meine Mama nur für mich

Zunächst ist Tim begeistert, als er erfährt, dass er ein Geschwisterchen bekommt. Aber bereits die ersten Gespäche mit anderen Kindergartenkindern, die schon einen Bruder oder eine Schwester haben, lassen ihn skeptisch werden….

Doch als es soweit ist, freut sich Tim sehr. Er hat jetzt einen kleinen Bruder und der findet ihn bereits neugeboren ganz toll. Stück für Stück aber schleicht sich die Realität ein. Seine Mama hat keine Zeit mehr für Tim, alles dreht sich nur um Jonas. Da wird Tim ziemlich eifersüchtig. Seine Mutter erklärt ihm aber sehr anschaulich, wie das ist mit dem Platz im Herzen und welche Rolle er für sie spielt und das beruhigt Tim dann doch.

Dieses Buch, getextet von Uta Charlotte Stern, ist gut gemacht, behandelt das Thema anschaulich, herausragend aber ist es nicht. Es ist wohl auch schwer, mit einem solchen Thema das Rad neu zu erfinden. Doch die Texte sind bereits für kleine Kinder schlüssig und auch tröstlich. Die Illustrationen von Manfred Tophoven sind von der Farbenwahl her fröhlich und detailgenau. Störend ist allerdings – und gerade bei solchen Dingen sind Kinder sehr kritisch – dass z.B. die Mutter fast durchgehend die gleiche Kleidung anhat. Bereits eine ganze Weile vor der Geburt, direkt danach und später auch noch. Mal ganz abgesehen davon, dass ihr Bauch ab dem dritten Monat nicht mehr zu wachsen scheint. Zusätzlich ist es nicht sehr realitätsnah, dass Mama am Abend fröhlich „Gute Nacht, ich geh jetzt in die Klinik“ sagt und am nächsten Morgen mit den gleichen Klamotten genauso fröhlich wieder auf der Couch liegt. Klar, sowas gibt es, aber die meisten kleinen Kinder müssen doch erst einmal damit klarkommen, dass Mama für ein paar Tage weg ist und sie sie in einem sterilen Krankenhauszimmer wiedersehen.
1.9 Stars (1,9 / 5)

Rike Janßen/Thomas Wolff: Ganz schön mutig?

Nick ist ein ziemlicher Schisser. Der kleine Hund fürchtet sich vor allem und jedem – was sein Leben nicht einfacher macht. Eines Tages flüchtet er vor einer Ameise und stößt dabei auf Bully, den größten und gefährlichsten Hund, den man sich vorstellen kann.

Nick ist so erstarrt vor Angst, dass an Weglaufen gar nicht zu denken ist. Was Bully ziemlich mutig findet, denn alle anderen gehen automatisch davon aus, dass die Dogge ihnen etwas tun wird. Und das, obwohl sie total harmlos ist. Hatte nur noch nie einer Gelegenheit, das herauszufinden. Die beiden freunden sich an und Nick wird dadurch immer mutiger – allerdings nur mit der Klappe. Und das finden seine Freunde reichlich doof. Aber mit ihrer Hilfe lernt Nick nicht nur, seine Ängste zu überwinden, sondern auch, einmal zuzugeben, wenn sie unüberwindbar scheinen. Was wohl das Mutigste ist, das man machen kann.

Ein sehr schönes Bilderbuch rund um das Fürchten, das Angeben und um Vorurteile. Es eignet sich prima bereits für Kinder ab drei Jahren. Vor allem auch deswegen, weil seine Zeichnungen den Text optimal unterstützen. Prädikat wertvoll!
4.8 Stars (4,8 / 5)

Jan Birck/Irene Wellershoff: Finn bei den Piraten

Finn badet gerne, nur das Haarewaschen geht ihm auf den Keks. Nachdem er danach aber noch ein bisschen das Badezimmer unter Wasser setzen darf, nimmt er es in Kauf.

Doch diesmal ist irgendwie alles anders. Wie immer rutscht Finn vom Badewannenrand mit Karacho in sein Wasser, doch er landet nicht auf dem Grund der Wanne, sondern auf dem Grund des Meeres. Glücklicherweise hat er zwar das Seepferdchen, aber trotzdem verlassen ihn seine Kräfte schnell. Doch bevor er richtig Angst bekommen kann, wird er von einem großen Fischernetz an Bord eines Schiffes gezogen und trifft dort auf freundliche Seeleute und mit denen gemeinsam auf fürchterliche Piraten. Doch Finn ist schlau und trickst sie aus.

Die Zusammenarbeit von Irene Wellershoff, Redaktionsleiterin im Kinderprogramm des ZDF und Erfinderin von Siebenstein und dem Illustrator und Autor Jan Birck hat ein Bilderbuch hervorgebracht, dessen Hauptfigur ein wenig an Calvin erinnert. Gewieft und mit einer ganzen Menge Phantasie gesegnet.
4.6 Stars (4,6 / 5)

Maureen Stewart: Speed

Clay hat mit Drogen nichts am Hut. Schon deshalb nicht, weil seine Mutter säuft und ihm das schon genug auf die Nerven geht. Bis Clay sich in Carrie verliebt. Carrie ist anders als die anderen Mädchen. Nicht so oberflächlich, findet Clay. Seitdem er in Bio neben ihr sitzt, kann er kaum anders, als ihre Sommersprossen zu zählen. Doch eines Tages hört er ein Gespräch mit zwischen Greg, dem Schuldealer und seiner Angebeteten. Und das, was er kaum glauben kann, wird schnell zur Gewissheit. Carrie dealt. Nicht so skrupellos wie Greg, aber auch sie verkauft Drogen an andere Schüler. Durch seine Liebe zu dem Mädchen wird Clay immer mehr mitgezogen. Probiert hier mal und da, ändert seine Meinung über das, was cool ist und als Carrie auch noch mit ihm zum Schulball gehen will, ist er der glücklichste Junge der Welt. Glaubt er. Doch dann kommt alles anders.

Dieses Buch lässt weder ein Klischee noch eine der gängigen Drogen aus. Es wird gekifft, gezogen und geschluckt, was das Zeug hält. Kein Wunder, dass es da einen nach dem anderen wegbeamt. Ein bisschen übertreibt sie schon, die Autorin, aber letztendlich versucht sie ja auch nichts anderes, als den Sog zu beschreiben, in den man geraten kann, ohne es richtig zu merken. Schön der Nebenstrang mit Sivesh, Clays bestem Freund und dessen Zerrissenheit im Rahmen der Loyalität.

Maureen Stewart hat sich eines Themas angenommen, das viele Jugendliche beschäftigt: Drogen und wie soll man damit umgehen, wenn sie als cool gelten. Sie ist nicht so jung, diese Autorin, wie man denken würde, wenn man ihr Buch „Speed“ liest. Aber sie ist am Puls der Zeit geblieben. Mrs Stewart ist Australierin, hat über zwanzig Jahre lang unterrichtet und in dieser Zeit galt ihr Interesse den Problemen und Gefährdungen, mit denen Jugendliche heutzutage zu kämpfen haben. Ihr Ziel: Denkanstoß und Hilfestellung geben. Und das ist ihr mit diesem Buch über die Verlockung durch Drogen – zu dem es übrigens auch Unterrichtsmaterialien gibt – schon gelungen.
2.7 Stars (2,7 / 5)

Angelika Glitz/Imke Sönnichsen: Der tapfere Toni

Toni und Papa machen einen echten ‚Männertag‘. Toni würde ja lieber den ganzen Tag lang Fußball spielen, aber Papa hat da etwas anderes vor. Er will mit Toni das Bergungeheuer besuchen.

Also machen die beiden sich auf den Weg einen ganz hohen Berg hinauf. Bald schon kann Toni nicht mehr und auch bei der Aussicht auf Ungeheuer ist ihm nicht ganz wohl. Aber Papa will, dass er ein tapferer Junge ist und so macht Toni eben mit. Bis sie tatsächlich dem Bergungeheuer begegnen und jetzt Papa derjenige ist, der Angst hat….

Ein schönes Bilderbuch zum Thema Mut und wie einfach es ist, von anderen zu fordern, sie sollen tapfer sein. Vor allem, wenn sie viel kleiner sind als wir und uns ihre Angst vielleicht manchmal lächerlich erscheint. Dabei sind wir selbst nicht besser, auch die Erwachsenen verlieren mal den Mut und dann ist es gut, wenn sie das auch zugeben können. Sprachlich besonders hervorzuheben ist die durch das Buch wunderbar gegebene Möglichkeit, mit dem Kind anhand der detailreichen Bilder feste Ausdrucksweisen wie „die Beine baumeln lassen“ üben zu können.
4.5 Stars (4,5 / 5)

Britta Schwarz/Iris Hardt: Die wirklich wahre Geschichte von Hänsel und Gretel

Alles hat seine zwei Seiten und so ist es, dachten sich Britta Schwarz und Iris Hardt, auch mit den klassischen Märchen. Denn wer weiß, ob die Version, die wir alle so kennen, überhaupt stimmt? Lassen wir es unsere Kinder selbst herausfinden.

Die Autorin Britta Schwarz lässt nicht nur Hänsel den bekannten Erzählstrang ausführen, sie lässt auch die Hexe zu Wort kommen. Sie und ihre Freundin Ulla, die Stiefmutter der beiden Kinder, haben eine ganz andere Version von ‚Hänsel und Gretel‘, die der ursprünglichen in einzelnen Abschnitten, direkt und gut zu vergleichen, gegenübergestellt ist.

Eine Diskussion im Kinderzimmer bleibt nach diesem Bilderbuch nicht aus und wie in der Realität auch, weiß nach wie vor keiner, was wirklich geschehen ist. So kann man seinen Kindern prima zeigen, dass man lernen muss, sich ein eigenes Bild zu machen und nicht einfach zu glauben, was einem erzählt wird.
3.9 Stars (3,9 / 5)

Rüdiger Bertram/Martina Theisen: Trixi und die wilden Wikinger auf Blaubeerjagd

Trixi ist ein vorwitziges Wikingermädchen, das gemeinsam mit seiner Möwe ‚Snabl‘ eine Menge Unfug im Kopf hat. Aber eben nicht nur diesen und das beweist sie, als sie dem Wikingerchef Lunte aus der Patsche hilft.

Doch zunächst hat sie selbst ein ziemliches Problem. Lunte hat ihr den Jagdausflug der 33 Wikinger verboten, Trixi hält sich nicht daran und folgt den anderen. Dabei gerät sie nicht nur an einen riesigen Elch, sondern auch an ein ziemlich hungriges Rudel Wölfe….

Die kleine Wikingerin, die man bereits aus vorherigen Büchern wie ‚Trixi und die wilden Wikinger auf Schatzsuche‘ kennt, erinnert ein bisschen an die berühmte Fernsehfigur Wickie. Sie ist ebenso clever, witzig, aufgeweckt und hat richtig gute Ideen, wenn es darauf ankommt, aus einer Situation das Beste zu machen.

Dieses Buch aus der Reihe ‚Leserabe‘ ist für die erste Lesestufe, also die absoluten Leseanfänger gedacht. Gerade jetzt, nach Halbzeit der ersten Klasse, haben die Kinder in der Regel einen Wissensstand erreicht, der ihnen die Lektüre mit ein bisschen Unterstützung durchaus ermöglicht.

Im Anschluss an die Geschichte, die sich wunderbar für Jungs und Mädchen eignet, gibt es ein Leserätsel, das ganz spielerisch das Textverständnis überprüft. Besonders gut daran ist, dass die jeweilige Seite angegeben ist, auf der das Kind die Antwort finden kann, wenn es nicht weiterkommt. Wer die Lösung schafft, kann mit viel Glück sogar ein Buchpaket gewinnen. Ein echter Anreiz für frische Leseratten.
4.7 Stars (4,7 / 5)

Anne Tyler: Tag der Ankunft

Zwei Familien: eine iranischer Herkunft, eine amerikanisch – zwei Welten. Die sich verbinden durch zwei koreanische Mädchen. Die ersehnten Adoptivkinder. Für die frischgebackenen Eltern, vor allem für die Mütter Ziba und Bitsy, bekommt die Welt wieder Farbe – und sie verändert sich, durch den Einfluss der jeweils anderen.

Hier die Donaldsons – amerikanischer geht’s nicht. Und dort die Yazdans, die sich zwar auf der einen Seite dem amerikanischen Leben angepasst haben, auf der anderen Seite aber stolz darauf sind, immer Iraner zu bleiben. Und die ihre Außenseiterposition nie aus dem Blickwinkel verlieren. Selbst dann nicht, wenn es dafür gar keinen Grund gibt. Teile der Familie Yazdan tragen diese Außenseiterrolle wie ein Schutzschild vor sich her und sind doch gezwungen, es fallen zu lassen – gezwungen durch zwei kleine, miteinander aufwachsende Mädchen und durch die Veränderungen, die sich durch die beiden in den jeweiligen Familien ergeben. Das zeigt sich am deutlichsten bei der jährlichen „Tag der Ankunft-Feier“, die von Bitsy konsequent durchgezogen wird – auch gegen den Willen der anderen.

„Maryam sagte:“Oh, die … Ankunftsparty.“

„Dad meinte, du kämst vielleicht.“

„Naja, ich habe gesagt, dass ich darüber nachdenken werde“, sagte Maryam. „Aber dieser Sommer ist so vertrackt; ich bin mir nicht sicher, ob…“ (…) Die Ausreden, die ihr auf der Zunge lagen – New York, Farahs Besuch -, kamen ihr plötzlich so fadenscheinig vor.“

Maryam, Zibas Mutter, wehrt sich am heftigsten gegen das Verschmelzen der beiden Familien – und doch ist sie es am Schluss, die am meisten darin aufgeht.

Anne Tyler ist eine der erfolgreichsten Romanschriftstellerinnen Amerikas. Ausgezeichnet mit dem Pulitzerpreis und hochgelobt auch bei uns.

Mit „Tag der Ankunft“ ist ihr ein sensibles Buch über das Miteinander verschiedener Kulturen gelungen. Ohne überzeichnen zu müssen, fängt sie die Stimmungen einer Multikulti-Gesellschaft ein, die vorgibt, gar keine zu sein. Sie beschreibt die Probleme von Einwanderern, die sich selbst Jahrzehnte nach ihrem eigenen Tag der Ankunft nicht an das neue Leben gewöhnt haben, behandelt aber auch die Schwierigkeiten gerade der Kinder, die in einer solchen Familie aufwachsen, eigentlich aber zu dem Land gehören, in dem sie geboren wurden und die mit der Diskrepanz zwischen Draußen und Zuhause lernen müssen zu leben.
2.9 Stars (2,9 / 5)